Leichtathletik:Rechtzeitig in Topform

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Hat ihre internationale Erfahrung genutzt: Christina Hering. (Foto: Arndt Falter / oh)

Bis zur Universiade in Neapel lief für die Münchnerin Christina Hering in diesem Jahr noch wenig nach Plan. Dort dann umso mehr: Über 800 Meter holt sie am Mittwoch Silber.

Von Andreas Liebmann, Neapel/München

Irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild. Die LG Stadtwerke München hatte es vor Beginn der Universiade in Neapel nicht zum ersten Mal verschickt, und sie sahen nett darauf aus, keine Frage: Christina Hering und Katharina Trost, die beiden 800-Meter-Läuferinnen, lächelten gemeinsam in die Kamera. Sie standen dabei Rücken an Rücken. Schulter an Schulter. Und genau das war es: Hering, die um einige Monate Ältere, ist in Wirklichkeit ja 20 Zentimeter größer als Trost.

Sportlich sind die beiden 24-Jährigen inzwischen auf Augenhöhe, insofern passte das Bild durchaus. Trost hat sich in den zurückliegenden Monaten stark verbessert, lief die etwas schnelleren Zweiten, gewann auch das direkte Duell bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig in einem unfassbar knappen Fotofinish. Aber als die Freundinnen danach Hand in Hand ihre Ehrenrunde drehten, sah man doch deutlich, dass sich auf Augenhöhe der einen eher das Brustbein der anderen befand. Für das gemeinsame Werbefoto hatte man Trost deshalb auf einen Wasserkasten gestellt.

Es wäre nicht überraschend gewesen, wenn Hering und Trost nach dem Finale in Neapel am Mittwochabend erneut Hand in Hand über die Bahn gelaufen wären, vielleicht sogar mit zwei Medaillen; vielleicht hätten sie in einem gemeinsamen Lauf taktisch irgendetwas ausgeheckt, das einer von ihnen den Sieg gebracht hätte. Doch nur eine drehte am Abend ihre Runden vor den Fotografen. Trost, die im Gegensatz zu Hering zuvor die geforderte Norm erfüllt hatte, war am Dienstag im Halbfinale als Fünfte ausgeschieden. Hering aber strahlte nun und wickelte sich in eine Deutschlandfahne ein. Sie war Zweite geworden. "Super gefreut" habe sie sich: "Als die Fahnen bei der Siegerehrung hochgezogen wurden, das war schon sehr emotional."

Drei Rennen an drei Tagen nacheinander hatten die Finalistinnen zu absolvieren, das habe man auch durchaus gespürt, gab Hering zu - zumal es in den Tagen von Neapel gut 30 Grad hatte. Die Halbfinals am Dienstag begannen denkbar ungünstig, ihr Bus habe sich auf dem Weg zum Stadion verfahren und sei in einen Stau gesteuert. Die Anfahrt war immer wieder ein Problem und Ausdruck eines gewissen Organisationschaos, in diesem Fall kamen Trost und Hering gerade noch so pünktlich zum Aufwärmen. "Aber eineinhalb Stunden im Bus sitzen und Angst haben, ob man es noch rechtzeitig schafft, ist nicht gerade eine ideale Wettkampfvorbereitung", sagte Hering. Vielleicht sei das diesmal ihr kleiner Vorteil gewesen, dass sie dank ihrer größeren internationalen Erfahrung derartige Widrigkeiten leichter habe ausblenden können. Trost jedenfalls wirkte nicht so leichtfüßig wie sonst. Sie habe sich beim Aufwärmen super gefühlt, erzählte sie später, im Rennen aber gemerkt, dass sie nicht voll da sei. Sie sah verkrampft aus, als die spätere Siegerin Docus Ajok (Uganda) vorbeizog. Nach 500 Metern habe sie nur noch das Ziel gehabt, als Dritte über eine gute Zeit weiterzukommen, doch auch das misslang. "Das lag nur am Kopf", glaubt Hering.

Sie selbst gewann ihr Halbfinale. Hatte Glück, dass sich in der letzten Kurve auf der Innenbahn eine Lücke auftat, durch die sie hindurchschlüpfte. Überholte dann in einem typischen, langbeinigen, willensstarken Schlussspurt, wie man ihn früher oft von ihr sah, die drei vor ihr liegenden Rivalinnen. Und war glücklich. Ein internationales Halbfinale hatte sie auch noch nie gewonnen, und dann war sie ja mit allerhand suboptimalen Voraussetzungen angereist. Ein Bänderriss hatte ihre Vorbereitung gestört, Mitte Juni kam ein Magen-Darm-Infekt, und das hochkarätige Meeting in Tübingen, das vor gut zwei Wochen als Formtest anstand, war wegen eines Unwetters ausgefallen: "Dieses Jahr ist noch nicht so viel nach Plan gelaufen. Umso mehr freut es mich, dass ich hier in Topform war."

Die offensive Taktik fürs Finale, die sie angekündigt hatte, war dann zunächst nicht zu erkennen. Als das Feld zusammenkam, scherte Hering als Vorletzte ein. Den angestrebten Lauerplatz im Mittelfeld musste sie sich auf der ersten Zielgeraden schwer erkämpfen. Nach 600 Metern wollte sie es dann aber wissen, ging in Führung. Die große Favoritin Catriona Bisset aus Australien konnte kontern, gewann in 2:01,20 Minuten, mit zwei Schritten Vorsprung. Die kräftige Ajok aus Uganda aber kam an Hering nicht mehr heran. "Ich bin froh, dass ich mich an der Australierin festgebissen habe", sagte Hering. Die sei bei ihrem ersten internationalen Rennen in herausragender Form gewesen. Es sei richtig gewesen, sich nicht auf die Zielgerade zu verlassen, sondern vorher anzugreifen.

Hering hat es diesmal besser hinbekommen als vor zwei Jahren bei der Universiade in Taipeh. Damals, am Ende einer langen Saison, ging ihr die Kraft aus, im Finale kam sie als Letzte an. Und Trost? "Für sie war es superschade. Sie ist so schnell geworden, dass sie im Halbfinale schon eher Gejagte als Jägerin war, das macht einem natürlich Druck", sagte Hering - und lobte: "Kathi war am Mittwoch schon beim Aufwärmen dabei und hat den ganzen Tag lang versucht, mich zu unterstützen. Dabei war es sicher nicht leicht für sie, sich dieses Finale anzusehen."

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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