Linksaußen:Carlettos Weg

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Erstmals haben die Bayern zur Wiesnzeit einen Trainer abserviert wie ein abgenagtes Hendl. Dabei hatten Hoeneß und Rummenigge noch ein paar Tage vorher mit Ancelotti auf dem Oktoberfest angestoßen. Was ist da verdammt nochmal schiefgelaufen?

Von Johannes Schnitzler

Für die meisten Wehwehchen gibt es Hausmittel, da braucht es nicht immer gleich den Griff zum Chemiewaffenschrank. Fieber? Senkt man mit Wadenwickeln. Flotter Otto? Reis, Cola, Salzbrezeln. Ohrenschmerzen? Eine halbe Zwiebel drauf. Selbst wenn's nicht helfen sollte, der Geruch lenkt ab.

Im Hause Ancelotti in Reggiolo in der norditalienischen Provinz Reggio Emilia, wo die Menschen einfach sind wie der Sangiovese, den sie ernten, gibt es eine ganz spezielle Medizin gegen Grippe: "Heiße Milch mit Rotwein. Fantastisch. Ein Rezept meiner Großmutter", hat Carlo Ancelotti einmal erzählt. Die Emilia-Romagna, dank Parma und Bologna berühmt für deftige Ragùs, Schinken und Käse, hat den kleinen Carletto groß und stark gemacht. So ziemlich alles wird hier mit gutem Essen und Trinken therapiert, à la nonna, auf Großmutters Art. Liebeskummer? Pleite? Probleme am Arbeitsplatz? Ein Glas Rotwein, und die Welt sieht wieder bunter aus. Vor allem, wenn noch ein dampfender Teller Tortellini dabei steht. Diese Art der oralen Medikation hat sich Carlo der Große bis ins hohe Alter von 58 Jahren erhalten. Wenn Ancelotti nicht gerade isst oder trinkt, greift er zur Zigarette. Oder kaut Kaugummi. Irgendwas hat er eigentlich immer im Mund. Vielleicht dachte der Genussmensch Ancelotti deshalb, im barocken Bayern könnte er heimisch werden, wo man auch so gerne schlemmt.

Zwei Tage dauert sie noch, die größte Grundnahrungsmittelmesse der Welt in München, und wenn am Dienstagabend das letzte Fass abgezapft wird, dann werden wieder mehr als sechs Millionen Maß Bier getrunken worden sein. Rechnet man pro Liter mit mindestens zwei Anstößen - nicht jedes Glas wird in einem Zug geleert - dann werden sich die Besucher auf der Wiesn mindestens zwölf Millionen Mal alles Gute gewünscht und dabei sogar mehrheitlich in die Augen gesehen haben. Prosit! Oder auf gut Wiesnerisch: "Hää! Jetzt sauft's amoi! Bro'ssd!"

Dass das nicht immer so ganz nüchtern und wörtlich gemeint ist mit der Gemütlichkeit, zeigt die Statistik der Körperverletzungen und anderen Straftaten. Noch nie aber - nie! - wurde ein Trainer des FC Bayern zur Oktoberfestzeit abserviert wie ein abgenagtes Hendl. Und dabei saßen sie erst neulich noch miteinander im Zelt, Ancelotti, der Präsident Hoeneß, der Vorstandschef Rummenigge, und prosteten sich zu. Rummenigges Abschiedsworte, nachdem er Ancelotti ein paar Tage später die Kündigung ausgesprochen hat: "Carlo ist mein Freund und wird es bleiben." Auf Bairisch: Und jetzt saufst' di z'sam und schwingst' di! Sonst fangst' oane!

Im Film Carlito's Way wird der Titelheld Al Pacino am Ende niedergeschossen, verraten von einem Freund. Sein letzter Gedanke: Was ist da verdammt noch mal bloß schiefgelaufen?

Wie man hört, will der FC Bayern jetzt einen Asketen verpflichten.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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