Munich Indoors in der Olympiahalle:Goldhelm und Gespenster

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Von ganz früh bis sehr spät: Vier Tage lang bieten die Munich Indoors ein Programm mit vielen Facetten. Auch die Weltmeisterinnen Simone Blum und Jessica von Bredow-Werndl sind in der Olympiahalle.

Von Fabian Dilger und Nadine Regel

Am Samstagabend in der Münchner Olympiahalle sitzen zwei bayerische Weltmeisterinnen strahlend und winkend auf zwei Pferden, auf denen man sie nie zuvor hat sitzen sehen; hübsch anzusehen (sowohl die Pferde als auch die Reiterinnen), jeweils in einem Dirndl (nur die Reiterinnen), auf zwei Kaltblütern vom Landgestüt Schwaiganger, auf denen - ohne den Tieren zu nahe zu treten - Simone Blum ihren Titel im Springreiten im September wahrscheinlich eher nicht geholt hätte, und auch Jessica von Bredow-Werndl in der Dressur wohl etwas Mühe gehabt hätte. Jedenfalls werden die beiden am Rande der Munich Indoors mit einer eigenen Gala geehrt. Sportlich nutzt Blum die Großveranstaltung, um ihre jungen Pferde Erfahrung sammeln zu lassen, und Bredow-Werndl coacht in München ihren Bruder zum Gewinn im Grand Prix Special. Und sonst? Die Deutsche Victoria Michalke gewinnt eine besondere Dressurserie, und vier vollgepackte Wettbewerbstage werfen einige Fragen auf, etwa: Bekommen Turnierpferde eigentlich genügend Schlaf? Und wer sorgt für verletzte Tiere? Fünf Episoden aus vier Tagen Reitsport.

Ungewohntes Bild: Am Samstag lassen sich die Weltmeisterinnen Simone Blum und Jessica von Bredow-Werndl auf zwei Kaltblütern feiern. (Foto: Stefan Lafrentz/imago)

Tierschutz vor Sport

Routiniert nimmt Rüdiger Brems dem verschwitzten Pferd die Bandagen ab und tastet die empfindlichen Fesseln des Tieres nach Schwellungen und Druckschmerzen ab. "Vor und nach jedem Wettbewerb überprüfen wir den Zustand der Tiere", sagt der Tierarzt. Der Gesamteindruck muss stimmen. Ohne Brems und neun seiner Kollegen von der Pferdeklinik Wolfesing in Zorneding findet bei den Munich Indoors kein Wettbewerb statt. Der Tierarzt arbeitet seit 21 Jahren im Auftrag des Weltverbandes im Reitsport (FEI) bei der Veranstaltung in München. Sein Team steht ständig auf Abruf. So wie am Freitag, als ein Pferd samt Reiter vor einem Hindernis stürzt. Beide sind zum Glück wohlauf. Oder bei Verdachtsmomenten. Ein Reiter spürt, dass sich sein Pferd beim Springen nicht wohl fühlt und kontaktiert Brems. Die Untersuchung ergibt, dass sich das Tier einen Muskel im Rücken gezerrt hat. Der Reiter entscheidet sofort, aus dem Wettbewerb auszusteigen. "Das wäre vor 20 Jahren anders abgelaufen", sagt Brems. Heute stehe der Tierschutz vor dem Sport. Der Wert der Tiere ist mittlerweile sehr hoch. Ein Pferd auf Turnierlevel kostet 50 000 Euro aufwärts. Daher werden schon zu Beginn des Turniers alle Pferde untersucht, später führt eine externe Ärztin dann auch Dopingkontrollen durch. Erfolge seien schon sichtbar, sagt Brems: "Bei der Weltmeisterschaft in Tryon gab es keinen positiven Test bei den Sportpferden."

Der goldene Glanz

Beim Reiten wird Simone Blum den neuen Goldhelm bestimmt nicht aufsetzen, einen Platz dafür wird sie aber finden. Sie und ihre Dressur-Kollegin Jessica von Bredow-Werndl bekommen am Samstagabend eine ganze Palette solcher Präsente, neben dem Goldhelm gibt es Ehrenpreise und ganz profane T-Shirts für das Team. "Es war schon toll, damit habe ich nicht gerechnet", sagt Blum. Der Helm steht symbolisch für ihr Jahr 2018. Alles was Blum anfasste, wurde zu Gold. "Ein tolles Ereignis jagt das andere", weiß Blum. Die Zollingerin hat sich mit ihrer Stute Alice in die absolute Weltspitze des Springreitens geritten. Der Nationenpreis beim CHIO in Aachen, der Weltmeistertitel in den USA, die Auszeichnung des Weltreiterverbandes als "Best Athlete" - Blum ist das neue Gesicht des deutschen Springreitens. Die Veranstalter hatten die Munich Indoors entsprechend massiv mit Blum beworben, die gestiegenen Ticketverkäufe machen sie nicht zuletzt an der 29-Jährigen aus dem Landkreis Freising fest. Als neue Weltmeisterin wird mehr gezogen und gezerrt an ihr als früher: "Das ist auf jeden Fall extrem anstrengend", sagt Blum. "Aber ich denke, das wird auch wieder ein bisschen ruhiger werden." Bei den Munich Indoors reitet Blum dann nicht mit Alice auf Sieg, sie setzt andere Pferde ein, um auch diese allmählich an das neue Niveau heranzuführen. In zwei Wochen wird sie noch ein Turnier in der Schweiz mitmachen, dann ist das Gold-Jahr für sie vorbei. Die Indoors sind als Heimturnier aber "auf jeden Fall" auch für die Zukunft gesetzt.

Christian Ahlmann muss sich als Rider of the Year nassspritzen lassen. (Foto: Sven Simon/imago)

13 Jahre Harmonie

Dance On sieht noch oft Gespenster. Das Dressurpferd ist umweltorientiert, vieles ist ihm unheimlich. "Wir reisen deswegen immer einen Tag früher bei Turnieren an, damit er sich an die neue Umgebung gewöhnen kann", erklärt Victoria Michalke. Andere Pferde brauchten den Turniertrubel, um gute Leistungen zu erbringen. "Pferde haben schon echt einen Charakter", weiß die 29-Jährige. Als guter Reiter sollte man die Eigenheiten seines Pferdes kennen. Ihr Wallach Dance On ist 16 Jahre alt, Michalke trainiert ihn seit 13 Jahren. Und ihr Trainingskonzept ist aufgegangen: Michalke wird bei den Indoors zum Champion of Honour gekürt, sie ist Gesamtsiegerin der Serie. Die Auszeichnung erhalten Reiter, die mit ihrem Pferd harmonieren, mit anderen Reitern kollegial umgehen und deren Pferde Zufriedenheit ausstrahlen. Es ist ein Preis, der gezielt nicht Leistungen bewertet, sondern die Partnerschaft zwischen Pferd und Reiter. Das seien die richtigen Signale, findet Michalke.

Einfach tanzen lassen

Jessica von Bredow-Werndl feiert dann auch noch den Sieg ihres Bruders Benjamin Werndl. (Foto: Stefan Lafrentz/imago)

Famoso, der neunjährige Wallach, beschert Benjamin Werndl einen Rekord nach dem anderen. Den Grand Prix Special am Sonntag gewinnt das Duo mit starken 76,7 Prozent. Das ist das beste Ergebnis, dass der 34-Jährige bisher in einer Dressurprüfung auf diesem Niveau erzielt hat. Von der Leistung seines Pferdes sei er "überwältigt", sagt Werndl. Mitte Dezember steht in Frankfurt das Finale für die bedeutendsten Nachwuchspferde im Grand Prix an - Famoso hat die anspruchsvolle Generalprobe in München bestanden. Die Aufgabe des Special ist sehr lang. Schwierige Lektionen wie die Piaffe-Passage, ein Wechsel aus trabartiger Bewegung auf der Stelle und Trab in Slowmotion, sowie der Einerwechsel, der Galoppwechsel von Sprung zu Sprung, kommen gleich mehrfach vor. "Das Special ist aber auch gleichzeitig die schönste Aufgabe der Welt", findet Werndl, der gerne in Superlativen spricht. Es sei der fließende Ablauf, der ihn fasziniere. Anders als bei der Kür ist beim Special die Abfolge der Lektionen vorgegeben. Das Training in seinem Reitstall in Aubenhausen, den er gemeinsam mit seiner Schwester Jessica von Bredow-Werndl, der Mannschaftsweltmeisterin in der Dressur, betreibt, sei so angelegt, dass die Pferde Eigeninitiative zeigten und Spaß daran hätten, ihre Leistungen im Viereck zu präsentieren. "Wir sitzen nur da, halten uns möglichst ruhig und lassen die Pferde tanzen", sagt Werndl. Am Sonntag beobachtet die 32-Jährige von Bredow-Werndl ihren Bruder im Viereck. Danach erwartet sie ihn auf dem Weg zum Abreiteplatz. Ihr Lob mutet eher technisch-nüchtern an: Ihr Bruder hätte das richtige Maß fürs Tempo in der kompletten Trabtour gehabt. Werndl klingt euphorischer: "Die Piaffe-Passage-Touren waren der Hammer!"

Drei Stunden Schlaf

Abends spät ins Bett, morgens früh raus, wenig Schlaf, ungewohnte Umgebung, viel Trubel - für einen Menschen wären das keine guten Voraussetzungen, um Leistungssport zu betreiben. Bei den Munich Indoors ist das Programm dicht, es beginnt schon morgens halb acht in einer ziemlich leeren Halle und geht bis abends. Für die Pferde ist das kein Problem, sagt Veranstalter Volker Wulff: "Pferde führen ein anderes Leben als Menschen." Mit drei bis vier Stunden Schlaf kämen sie aus, sagt er. Neben den physischen Grundvoraussetzungen spiele auch die Gewöhnung eine große Rolle. "Routine gehört dazu", sagt Wulff. Internationale Klassepferde würden seit dem Alter von fünf, sechs Jahren an das Turnierleben gewöhnt. Und auch die Menschen sind diese Abläufe gewohnt. Die vielen Wettbewerbe gäben ihnen auch die Möglichkeit, jüngere Pferde heranzuführen. "Deswegen sind die Reiter bereit, morgens und abends zu reiten. Es sind lange Tage, aber das ist auch der Job der Reiter." Die meisten Zuschauer kommen trotzdem etwas später.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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