Leichtathletik:Riesen in der Rikscha

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Beim 33. Ludwig-Jall-Sportfest im Münchner Dantestadion misst sich die lokale Prominenz mit Startern aus dem Ausland. Einige nutzen den ersten großen Wettkampf des Jahres zu großen Taten.

Von Nico Horn, München

In manchen Fahrzeugen lässt es sich besser aushalten, wenn die eigene Körpergröße limitiert ist. Auf Langstreckenflügen gilt das ebenso wie auf den Rückbänken der meisten Sportwagen, und auch Rikschas sind erstaunlicherweise nicht dazu erfunden worden, zwei mehr als zwei Meter große Kugelstoßer zu transportieren. Aber es half nichts: Beim Münchner Ludwig-Jall-Sportfest darf sich nun mal jeder Gewinner einer Disziplin in der Sieger-Rikscha durchs Dantestadion fahren lassen, und ausgerechnet nach dem Kugelstoßen nahm am Samstag neben dem Sieger Tobias Dahm, 2,03 Meter, auch der zweitplatzierte und noch zehn Zentimeter größere Christian Zimmermann vom Kirchheimer SC im Fahrrad-Taxi Platz.

"Es war tatsächlich relativ gemütlich", scherzte Zimmermann. Nur einmal, "hinten in der Kurve", sei man fast umgekippt. Dass er nach eigener Aussage noch "völlig unzurechnungsfähig" sei, lag aber wohl weniger an der wilden Tour mit dem Kollegen Dahm (VfL Sindelfingen), sondern an seinem erstaunlich guten Ergebnis von 18,88 Metern. Damit lag er nur ein paar Zentimeter hinter Dahm (19,19), immerhin einem Olympia-Teilnehmer von Rio 2016.

"In England sind die Hürden aus Plastik, hier noch aus Holz. Das merkt man", sagt Jake Porter

"Ich weiß eigentlich immer noch nicht, wie ich so weit gestoßen habe", sagte Zimmermann. Die Beine seien schon müde gewesen, berichtete der Kirchheimer, nachdem er zuvor bereits im Diskuswerfen triumphiert hatte. Dort hatte er sich mit 57,73 Metern den Sieg vor dem Italiener Martin Pilato gesichert.

Pilato war nicht der einzige internationale Starter bei dem vom PSV München veranstaltenden Pfingstmeeting. "Wir haben viele Athleten aus dem Ausland verpflichtet, damit wir den lokalen Athleten etwas bieten können, das sie sonst nicht bekommen", erläuterte Christian Gadenne, Geschäftsführer der Münchner Leichtathletik-Gemeinschaft LG Stadtwerke, der sich eigentlich den kompletten Samstag im Stress befand: Mal organisierte er jemanden für die Zeitmessung, dann verteilte er Siegprämien oder deichselte den Shuttle-Service zum Bahnhof oder Flughafen.

Entgegen stand dem Plan mit der internationalen Konkurrenz das Meeting in Rehlingen, das anders als sonst nicht am Pfingstmontag, sondern am Sonntag stattfand, was den Veranstaltern aus dem Saarland mehrere Live-Stunden Fernsehen einbrachte. Auch deshalb legten viele Bundestrainer den Saisonauftakt in ihrer Disziplin nach Rehlingen. Gadenne zeigte dafür Verständnis: "Die haben 20 Jahre mehr Tradition und auch Erfahrung als wir."

Dennoch machten sich einige Europäer, vor allem aus Großbritannien, auf den Weg nach Bayern. So bekam etwa Hürdensprinter Pedro Garcia-Fernandez (LG Stadtwerke) in dem Engländer Jake Porter hochkarätige Konkurrenz. Der knackte in 13,88 Sekunden die Richtmarke von 14 Sekunden und staubte dafür rund 150 Euro Preisgeld ab, während Garcia-Fernandez diese um 0,03 Sekunden verpasste. "10 oder 15 Grad wären besser gewesen", sagte der spanische Wahl-Münchner nach dem Rennen - dabei war es gar nicht so kalt gewesen. Porter habe aber exzellent zu ihm gepasst: "Er ist auch eher hinten raus schnell, also konnte ich mich an ihn dranhängen."

Porter hätte sich dann besser an Garcia-Fernandez gehängt, als es Zeit für die Siegerehrung der Hürdensprinter war. Da waren nämlich alle auffindbar - bis auf den englischen Sieger. Vermutlich befand er sich unter der Dusche oder hatte noch seine aufgeschlagenen Knie zu verarzten. "In England sind die Hürden aus Plastik, hier noch aus Holz, das merkt man", klagte Porter mit einem Zwinkern. Gleich die erste Hürde hatte er umgetreten. Er bekam später seine persönliche Siegerehrung.

Währenddessen startete auf der Anlage eine Suchaktion. Obgleich nicht allzu viele Zuschauer ins Dantestadion gekommen waren, so war die Veranstaltung doch groß genug, um manche Habseligkeit zu verlieren. In diesem Fall hatte eine Athletin laut Stadionsprecher "ihre dunkelblaue Lieblingshose" verloren. Mehrere Fundstücke wurden ihr zugetragen, nur nicht die gesuchte Laufhose. Zuvor hatte bereits eine andere Teilnehmerin ihr drei Meter langes Maßband (rosa) verlegt. Ob auch sie wieder in dessen Besitz gelangte, blieb unklar, die Laufhose jedenfalls tauchte wieder auf.

Am frühen Abend, als der Fundsachen-Betrieb zum Erliegen gekommen war, kam dann die aktuell wohl bekannteste Münchner Leichtathletin zu ihrem ersten Auftritt: Christina Hering. Zunächst startete sie über 400 Meter, eine Distanz, die sie nach eigener Aussage mag, die aber doch nur halb so lang ist wie ihre 800-Meter-Paradestrecke. Mit dem dritten Platz war sie nicht unbedingt zufrieden. Dass Hering das Tempo der Portugiesin Catia Azevedo nicht würde mitgehen können, war schon vor dem Start relativ klar, aber als dann auch Corinna Schwab (TV Amberg) an ihr vorbeizog, sei sie "fest geworden", berichtete die 23-Jährige. "Es ist jetzt keine Schande, aber ich wäre vor heimischem Publikum gerne mit einem besseren Gefühl gelaufen", bilanzierte sie. Gegen Ende des Tages in Gern wollte Hering dann noch einmal über 1500 Meter "Tempo machen", für drei ihrer Teamkolleginnen. Das gelang: Bis in die Schlussrunde konnte sie Katharina Trost und Co. ziehen. Trost siegte in einer Zeit knapp unter 4:20 Minuten, gefolgt von Mareen Kalis und Christine Gess.

Zu diesem Zeitpunkt war auch der Dreisprung der Männer schon vorbei. Münchens Paul Walschburger hatte sich im letzten Versuch mit neuer persönlicher Bestweite von 15,95 Meter gegen seinen Stadtwerke-Kameraden David Kirch durchgesetzt, laut bejubelt vom gemeinsamen Trainer Richard Kick. Selina Dantzler jubelte weniger laut. Die U18-Weltmeisterin war nach der Absage ihrer Trainingskollegin Amelie Döbler quasi konkurrenzlos im Kugelstoßen der Unter-20-Jährigen. Über ihren Sieg freute sie sich kaum. Dantzler steckt gerade in den Abiturprüfungen, ihr Ziel, nebenbei die Norm für die U20-WM (15,50 m) zu schaffen, verpasste sie um 14 Zentimeter. "Für den ersten richtigen Wettkampf des Jahres war es okay, aber es wäre schon schön gewesen, die Norm jetzt zu haben", sagte die 18-Jährige. Lange musste sie sich nicht grämen. Denn schon tags darauf bei der Werfergala in Frankenberg machte sie mit 15,66 Meter einen Haken hinter die Norm für die U20-WM in Tampere. Das war allemal besser als eine Rikscha-Fahrt im Dantestadion.

Das galt auch für LG-Hochspringer Tobias Potye. Der musste München auslassen, dafür ließ er in Rehlingen so manchen internationalen Mitbewerber hinter sich: als Dritter mit 2,21 Meter. In der Rikscha hätte es dem Schlaks eh an Beinfreiheit gefehlt.

© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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