"Linksaußen":Verfluchte Vorstadt

Lesezeit: 3 min

Leverkusen - Vizekusen? In Unterhaching, wo Bayer einst seinen schlechten Ruf erwarb, sollten sie besser nicht zu laut darüber lachen.

Kolumne von Johannes Schnitzler

Hossa!, war da was los am letzten Spieltag der 3. Liga. Der FC Bayern, also die Dings, äh, "Amateure", die U23, also die Reserve halt, ist Meister! (Für den FCB der erste Titel in dieser Liga, nichts Banales wie der 30. in der, gähn, strunzlangweiligen Bundesliga.) Würzburg torkelt in die 2. Liga. Und natürlich: 1860 und Ingolstadt im direkten Duell um eine mehr (Ingolstadt) oder weniger (1860) realistische Aufstiegschance! Dagegen verblasst selbst ein 4:2 im Pokalfinale im ödleeren Berlin zwischen den Bayern und ...? Bayer Leverkusen. Hätte man fast schon vergessen.

Bayern, Leverkusen - das war doch mal was? Richtig: Unterhaching. Wo spielt die Spielvereinigung eigentlich gerade? 3. Liga? Echt jetzt? Potztausend! Hätte man fast schon vergessen.

Noch vor einem halben Jahr galt die SpVgg GmbH KG aA, nach Borussia Dortmund das zweite an der Börse notierte deutsche Fußballunternehmen, als heißeste graue Vorstadtmaus im Profifußballgewerbe. Nach 20 von 38 Spielen verabschiedete sie sich mit 33 Punkten als Tabellenfünfter in die Weihnachtspause. Zum Vergleich: Die kleinen Bayern lümmelten da noch auf Rang 15 herum mit 23 Punkten. Und wie Haching aus der Pause kam: drei Siege, zwei Unentschieden - Aufstiegskurs! Dann kam die Wende. 0:1 gegen Bayern II. 0:1 gegen den Abstiegskandidaten Chemnitz. Nach der Corona-Pause gab es überhaupt nur noch einen einzigen Erfolg, 2:0 bei Absteiger Großaspach, dem elf Spiele ohne Sieg folgten, darunter ein 0:3 gegen 1860 und im letzten Heimspiel der Saison ein hingezittertes 2:2 in der Nachspielzeit gegen Schlusslicht Jena. Einschließlich des finalen 0:4 in Duisburg (Trainer Claus Schromm hatte noch einmal "Vollgas" versprochen) hat die SpVgg in den letzten 13 Spielen sieben Punkte geholt. S-i-e-b-e-n. Zehn Zähler Vorsprung auf die Hoeneß-Bubis von der Säbener verwandelten sich im Jahr 2020 in 14 Punkte Rückstand - Abstiegskurs. Aber gegen so eine Krise wächst nun mal kein Kraut. Oder ist der Hachinger Absturz gar kein Einzelfall?

2017/18 von 5 auf 9; 2018/19 von 5 auf 10; 2019/20 von 5 auf 11: Hachings Winter/Sommer-Bilanz

2017/18 ging die SpVgg als Fünfter in die Pause, mit 34 Punkten - am Ende war sie Neunter (mit 54 Punkten). 2018/19 war sie zur Winterpause Fünfter (35), am Ende Zehnter (48). 2019/20: im Winter Fünfter (33), im Sommer Elfter (51).

Die einen halten das für Konstanz bei knappen Mitteln. Andere nennen es Stagnation im Mittelmaß.

Wer Schuld daran hat? Manfred Schwabl, der angekündigt hatte, man wolle nach Corona wie ein ICE aus der "Hölle" 3. Liga ins "Paradies" zweite Liga brausen? Der Präsident, Patron, Geschäftsführer und zweitgrößte Anteilseigner ist in Haching über jede Kritik erhaben.

Der Trainer? Kann nicht sein, sonst hätte der über jede Kritik erhabene Präsident seinem treuen Claus nicht den Vertrag bis 2023 verlängert.

Der Kaderplaner? Nur, weil die Stürmer nicht treffen, die Abwehr bröckelt und weit und breit kein Führungsspieler die Führung übernimmt? Zu einfach.

Die seit vielen Jahren nahezu unveränderte Mannschaft, der offensichtlich Impulse fehlen, von innen wie von außen?

Hm. Man sollte jetzt nicht den Fehler machen, Einzelne mit Verantwortung zu belasten. Denn das Ganze ist ja mehr als die Summe seiner Einzelteile, nicht wahr? Hat schon der alte Trainerfuchs Aristoteles in seine Taktiktafel gekratzt.

Bleibt nur eine seriöse Erklärung: Es ist ein Fluch! Die Quittung für das, was man einst Leverkusen angetan hat, all die Pein und den Spott. Bayern, Leverkusen, Unterhaching: Ja, da war nämlich mal was. 20. Mai 2000, Sportpark: Leverkusen unterliegt am letzten Spieltag in Unterhaching 0:2, durch ein makelloses Eigentor von Michael Ballack, und verpasst seine erste deutsche Meisterschaft (der es bis heute unglücklich hinterher trabt), ein paar Meter isarabwärts krallen sich die Bayern ihren 16. Meistertitel (damals fast noch etwas Besonderes). Gerade haben sie in Haching Jubiläum gefeiert.

Trainer Christoph Daum, der mirakulöse Hexenmeister, der aus dem betongrauen Leverkusen einen Titelkandidaten geknetet hatte, ließ seine Spieler über Scherben und glühende Kohlen laufen, aber es half nichts: "Vizekusen" wurde die Seuche nicht mehr los. 2002: Zweiter in der Meisterschaft, Zweiter im Pokal, Zweiter in der Champions League. Auch eine Art Triple. Daums Zauber verflog, seine größte Nummer - Schnee zu jeder Jahreszeit - entpuppte sich als nicht ganz billiger Hosentaschenspielertrick.

Das Schicksal ist ein scharfer Richter. Und es hat ein gutes Gedächtnis. Vizekusen? In Unter-ferner-liefen-Haching sollte sie darüber nicht zu laut lachen.

© SZ vom 06.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: