Linksaußen:Lauschangriff mit Mohrrübe

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Was tun, wenn einem in jeder Auszeit ein Mikro vor dem Gesicht herumbaumelt? Schweigen, den Lauschangriff verweigern, oder einfach gute Miene zum bösen Spiel machen.

Kolumne von Johannes Schnitzler

Die deutschen Handballer sind also Fünfte geworden bei der EM in Norwegen, Österreich und Schweden. Oder waren es Dänemark, Finnland und die Schweiz? Egal. Jedenfalls: Sie haben mal wieder nicht die Hoffnungen der TV-Handballnation erfüllt. Und dann noch dieser winzige Vizepräsident in seinen krachigen Strickpullovern. Bob, der Kurzwarenmeister. Ganz zu schweigen von diesem Trainer, diesem Holzkopp. Wie? Prokop? Auch egal.

Unter seinem Vorgänger Dagur Sigurdsson, einem lässigen Isländer, den die ARD schwer verliebt den "vielseitigsten Bundestrainer seit Jahren" nannte, da war Handball-Deutschland noch wer. Europameister 2016, Olympia-Dritter. Und dann? Japan. Neue Kultur und so.

Christian Prokop kommt nicht aus Island. Zum Handball-Bund kam er 2017 vom Sportclub der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig - und so klang er auch. Damals packte er in eine 30-sekündige Auszeit mehr Lernstoff als ein Professor in eine dreistündige Vorlesung über Quantenmechanik. Prokops Bilanz? Neunter bei der EM 2018, Platz vier bei der WM 2019 und jetzt - Fünfter. Mittlerweile klingt er soft wie ein Waldorfpädagoge. Wenn die Spieler seiner Taktik nicht folgen wollen, dann sagt er: Na gut, wenn ihr das besser findet. Oder: "Seid handlungsbereit." (Augenroll-Emoji)

Er hat es aber auch wirklich nicht leicht. In der Kabine des FC Bayern müssen mehrere hoch qualifizierte Maulwürfe tagein, tagaus buddeln, um für die Bild die neuesten Zerwürfnisse aus dem Hause Neuer (die Frau, der Nübel...) auszugraben. Black Ops, sozusagen, verdeckte Ermittlungen. Bei Prokops Ansprachen sind die Zuhörer live und frei Haus dabei. Wie die Mohrrübe vor dem Maul des störrischen Esels hängt das Mikro in jeder Auszeit an seinen Lippen. Verhältnisse, von denen die Stasi nur träumen konnte.

Friedrichshafens Volleyballtrainer Stelian Moculescu kassierte einmal eine Strafe, weil er bei einem Spiel gegen Unterhaching einen Kameramann wegstieß. Moculescu wehrt sich gegen Lauschangriff, schrieben damals die Reporter. Das sollte Christian Prokop sich mal erlauben.

Man muss sich das vorstellen: Wenn jede Lästerei beim Kaffee in der Kantine, jeder Furz auf dem Männerklo (oder im TV-Studio, wie von Ex-HSV-Profi Stig Töfting), jeder besoffene Ibiza-Flirt an die Öffentlichkeit dringen würde...

Mikros gehören ja längst zum Alltag. In jedem Smartphone stecken welche. Überall laufen Leute mit Knopf im Ohr herum, und das sind längst nicht alle Agenten wie Lt. Frank Drebin ("Spezialeinheit"), der beim Toilettengang vergaß, dass das Mikro an seinem Revers noch offen war und alle Geräusche seines Wasserlassens in die laufende Pressekonferenz zum Besuch der Queen übertrug ("Wupps!"). Lauschen beim Rauschen.

Im Eishockey gibt es die Cable Guys. Manchmal sagen sie lustige Sachen, wie der Augsburger Michael Bakos, der während des Spiels seine Familie grüßte, Mama, Papa und den ganzen Stammtisch ("subbr Sach'"). Ein Meister im Flachsen war der ehemalige Münchner Christoph Schubert ("Du kennst das Spiel doch nur von der Playstation"). Meistens schnauzen sie sich aber einfach nur an.

Vielleicht sollte Christian Prokop mal mit Dagur Sigurdsson reden. Der hat verraten, dass er Auszeiten manchmal nur nimmt, damit seine Jungs durchschnaufen können. Es höre ihm ja sowieso keiner zu, warum sie also mit Taktik traktieren? Man kann Sigurdsson übrigens als Redner buchen, Thema: "Teamführung junger Erwachsener" (Anfragen unter athenas.de). Gut zuhören. Es lohnt sich.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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