Leichtathletik:Wettlauf mit der Zeit

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Auf kuriose Art wird Sprinter Nicolai Trageser bayerischer Meister

Von Andreas Liebmann, München

Ein Sprintrennen über 60 Meter erfordert keine allzu gewiefte Taktik. Es ist unüblich, die erste Rennhälfte verhalten anzugehen, um im Schlussspurt zu überraschen; es gibt weder häufige Positionswechsel noch Trinkpausen oder Boxenstopps. Auch Windschatten lässt sich nicht nutzen. Man kann eigentlich nur: flitzen.

Insofern war es keine ganz unlösbare Aufgabe, die sich Nicolai Trageser am vergangenen Samstag in der Münchner Werner-von-Linde-Halle stellte. Nichtsdestotrotz gab der 17-Jährige ein ungewöhnliches Bild ab. Zum Finallauf der bayerischen Meisterschaft der Altersklasse U20 stand nämlich nur er am Start, ganz allein. Weder links noch rechts von ihm wollte jemand mitlaufen. Trageser startete, er spurtete, und er gewann dieses Rennen. Mit einer Zeit von 7,01 Sekunden holte er sich den Titel. Wobei: Ganz so selbstverständlich war die Sache dann auch wieder nicht.

"Ich habe so etwas in 17 Jahren als Trainer noch nicht erlebt", wunderte sich Jonas Wahler, der Trageser gemeinsam mit Stephan Weidmann seit einigen Monaten bei der LG Stadtwerke München betreut. Denn Trageser war natürlich nicht der einzige Anwärter auf den Sieg. Die restlichen Finalisten waren bereits zwei Stunden zuvor gelaufen, genauer gesagt: auch Trageser war dabei, doch beim Start war er weggerutscht und stürzte. Bis vor gut eineinhalb Jahren war der LG-Neuling Fußballer, erst dann wechselte er zur Leichtathletik. Der Start sei nicht seine Stärke, das weiß der junge Straubinger selbst. Doch er konnte gar nichts dafür, dass sein Startblock weggerutscht war. "Beim genaueren Betrachten des Startblocks stellten wir fest, dass dieser verbogen war und deshalb die hinteren Nägel sich nicht im Boden verankern konnten", berichtete Trainer Wahler. Weshalb Trageser nach langer Debatte eine zweite Chance bekam. Allein auf der Bahn und vor den Augen all seiner Konkurrenten steigerte er seine Vorlauf-Zeit (7,09) und ließ damit nachträglich alle hinter sich: Nick Kocevar (Bad Endorf) wurde in 7,04 Sekunden Zweiter vor dem zeitgleichen Münchner Yannick Wolf. "Er hatte praktisch auf dem Hosenboden zugesehen, wie die anderen seine Bestzeit aus dem Vorlauf übertroffen hatten", sagte Wahler. "Dann wieder Spannung aufzubauen und unter diesem Druck so die Nerven zu behalten, fand ich beeindruckend. Es ist ja erst sein zweites Jahr als Leichtathlet, und es war sein erster Titel im Einzel."

Lorenzo Graf Barbero, Tragesers neuer Teamkollege in München und zugleich sein Dauerrivale, hatte sich für die 200 Meter entschieden, die er klar gewann. Für beide seien die deutschen Meisterschaften der Höhepunkt in der Halle, auch deshalb hätten beide nur je eine Distanz absolviert, so Wahler. Außerdem hätten sie die Staffel mitlaufen sollen. Da aber beide platt gewesen seien, gewann Münchens 4×200-Meter-Staffel eben in anderer Besetzung.

Es war auch sonst ein guter Tag für die Münchner Athleten. Gabriel Allgayer siegte über 1500 Meter, Paul Walschburger, ebenfalls neu zur LG gekommen, wurde Zweiter im Dreisprung. Den Stabhochsprungwettbewerb der Klasse U20 gewann Julia Zintl (wie Lena Zintl in der Klasse U15). Im Speerwurf setzte sich Fiona Schiebel von der LG Würm Athletik durch, Jannik Voß vom TSV Schleißheim siegte mit dem Diskus. In der U18 schlug Maxime Kirschner von der LG Kreis Dachau zu.

Als herausragende Medaillensammler taten sich einmal mehr die Werfer der LG Stadtwerke hervor, allen voran Selina Dantzler, 16, und Amelie Döbler, 17. Beide verfolgen längst internationale Ansprüche, ihre Privatduelle zählen aber bereits zur Folklore. Am Samstag war es Dantzler, die den Titel im Kugelstoßen der Klasse U20 holte (14,41 m vs. 14,21) und in der Altersklasse U18 mit Gold im Diskuswurf garnierte. Döbler tröstete sich mit Gold im Diskuswurf (46,79). Martin Knauer gewann das Kugelstoßen der U20, Lukas Koller das Diskuswerfen der U23; Cassandra Bailey (W15) holte ebenso wie Dominik Idzan (M15; jeweils vor Teamkollege Alexander Schaller) die Titel mit Kugel und Diskus.

Das Gefühl, allein zu sein, hatten übrigens auch die Speer- und Diskuswerfer. Sie mussten für ihre Winterwürfe die Halle verlassen. Und bei minus fünf Grad blieben doch erstaunlich viele Zuschauer lieber drinnen.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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