Leichtathletik:Reizende Aussichten

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Die deutschen 400-Meter-Meister David Gollnow und Kamghe Gaba verlassen München. Damit verliert die LG Stadtwerke zwei Trümpfe ihrer besten Staffel. Beide wollten sich vor der Olympia-Saison neu orientieren. Auch Hürdenläuferin Lisa-Marie Jacoby geht

Von Andreas Liebmann und Alexander Mühlbach, München

Es gibt zwei David Gollnows in den endlosen Weiten des Internets. Mindestens. Auf der Facebook-Seite des einen posiert er im aktuellsten Eintrag vor dem Glasturm einer Heidelberger Hochschule, an der er künftig studieren wird. Auf der Seite des anderen wurde kürzlich ein Foto veröffentlicht, auf dem er im dunklen Anzug eine Braut trägt. In Gunzenhausen, irgendwo in Mittelfranken. Die eine Seite wird betrieben von Gollnow, dem Leichtathleten, die andere von Gollnow, dem Privatmann. Gemeinsam haben beide, dass sie kürzlich ihren Lebensmittelpunkt verlegt haben, weg von München. Weshalb die LG Stadtwerke nun auf ihren 26-jährigen 400-Meter-Sprinter aus Erding verzichten muss, den deutschen Meister von 2013.

"Das war am allerletzten Tag der Wechselfrist", erzählt Gollnow, aber sein Entschluss habe sich länger angedeutet. "Ich habe in München niemanden vor den Kopf gestoßen." Englisch und Sport auf Lehramt hatte Gollnow, der gebürtige Thüringer, in München studiert, doch das sei irgendwann "nicht mehr das Wahre" gewesen. Also hat er nun begonnen, Physiotherapie zu studieren, für vier Jahre, er hat sich an der SRH Hochschule in Heidelberg eingeschrieben und ist mit seiner Frau Marleen dorthin gezogen. Das hätte noch nicht bedeuten müssen, dass er die Münchner Leichtathletik-Gemeinschaft verlässt: "Ich hatte erfolgreiche Jahre dort." Doch Mannheim ist nicht weit entfernt, dort gibt es die renommierte Trainingsgruppe des Sprint-Bundestrainers Valerij Bauer, die unter anderem die 100-Meter-Europameisterin Verena Sailer hervorgebracht hat. Die SRH-Hochschule kooperiert mit dem örtlichen Olympiastützpunkt und unterstützt ihre Sportler. Stück für Stück dürfte in Gollnow die Überzeugung gewachsen sein, dass ein Wechsel zur MTG Mannheim vor der Olympiasaison das Beste wäre. "Das ist verständlich und völlig in Ordnung", findet Christian Gadenne, der für die LG München verantwortliche Geschäftsführer.

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(Foto: Franck Fife/Afp)

Die Münchner Staffeln verlieren Top-Leute wie David Gollnow.

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(Foto: Johannes Simon)

Lisa-Marie Jacoby kehrt zu ihrem alten Klub zurück.

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(Foto: Steffen Schmidt/dpa)

Kamghe Gaba schließt sich einem neuen Verein an.

Kamghe Gaba besitzt auch zwei Facebook-Seiten. Eine ist schon etwas älter, man sieht dort viele Fotos, auf denen der 2,02-Meter-Mann aussieht wie ein cooler Gangster-Rapper. Auf der neueren sitzt der 400-Meter-Läufer lächelnd neben seiner Frau und dem gemeinsamen Baby. Vor sechs Wochen ist der dreimalige deutsche Meister Vater geworden, er postet Spaziergänge mit dem Kinderwagen, man sieht seinen Sohn, wie er auf Papas Bauch schläft. Nur ein Eintrag sticht aus dem Rest heraus: Auch Gaba, 31, gibt bekannt, dass er nach fünf Jahren München verlässt und zurück nach Frankfurt wechselt.

Die Entscheidung, betont Gaba, sei ihm nicht leicht gefallen. Er hatte mit Gollnow einen guten Kollegen im Verein, mit dem er bei deutschen Meisterschaften in der 4×400-Meter-Staffel mehrere Medaillen abräumte. In Frankfurt wird er das so nicht mehr erleben. Er ist der einzige echte 400-Meter-Sprinter in der Trainingsgruppe um Bundestrainer Volker Beck. Der Wechsel sei "wegen der finanziellen Situation" erfolgt, erklärt Gaba.

Im zweiten Jahr nacheinander habe die LG Stadtwerke weniger Geld vom Hauptsponsor erhalten. Weshalb Gaba nach eigenen Angaben schon im vergangenen Jahr weniger Gehalt bekommen habe, obwohl er mit Rang sechs bei den Europameisterschaften in Zürich das beste Ergebnis seiner Karriere erzielte. "Trotzdem bin ich damals nicht gegangen", sagt Gaba. Auch für nächste Saison hatte er laut Geschäftsführer Gadenne in München zugesagt, der Familienzuwachs hat ihn aber dazu bewogen, keine weitere Kürzung hinzunehmen. "Ich bin zu 100 Prozent Leistungssportler und arbeite nebenher nicht", erklärt Gaba, "deswegen muss man da manchmal strikt sein." Der 31-Jährige kann nun in finanzieller Hinsicht gelassener in die Olympiasaison starten: Sowohl die LG Eintracht Frankfurt als auch die Frankfurter Sportstiftung unterstützen ihn. Gabas Lebensmittelpunkt sei immer Frankfurt gewesen, sagt Gadenne, "der Wechsel ergibt Sinn. Aber Kamghe war gerne hier und gern gesehen, er war eine Bereicherung für das Team."

Auch 400-Meter-Hürdenläuferin Lisa-Marie Jacoby müssen die Münchner nach nur einem Jahr ziehen lassen. Die 19-Jährige bekam in München nicht den erhofften Medizin-Studienplatz, daher kehrt sie nach Thüringen zurück. Ihr Jahr in München war von einer Fußverletzung geprägt, kurz vor Saisonende gewann sie Bronze bei den deutschen U20-Meisterschaften.

Auch David Gollnow, der sich vor Jahren schon von seiner 400-Meter-Hürden- auf die Flachstrecke verlegt hatte, musste zuletzt mit Verletzungen kämpfen. Die vergangene Hallensaison verpasste er wegen Knieproblemen, die ihn auch die Teilnahme an der Staffel-WM kosteten; die Freiluftsaison beendete er vorzeitig im Juni wegen eines Ödems im Mittelfuß. Auch dieses verkorkste Jahr sei "ein Grund für den Wechsel", sagt Gollnow. "Ich erhoffe mir neue Reize." Gerade vom Sprinttrainer Bauer. Dafür muss er allerdings auf die starke 400-Meter-Trainingsgruppe in München verzichten. Sein Vater Olaf, der ihn seit vielen Jahren trainiert, schreibt noch an seinen Trainingsplänen mit, wird allerdings in München bleiben und weiter mit Martina Riedl und Benedikt Wiesend arbeiten.

Gerade ist die Vereinsrangliste des Deutschen Leichtathletik-Verbands erschienen, die die Platzierungen aller Kaderathleten summiert. Die LG Stadtwerke ist Dritter. Im Vorjahr war es Rang sieben. Die stärkste Staffel der Münchner ist durch die Weggänge von Gaba und Gollnow nun allerdings geschwächt. Über 4×400 Meter werden künftig wohl Wiesend, Johannes Trefz, Tobias Giehl und Laurin Walter gesetzt sein. Geschäftsführer Gadenne sieht das zweckoptimistisch: "Um eine deutsche Medaille können wir auch so mitlaufen."

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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