Leichtathletik:Stabwechsel um Mitternacht

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Mit Sekt und Erdnussflips feiert die LG Stadtwerke den lange geheim gehaltenen Abschied ihres Geschäftsführers. Christopher Franke sucht nach drei Jahren neue Herausforderungen. Sein Nachfolger ist Christian Gadenne, der ehemalige Pressesprecher der FC-Bayern-Basketballer

Von Andreas Liebmann, München

Christopher Franke ist müde am Mittwochmorgen. Die Nacht zuvor haben sie ein wenig reingefeiert, erzählt er, mit Sekt und Erdnussflips, die zehn Abteilungsleiter der LG Stadtwerke München, Franke als verantwortlicher Geschäftsführer -tja, und sein Nachfolger, der ihn um Mitternacht abgelöst hat. Die Pressemitteilung zu diesem überraschenden Wechsel ging unwesentlich zu früh nach draußen (23.59 Uhr), bis halb eins feierte die Runde noch weiter. Franke ist zufrieden damit, dass bis zuletzt kein Außenstehender Wind bekommen hatte von seinem Abschied. Er hat seinen Nachfolger selbst vorgeschlagen, es ist Christian Gadenne, einige Jahre lang Pressesprecher der Basketballer des FC Bayern München. Es war, soweit man hört, ein harmonischer Abend.

Er wolle sich neuen beruflichen Herausforderungen stellen, erklärt Franke nebulös. Bei genauerem Nachdenken ist es ja auch nicht abwegig, dass ein 31-jähriger Doktor der Philosophie in seinem Leben noch etwas anderes machen will, als sich mit einer Vermarktungsfirma um die Geschicke der Münchner Leichtathletik zu kümmern. "Der Zeitpunkt war für alle günstig", erläutert Franke. Zu Gadenne (einem "Externen", das sei wichtig gewesen) habe er seit Jahren Kontakt. "Ich glaube, das Projekt ist stabil genug, dass ich es jetzt guten Gewissens übergeben kann."

Einige Schritte nach vorne: Christina Hering ist das bekannteste Beispiel für die Entwicklung der LG Stadtwerke München. (Foto: imago/Beautiful Sports)

Vor drei Jahren, als Franke begann, hätte niemand ernsthaft so etwas behauptet. Es gab Streit, zwischen den damals acht Leichtathletik-Abteilungen, zwischen ihnen und Geschäftsführer Norman Feiler, zwischen Feiler und der Stabhochsprunggruppe um Tim Lobinger und Malte Mohr. Die Außendarstellung war so fatal, dass sich wohl auch der Sponsor das nicht mehr lange angesehen hätte. Und mitten hinein in dieses Chaos wagte sich ein zurückhaltender 28-Jähriger. Er war in Berkeley/Kalifornien auf die Ausschreibung aufmerksam geworden, hatte gerade seine Doktorarbeit fertig, die sich mit moralischer Verantwortung nach der Handlungstheorie von Thomas von Aquin beschäftigte. Und nun stellte der gebürtige Münchner den Abteilungsleitern seine Ideen vor. Er wurde vom Gremium ins Kreuzverhör genommen und bestand. "Es war ein harter Auswahlprozess", sagt Franke, dem klar war, dass er vor allem als Moderator gefragt sein würde.

In dieser Rolle hat Franke brilliert. "Er hat mit jedem den passenden Ton gefunden", sagt Reinhard Maier vom TSV Forstenried, "genau das, was wir gebraucht haben." Es sei ja nicht einfach, so ein "Konglomerat" aus Vereinen zu führen, aber Franke sei "ein integrativer Typ". Otto Zelger vom TSV München Ost, Sprecher der Abteilungsleiter, hebt Frankes "Kreativität, Innovationsgeist und großes Engagement" hervor. Franke selbst will seine Arbeit zwar nicht beurteilen, aber auch er klingt nicht unzufrieden. Natürlich könne es bei so vielen Vereinen mit unterschiedlichen Interessen mal etwas lebhafter zugehen bei den Treffen. "Aber es ist uns gelungen, dass alle wieder harmonisch auseinander gehen." Inzwischen hätten alle das Prinzip der Leichtathletik-Gemeinschaft verstanden.

Christopher Franke. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Franke hat in den drei Jahren mehr erreicht, als eine Balance zwischen Einzel- und Gesamtinteressen herzustellen. Seine Ideen hat er großteils umgesetzt. Etwa die Transparenz, für die er beispielhaft das neue LG-Stipendium anführt. Jeder könne heute auf der Homepage lesen, wie viel ihm ein Stipendium bei welcher Leistung bringe; "da muss kein Schulabgänger mehr mit einem Manager über Geld verhandeln". Dann das Prinzip der Regionalität: Franke vertrat die Auffassung, dass prominente Athleten dem Verein nur dann etwas bringen, wenn sie präsent und greifbar sind. Also hat er entweder Athleten aus der Region gefördert, oder andere, wie den 400-Meter-Läufer Kamghe Gaba, verpflichtet, sich in München sehen zu lassen. Das unterschied ihn von seinem Vorgänger, der die Idee verfolgte, durch Einkauf großer Namen Aufmerksamkeit zu erregen - und das Fundament später zu errichten.

Franke hat sich kaum je zur Ära Feiler geäußert. Wenn er freilich über Transparenz sprach, über "klare Angebote auch für den Breitensport" und darüber, dass man stets für alle ansprechbar sein müsse, schwang doch mit, woran es vor seiner Zeit gehapert hat. Nun ist er zuversichtlich, dass sein Weg fortgeführt wird. Es gab kein Kreuzverhör diesmal, keine Ausschreibung, aber natürlich ein intensives Kennenlernen zwischen Gadenne und den Abteilungsleitern.

Als der junge Feingeist Franke damals vorsprach, war der Wunsch nach einer Befriedung groß. "Mit mir waren Hoffnungen verbunden, das hat auch den Druck erhöht", sagt Franke lächelnd. Doch der Mann, der mit einer Zeit von 10,59 Sekunden selbst ein beachtlicher 100-Meter-Sprinter war, hat nicht nur versöhnt. Zwei neue Abteilungen sind seither zur LG gestoßen, darunter das Leichtathletik Förderzentrum München, das an Schulen sichtet.

Franke hat sogar provoziert. Als er vor zwei Jahren hohe Prämien für die bayerischen Meisterschaften auslobte, ging das auch dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) gegen den Strich. Es war eine bewusste Provokation, weil sich München vom DLV bis heute vernachlässigt sieht. Und Franke hat Überraschendes riskiert, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa ein viel beachtetes Podium über das Für und Wider einer Doping-Legalisierung.

In der Vereinsrangliste des DLV, die alle nationalen Bestenlisten von der U16 aufwärts berücksichtigt, wurde München 2013 auf Rang vier geführt - drei Jahre zuvor stand es noch auf Rang 22. Die Kurz- und Langsprint-Teams wurden aufgerüstet, der Andrang im Nachwuchs sei kaum noch zu bewältigen. Zuletzt haben es auch "einige aus den eigenen Reihen" wieder zu deutschen Meistertiteln gebracht, betont Reinhard Maier, wie Christina Hering über 800 Meter. "Das wäre ohne Christopher vielleicht gar nicht möglich gewesen."

© SZ vom 02.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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