Linksaußen:Von der Umwelt abgeschnitten

Lesezeit: 1 min

Im Sport ist der Frühling traditionell die Saison, in der gerechnet wird

Von Johannes Schnitzler

Im Herbst zogen einst die Schnitter übers Land, Facharbeiter in allen Fragen der Ernte. Heute bietet der Obst- und Gartenbauverein Kurse für jedermann an im Kupieren von Borke, Busch und Baum. Im hellgrellen Licht des Frühlings betrachtet wird, wenn man sich die damit einhergehende Müdigkeit aus den Augen gerieben hat, geschnibbelt und geschnitzt wie nie. Hecken, Gräser und Gehölz werden ausgelichtet. Das arme Griechenland bettelt um den längst fälligen Schuldenschnitt. Hipster erwägen, zur Abkühlung weniger cool zu sein und sich das Winterfell aus dem Gesicht zu scheren, sobald die Sonne auch nur milde lächelt. Wie wichtig exaktes Trimmen ist, zeigt schließlich das Schicksal von Golfern, die den Cut verpassen: Sie stehen im Rough, während andere auf frisch gemähtem Grün noch um den Sieg spielen.

Im Sport ist der Frühling traditionell die Saison, in der gerechnet wird: Wie hat mein Team abgeschnitten? Wie immer hat der Universalgelehrte Goethe dazu etwas Geistvolles hinterlassen: "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick. Im Tale grünet Hoffnungsglück." Die Münchner Olympiapark GmbH hat den Dichter nun um die nach Sonne, Meer und Strandurlaub duftende Annonce ergänzt: "Algenbeschnitt im Olympiasee."

Die Prozedur wiederholt sich jedes Frühjahr, so sicher wie Eishockeyspieler zur Bartschere greifen, um ihre Playoff-Wolle zu barbieren. Weil die Würm dem auch sommers still und starr ruhenden Gewässerchen zu viele Nährstoffe zuführt, grünt es, sobald es vom Eise befreit ist. Damit die Algen entfernt werden können, muss freilich erst der Wasserspiegel gesenkt werden. Wer nun Umweltfrevel wittert und argwöhnt, dies geschehe (wie im Winter, wenn der Ski-Weltcup naht) wegen der Aufbauten für das Sportspektakel Munich Mash, das am 26. Juni beginnt, dem teilt die Olympiapark GmbH "ausdrücklich" mit, "dass hierfür ein Absenken des Wasserspiegels nicht notwendig gewesen wäre". Wer so denkt, soll das wohl heißen, der hat sich gründlich geschnitten.

Vielleicht sollten sie einfach ein Schild aufstellen: Algen zum Selberschneiden, Bund 3,50 Euro. Der Gartenbauverein könnte da mal was anbieten.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: