Leichtathletik:Zehn Kilometer bis zum Gardasee

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Am Münchner Stadtlauf nehmen am Sonntag 20 000 Menschen teil - ein neuer Rekord. Erstmals wird dabei der Titel des Stadtmeisters vergeben. Die Sieger Yvonne Kleiner von der LG Stadtwerke und der Tscheche David Kucera haben sich damit für ein Finale in Italien qualifiziert

Von Fabian Swidrak, München

Vor der letzten Kurve blickte David Kucera noch einmal nach hinten. Er sah, dass dort niemand war, der ihn noch einholen konnte. Entspannt lief er die letzten Meter bis ins Ziel. Als fünf Sekunden später auch Johannes Hillebrand von der LG Stadtwerke München dort ankam, war Kucera bereits in die Hocke gegangen und hatte sich der Beflaggung gewidmet. Energisch zog er seine in die bunten Laufschuhe gerutschten Socken zurecht, sodass trotz Matschflecken alle Zuschauer sehen konnten, was darauf abgebildet war: die tschechische Nationalflagge.

Laufbegeisterte aller Altersklassen füllten am Sonntagvormittag den Münchner Marienplatz. (Foto: Claus Schunk)

"In Deutschland habe ich die Strümpfe beim Laufen immer an", erzählte Kucera, 24, nachdem er seinen Siegerpokal auf der kleinen Bühne vor dem Rathaus am Marienplatz in Empfang genommen hatte. Schwungvoll lässig sprang er auf das Podest, fast so, als hätte ihn die zehn Kilometer lange Strecke des 38. Münchner Stadtlaufs, an deren Ende er am Sonntagmittag nach 31:49 Minuten als Erster angekommen war, kaum Kraft gekostet. "Die Zeit war mir nicht so wichtig. Ich bin schon deutlich schneller gelaufen", sagte Kucera. "Das war für mich heute eine Spaßveranstaltung. Es war toll. Alle haben geklatscht, als ich durchs Ziel kam." Tatsächlich waren trotz Nieselregens zahlreiche Zuschauer zum Start- und Zielbereich des Stadtlaufs an den Marienplatz gekommen und feuerten das aus rund 20 000 Läufern bestehende Rekord-Teilnehmerfeld lautstark an.

Unzählige Zuschauer feuerten die Läufer beim Münchner Stadtlauf an. Dabei regnete es über Stunden. (Foto: Claus Schunk)

Obwohl es schien, als hätte Kucera das Rennen mit Leichtigkeit gewonnen, beteuerte er, vorher nicht über einen möglichen Sieg nachgedacht zu haben. "Ich kenne die deutschen Läufer kaum, konnte meine Chancen daher nicht einschätzen", sagte Kucera, der sich nun Münchner Stadtmeister nennen darf. Diesen erstmals vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ausgelobten Titel zu tragen, in seiner Lieblingsstadt, wie er sagt, "macht mich stolz". Als Schüler nahm Kucera an einem Austausch teil, kam so erstmals nach Bayern, und weil es ihm so gut gefiel, kam er fortan immer wieder. Seit etwa einem Jahr studiert er Bauingenieurwesen an der Technischen Universität München.

Jan Müller gewann den Halbmarathon beim Münchner Stadtlauf. (Foto: Claus Schunk)

In 19 weiteren deutschen Städten werden in diesem Jahr Stadtmeistertitel bei Zehn-Kilometer-Rennen vergeben. Die 40 Erstplatzierten (20 Männer, 20 Frauen) dieser neuen Stadtlaufserie gewinnen eine Reise zum Finale, das Mitte November am Gardasee in Italien stattfindet und als Halbmarathon ausgetragen wird.

Dort dabei sein wird auch Yvonne Kleiner von der LG Stadtwerke München. Die 42-Jährige kam am Sonntag beim Stadtlauf nach 38:11 Minuten als erste Frau über die Ziellinie, sichtlich erleichtert darüber, dass ihr Plan aufgegangen war. Wegen des möglichen Gewinns der Stadtmeisterschaft hatte sie überhaupt erst die Zehn-Kilometer-Distanz gewählt. Kleiners Spezialität ist der Halbmarathon. "Den wollte ich zuerst auch laufen, bis ich von der Reise an den Gardasee gehört habe."

Jan Müller wird nicht an den Gardasee reisen. Der 35-Jährige, der ebenfalls für die LG Stadtwerke läuft, hat andere Reisepläne. Müller will im November beim New York Marathon starten und trainiert dafür aktuell beinahe täglich, trotz Vollzeitjob. In Berlin und Boston ist er bereits gelaufen. Neben New York sollen in den kommenden Jahren London, Tokio und Chicago folgen. Am Halbmarathon des Münchner Stadtlaufs nahm Müller bereits zum vierten Mal teil. Nach 1:12:56 Stunden kam er zwar als Erster ins Ziel, mit seiner Zeit war er jedoch nicht zufrieden. "Ich glaube, so langsam wie heute bin ich hier noch nie gelaufen", sagte er. In seinem besten Jahr sei er über drei Minuten schneller gewesen. Den Halbmarathon der Frauen gewann Lea Bäuscher in 1:25:40 Stunden. Gerade Müller hatte davon profitiert, dass Seriensieger Kedir Burka in diesem Jahr nicht an den Start gegangen war. Auch die beiden Vorjahressieger über die Zehn-Kilometer-Distanz, Sebastian Hallmann und Andrea Diethers, hatte in diesem Jahr nicht am Münchner Stadtlauf teilgenommen.

"Wir zwei fahren nun also an den Gardasee", sagte Kleiner und legte ihre Hand auf Kuceras Schulter. "Mal sehen", antwortete der etwas verlegen. Der Tscheche weiß noch nicht, ob er die gewonnene Reise zum Finale in Südtirol antreten kann. Eine Woche später findet die tschechische Crosslauf-Meisterschaft statt. Kucera kann sich dort für die Europameisterschaft im kommenden Jahr qualifizieren. "Halbmarathon und Crossmeisterschaft innerhalb einer Woche, das schaffe ich nicht", sagte Kucera. "Ich habe mich noch nie für die EM qualifiziert. Aber ich bin super in Form in diesem Jahr. Ich kann das schaffen." Ein Start bei der Europameisterschaft für sein Heimatland würde Kucera viel bedeuten. Um das zu erkennen, genügte am Sonntagmittag ein Blick auf seine Socken.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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