Leichtathletik:Türchen voller Talente

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So viele wie noch nie: Die LG Stadtwerke München meldet zahlreiche Zugänge, darunter eine ganze Handvoll Bundeskaderathletinnen wie Johanna Siebler.

Von Andreas Liebmann, München

Am Dienstag begannen Schneeflocken auf München herabzurieseln, so pünktlich, als wären sie aus dem ersten Türchen des Adventskalenders gepurzelt. Sie hätten ein prima Anlass sein können für die Münchner Leichtathleten, um damit nun einen Schlussstrich zu ziehen unter die Freiluftaktivitäten dieses Jahres. Doch diesen Schlussstrich hatte schon tags zuvor die bayerische Staatsregierung gezogen, als sie in der inzwischen neunten Infektionsschutzmaßnahmenverordnung festlegte, dass sämtliche Sportstätten ausnahmslos zu schließen seien, beziehungsweise exklusiv nur Berufssportlern und Kaderathleten offen stünden.

Bis dahin, sagt Geschäftsführer Christian Gadenne, hätten sie bei der LG Stadtwerke München durchaus noch die Hoffnung gehegt, mit Kleinstgruppen ins Dantestadion zurückkehren zu dürfen, Flöckchen hin oder her. Schließlich sei dort genügend Platz, um größere Abstände und damit mehr Infektionsschutz zu gewährleisten als etwa im überfüllten Olympiapark, in dem zurzeit kreuz und quer und unsortiert nicht nur Leichtathleten, sondern Breitensportler aller Art Joggingrunden drehend ihr Recht auf Individualsport ausüben.

Dieses Recht übrigens hätte zu Beginn des Teil-Lockdowns auch noch viel mehr Vereinssport zugelassen, als etwa der Bayerische Landes-Sportverband aus den ersten Anordnungen herausgelesen und kommuniziert hatte. Diese Erkenntnis kam jedoch spät. Nun jedenfalls geht tatsächlich nichts mehr und es bleibt nur der Blick nach vorne in eine hoffentlich bessere, aber noch ungewisse Zukunft. Lediglich Kaderathleten dürfen weiter in der Werner-von-Linde-Halle üben, müssen dort allerdings unter sich bleiben - wie das auch zu Nicht-Pandemiezeiten der Fall ist.

Für die Münchner Leichtathletik-Gemeinschaft ist diese Halle jedenfalls ein enormer Standortvorteil, und künftig wird es noch ein paar mehr junge Athleten geben, die diesen Vorteil im Trikot der LG Stadtwerke genießen. Denn in der Nacht auf Dienstag endete auch die Wechselfrist in der Leichtathletik, und der Münchner Vereinszusammenschluss hat seitdem nun offiziell einigen Zuwachs bekommen. Einen ganzen Adventskalender könnte die Presseabteilung mit den Personalien befüllen, wenn sie das wollte, zumal etwa allein aus Ingolstadt ein ganzes Sextett in die Landeshauptstadt gewechselt ist. Bei den herausragenden Zugängen spricht Gadenne von einer kleinen "Schwemme", wie es sie früher häufiger, zuletzt aber nicht mehr so oft gegeben hat: von talentierten jungen Sportlerinnen, die sich vor allem studienbedingt nach München orientierten und sich deshalb der LG anschlossen - die Unis hier sind nämlich ein weiterer Standortvorteil. Allein von fünf neuen Bundeskaderathletinnen fallen nun vier in dieses vertraute Muster.

Die Zahl der Münchner Bundeskadermitglieder ist auf 24 gestiegen, ein neuer Höchstwert

Die Fünfte ist Amelie-Sophie Lederer. Die 26-Jährige schließt gerade ihre Polizeiausbildung in Dachau ab, deretwegen sie schon länger in München lebte. Sie wechselt nun auch vereinsmäßig an die Isar, weil ihr Trainer Patrick Saile die LG Regensburg verlassen hat, um Nationaltrainer der Schweiz zu werden. Lederer gewann 2013 EM-Gold mit der 4×100-Meter-Staffel. In München ist sie nun das siebte Mitglied des deutschen Perspektivkaders, dem definitionsgemäß diejenigen zugehören, denen eine "erweiterte Finalperspektive" bei internationalen Meisterschaften zugetraut wird. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon mal so viele Perspektivkaderathleten hatten", sagt Gadenne.

Vier weitere Neue zählen zu den Nachwuchskadern des Deutschen Leichtathletik-Verbands: Hochspringerin Lavinja Jürgens, 20, kommt vom schwäbischen TSV Kranzegg, ihre Bestmarke liegt bei 1,86 Meter. Zuletzt war sie in Braunschweig Dritte der deutschen Freiluftmeisterschaften - bei den Frauen, wohlgemerkt.

Luisa Tremel, 18, springt 1,80 Meter hoch, ist allerdings eins der größten deutschen Talente im Siebenkampf. Sie kommt vom TSV Gersthofen, hält den bayerischen U-18-Rekord und startete international beim European Youth Olympic Festival 2019 in Baku.

Ebenfalls Mehrkämpferin ist Johanna Siebler, 20, vom LC Überlingen. Sie war Zweite der letzten U-18-Weltmeisterschaft vor drei Jahren in Nairobi.

Die Vierte ist Anastasia Vogel, 18, vom TV Wattenscheid, die aktuelle deutsche U-20-Meisterin über 400 Meter Hürden.

Da die 19 bisherigen Münchner Bundeskadermitglieder der LG treu blieben, ist deren Anzahl nun auf den Vereinsrekordwert von 24 gestiegen. Zwischen zahlreichen weiteren Personalien findet sich zum Beispiel auch die Rückkehr des Weit- und Dreispringers David Kirch, 22. Der ehemalige deutsche Jugendmeister, der zuletzt in Nordrhein-Westfalen aktiv war, schließt sich wieder der Trainingsgruppe von Richard Kick an.

Einige Weggänge gibt es natürlich auch. Hammerwerfer Simon Lang, 26, 2019 noch Zweiter der deutschen Meisterschaften, entschied sich für einen Karriereschritt bei der Bereitschaftspolizei. Cassandra Bailey, 2019 deutsche U-18-Meisterin im Kugelstoßen, hat ihre Laufbahn ausbildungsbedingt beendet. Langstreckenroutinier Johannes Hillebrand, 41, wechselt nach Augsburg, und der australische Mittelstreckenläufer Sam Blake, 25, zum LC Freising.

Würde Gadenne doch versuchen, all die neuen Personalien bei der LG in Form eines Adventskalenders zu präsentieren, er würde sich für das 24. Türchen vermutlich zwei Vertragsverlängerungen aufsparen. Die 800-Meter-Läuferinnen Christina Hering und Katharina Trost werden nämlich auch im Olympiajahr 2021 für München starten (beide hoffen auf eine Qualifikation für Tokio), und mindestens auch noch bis zu den European Championships im Jahr darauf in München bleiben, die für sie ja dann ein Heimspiel wären. "Eigentlich gab es gar keine großen Zweifel", sagt Gadenne, die Verbundenheit und das gegenseitige Vertrauen seien groß. Wie viele Athleten gingen auch diese beiden "ins Risiko", weil sie großen Aufwand betreiben für sehr ungewisse Ziele, da sei es wichtig, dass der Verein diesen Weg mitgehe. Den Vertrag mit Hering, erzählt Gadenne, hätten sie mangels geöffneter Restaurants unterwegs in einer Kirche unterschrieben, die gerade offenstand, untermalt von Orgelmusik. Und jetzt, wo schon Schnee fällt, muss man sich solch gute Nachrichten ja auch nicht unbedingt bis Heiligabend aufsparen.

© SZ vom 03.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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