Münchner ATP-Turnier:Gazelle mit Limettenschnitz

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Immer schön cross: Das Finale der 100. Internationalen bayerischen Tennismeisterschaften findet in Etappen statt. Bis dahin wird gerempelt, geschaufelt, gespeist und geflitzt - alles natürlich auf höchstem Niveau.

Von Gerald Kleffmann, München

Zehn Tage Profitennis, zehn Tage ATP Tour am Aumeisterweg, das ist auch immer ein kleiner Blick in die große Welt dieser Sportdisziplin. Wie Nomaden ziehen die Spieler von Turnier zu Turnier. Während am Montag das Finale bei diesen BMW Open zwischen Andy Murray und Philipp Kohlschreiber fortgesetzt wurde und sich Murray zum Sieger krönte, sind die meisten der Kollegen schon längst in Madrid, wo die nächste Riesenveranstaltung der 1000er Serie ansteht. Ein Blick zurück auf die 100. Auflage der Internationalen Meisterschaften von Bayern.

Die sportliche Lehrstunde des Turniers erhielt der deutsche Jungprofi Alexander Zverev im Duell mit Ü30-Profi Kohlschreiber. Selbst fünf Tage nach der 2:6, 4:6-Niederlage, die noch deutlicher war, als das Ergebnis klingt, ist unklar, wie nur Zverev diese Taktik wählen konnte: sich hinten an die Plane zu stellen und südlich des Äquators die Bälle zurückzuschaufeln. Zur Einordnung: Zverev ist 1,98 Meter groß, er ist ein aufstrebendes Talent, absolut, aber er ist keine Gazelle. Kohlschreiber ist es schon, und weil er die Bälle gerne cross spielt, was selbst in Alaska bekannt ist, trieb er Zverev lustvoll in die Ecken. Später meinte Kohlschreiber, Zverev habe hinten "geparkt". Ein zweites Mal sollte diesem nicht ein solcher Matchplanfehler unterlaufen. Da ist auch sein Vater gefordert, der ihn trainiert.

Die moralische Lehrstunde des Turniers erhielt Lukas Rosol. Der Tscheche, der auf der Wade ein Kriegertattoo der Maoris trägt und gerne mal provoziert auf den Plätzen, rempelte Murray im Viertelfinale beim Seitenwechsel an. Murray streikte kurz, pfiff ihn dann zusammen ("Everyone hates you") und strafte ihn mit einem Dreisatzsieg. In der Kabine entschuldigte sich Rosol, und Murray gab ihm einen weisen Rat: "Ich sagte ihm, sein Verhalten hatte mich nur noch mehr motiviert. Gerade nach dem ersten Satz, den er gewann, hätte er seine Energie nicht für so eine Aktion verwenden dürfen." Sollte sich Rosol merken.

Den PR-Preis erhält diesmal Tommy Haas. Der deutsche Profi, der nach seiner vierten Schulter-OP im vergangenen Jahr noch immer keinen Comeback-Einsatz auf der Tour hatte, gab gefühlt alle zwei Tage Pressekonferenzen, zu denen alle natürlich pilgern mussten, weil man in seinem Alter (37!) mit allem rechnen muss. Comeback, Schulter, Karriereende, Schulter, neue Jobs (Akademiechef, Davis-Cup-Kapitän, etc.), zweites Kind, Schulter, so was in der Art. Am Ende zog Haas seinen Start zurück, was wirklich keine Neuigkeit war, er warb aber immerhin eifrig fürs Turnier.

Es ist schon gute Tradition, dass Manfred Dirrheimer, der charismatische Chef des Finanzdienstleisters und Sponsors FWU, den man sich als eine Art Mario Adorf im Wirtschaftsleben vorstellen darf, in extravaganten Anzügen erscheint, wenigstens einmal während der Woche. Ebenso ist es gute Tradition, wenigstens einmal in der Berichterstattung darauf hinzuweisen, also: Am Schlusssonntag überzeugte er in einem schreiend kanariengelben Einreiher. Derart gewagt trat nicht mal die Band Mando Diao auf, die am Samstagabend kurz mal zur Lounge-Party Dirrheimers eingeflogen wurde und ein großartiges Konzert gab. Die Tarnanzüge der Schweden wirkten dagegen fast sandmännchenhaft.

Das Teilnehmerfeld war gut besetzt, parallel zu dem Turnier wurden auch 250er-Events in Istanbul und in Estoril gespielt. In München stand der letzte Profi, der sich bei Meldeschluss für die erste Runde qualifizierte, auf Rang 57. Victor Estrella Burgos war das. Turnierdirektor Patrik Kühnen verwies darauf, dass das auch weiterhin das Ziel sei: das beste Feld aufzuweisen, im Vergleich mit den beiden Konkurrenzturnieren. In Istanbul gewann Roger Federer. Der Bulgare Grigor Dimitrov, auch ein Zuschauermagnet, verlor im Halbfinale. Hinter beiden klaffte aber eine Lücke.

Ein paar Sätze zu Estrella Burgos, oder besser: eine Empfehlung an deutsche, aufstrebende Jungprofis und stagnierende Profis. Man muss diesen 34-Jährigen aus Santiago de los Caballeros, der nur 1,73 Meter misst, gesehen haben, um zu verstehen, worauf es auch ankommt. Bei jedem Schlag legt sich Estrella Burgos ins Zeug, als ginge es um seine Existenz. So war es ja lange genug auch. Als er früher auf winzigen Turnieren in den USA herumtingelte, konnte er nur weiterreisen, wenn er beim Turnier zuvor genug Preisgeld gewann. Er lebte von der Hand in den Mund. Er ist kein Tennisästhet, seine Rückhand sliced er oft. Aber er schöpft seine Möglichkeiten voll aus. Auch wenn er im Viertelfinale gegen den Spanier Roberto Bautista Agut verlor, in der Weltrangliste steht er aktuell auf Platz 51.

Final noch Dinge, die auffielen: Die Lebenshaltungskosten für die, die sich gebührenpflichtig an den Büdchen selbstversorgen mussten, entsprachen denen in einer gehobenen Gastronomie. Das ist eben der Preis des Standortes München. Gravierender allerdings war mal wieder, dass es aufgrund gewisser Vertragsgeschichten kein bayerisches Bier auf der Anlage gab, sondern eines, das mit in die Flaschen hineingepressten Limettenschnitzen getrunken wird. Zu dieser Konstellation muss es ein Bürgerbegehren geben. Bei Seitenwechseln könnten die Ordner etwas generöser sein und die draußen wartenden Zuschauer schon hineinlassen, wenn die Spieler zur Bank gehen. Meist warten sie auf einen Befehl per Funk. Als würde man nicht sehen, dass die Spieler schon zur Bank gehen. Freundlich sind sie aber stets. Ferner: Die Sauce der Currywurst war schön scharf, der Trainingsplatz vor dem Klubhaus ist nach wie vor beliebt, einen Award hätten auch die Stadionsprecher Elmar Paulke und Sascha Bandermann verdient. Wegen der ständigen Regenpausen mussten sie zigmal flitzen. Überdies: Murray hätte neben dem Iphitos-Award noch andere erhalten müssen: den Marathonspieler-Award, den Fairness-Award, den Trainings-Award, den Best-British-Act-Award, den Best Football Guest Award (sah sich Bayerns Pokal-Aus in der Arena bis zum Schluss an - ohne Decke!). Dafür, dass er seine coole Gattin Kim nicht mitbrachte, kriegt er aber keinen Award. Irgendwann ist mal Schluss. Auch bei einem Jubiläumsturnier.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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