Linksaußen:Albinomäuse vs. Coutinho

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3,50 Euro Eintritt zahlt der Wiesn-Besucher für den "1. Deutschen Mäuse Circus". Eine lohnendere Investition als das Vip-Ticket beim FC Bayern.

Kolumne von Gerald Kleffmann

Das Oktoberfest ist erwiesenermaßen neben aller Gaudi auch volkswissenschaftlich interessant. Die VWL, so formuliert es Wikipedia, "untersucht Zusammenhänge bei der Erzeugung und Verteilung von Gütern und Produktionsfaktoren". Auf die Wiesn angewandt, heißt das: Der Brite John Maynard Keynes hätte an jeder Ecke sein oberstes Forschungsobjekt begutachten können: Nachfrage, Nachfrage, Nachfrage. Turmhohe Stoffgiraffen etwa sind eher Ladenhüter. Auf der Wiesn? Erst neulich, erzählte eine Verkäuferin, die das Tier durch eines der Zelte schleppte, habe sie zwei an einem Tag verkauft, für je 450 Euro. Ehe mancher in den üblichen Chor verfällt und Abzocke geißelt, sei erinnert: Schnäppchen waren auf der Theresienwiese ja auch möglich. Im "1. Deutschen Mäuse Circus" tummeln sich Jahr für Jahr 300 Albinomäuse. Sie rennen, balancieren, strampeln in Rädern, manche dösen. 3,5o Euro kostet der Eintritt - 1,16 Cent pro Maus. Wer will da meckern?

Das Ticket beinhaltet "Zugang zur Wein- und Panoramabar"

Man kriegt also was fürs Geld, was der Fan des FC Bayern an diesem Wochenende nicht gerade behaupten konnte. Trotzdem wird es den Fußballern natürlich wie der Mäusezirkusbetreiberfamilie Bruck-Plexnies gehen: Die Menschen rennen weiter ihre Bude ein, wobei die Allianz Arena geräumiger ist und einen Vorteil gegenüber dem Mäusezirkus besitzt: VIP-Logen. Denn auch wenn der Brasilianer Coutinho, anders als die Bruck-Plexnies-Truppe, nur auf Leihbasis arbeitet, muss er refinanziert werden, mit 1,16 Cent geht das schlecht. Zudem, von irgendwas muss selbst ein Fußballstar leben, und aus diesem Grunde hat jemand, lange vor Coutinho, aber nach Keynes, aufpreispflichtige Sonderplätze in Stadien erfunden, die - wie im Falle des FCB - viel kosten und dafür aber ein - was sonst - "exklusives Fußballerlebnis" bieten. Beim Angebot "Presenterbox" für zehn oder 20 Personen hat man zum Beispiel unter anderem "Zugang zur Wein- und Panoramabar", während es sich der FC Bayern erlaubt, sich freundlicherweise Zugang zu 5000 bzw. 10 000 Euro pro Box zu verschaffen. Ein fairer Deal, von dem alle etwas haben.

Denjenigen, die jetzt gleich "Wucher!" brüllen, sei entgegnet: Versucht mal an normale Karten zu kommen! Das Heimspiel am 26. Oktober gegen Union Berlin, nur so: "überbucht"! So steht's auf der FCB-Homepage, und damit ist nicht die Kadergröße gemeint, wie Thomas Müller meinen könnte. Der rot-weiße Anhänger muss sich daher überlegen, sich entweder über die Wein- und Panoramabar Zugang zu dem Gekicke zu verschaffen - oder sich eine Ausweich-Veranstaltung zu suchen. Geht ja theoretisch auch.

Ein "Panoramafenster" ermöglicht freie Sicht aufs Spiel

Es gibt nämlich Sport nach dem FC Bayern - zum Beispiel die FC-Bayern-Frauen oder die FC-Bayern-Basketballer, wobei letztere mit "Business Packages" werben, von Silber bis Diamond. 289 Euro pro Nase sind gut investiert, wenn man als Gruppe von acht Personen in einem Bayern-Bus abgeholt wird, einen Schal sowie eine Trainingseinheit von einem FCB-Coach bekommt. Weil der Andrang bei den Fußballerinnen geringer ist, wird deren Ticket-Angebot weniger aufregend feilgeboten - für 9 Euro (Kinder frei) lässt sich etwa am 20. Oktober einer Partie (gegen Potsdam) in der "Flyeralarm Bundesliga" beiwohnen. Überbucht ist nichts. Schlag nach bei Keynes.

Andere Vereine freilich lassen sich längst nicht mehr lumpen und locken auch mit Logen. In der "Bulls Lounge" ermöglicht sogar ein "Panoramafenster" das Betrachten eines Eishockeyspiels vom EHC München. Für 160 Euro gibt es wahrlich das Wichtigste fürs Wohlempfinden, ergo einen Parkplatz, Speis und Trank und manchmal einen Titel. Nur bei den Löwen ist wieder manches anders. Zwar können auch VIP-Karten erworben werden, doch dass man nicht immer was fürs Geld bekommt, kann Hasan Ismaik bezeugen. 85 Millionen Euro hat der Investor dem Vernehmen nach in den TSV gepumpt, doch bis heute weder ein Erstligateam noch ein eigenes Stadion. Dafür, und das ist für die meisten unbezahlbar, spielt Sechzig in Giesing im Grünwalder - Münchens stimmungsvollster Loge.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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