Leichtathletik:Rausch der zwei Geschwindigkeiten

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Seine Sprinterlaufbahn hat Tobias Schneider zugunsten einer Bobsport-Karriere beendet. Sein spontanes Gastspiel beim Munich Indoor bringt ihm dennoch einen verblüffenden Sieg ein. Und mit seiner 60-Meter-Zeit ist er nun sogar für die deutsche Hallenmeisterschaft qualifiziert

Von Philipp Jakob, München

So ganz konnte es Tobias Schneider nicht fassen. Sein Blick wanderte immer wieder auf den Anzeigenmonitor in der Werner-von-Linde-Halle. Er grinste breit. In gelber Schrift auf schwarzem Grund stand dort geschrieben: Bahn drei, 6,87 Sekunden, Platz eins. Auf eben jener Bahn drei hatte Schneider beim Munich Indoor soeben den 60-Meter-Sprint absolviert. "Das war so nicht abzusehen", urteilte der Athlet der LG Stadtwerke München nach der folgenden Siegerehrung. Er war verblüfft und überglücklich.

Nur zum Spaß hatte Schneider am vergangenen Samstag am Munich Indoor teilgenommen, es war das erste Mal seit Monaten, dass er in einem Startblock stand. Mit so einer Zeit habe er niemals gerechnet, das betonte der 24-Jährige immer wieder. "Das kam völlig überraschend." Selbst mit der Urkunde in der Hand konnte er offenbar nicht ganz glauben, was passiert war: Denn seine 6,87 Sekunden bedeuteten nicht nur den Sieg, sondern sie qualifizierten ihn vor allem für die deutsche Hallenmeisterschaft am 18. und 19. Februar in Leipzig. Dabei sei er quasi ohne Vorbereitung gestartet, "einfach um mal zu schauen, was geht." Es ging eine Menge.

Der Grund für die fehlende Vorbereitung ist recht simpel: Tobias Schneider hat der Leichtathletik im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt. "Es ist einfach an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren", dachte er damals, er setzte sich in einen Viererbob und rast seitdem durch den Eiskanal. Seit September ist er als Anschieber und Bremser im Team von Christoph Hafer dabei. Ein Sieg beim Europacup in Königssee steht bereits auf seinem Konto, und seit knapp zwei Wochen darf sich Schneider Vize-Juniorenweltmeister im Viererbob nennen. Eine Entwicklung, mit der der ehemalige Top-Sprinter der LG Stadtwerke nicht unbedingt gerechnet hat. "Ich bin früher nie auf die Idee gekommen, dass ich als Sprinter dafür in Frage komme", sagt Schneider. "Mittlerweile ist mir aber klar: Ich kann relativ schnell laufen, also kann ich auch schnell einen Bob bewegen."

Ein Mann, zwei Sportlerleben: Tobias Schneider beim Munich Indoor in der Werner-von-Linde-Halle. (Foto: Claus Schunk)

Erstmals kam Schneider 2013 mit dem Bobsport in Kontakt. Damals wurden er und Christian Rasp, sein Kumpel und damaliger Sprinterkollege bei der LG Stadtwerke, zu einer Probefahrt eingeladen. Rasp blieb hängen und startete im Bobsport statt in der Leichtathletik durch. 2015 feierte er erste Erfolge im Europacup, als Anschieber von Johannes Lochner gewann der 27-Jährige Anfang des Jahres den Zweierbob-Weltcup in St. Moritz sowie den Europameistertitel im Viererbob. Schneider entschied sich zunächst anders. Er verfolgte weiterhin seinen Traum von einer Karriere in der Leichtathletik.

Im selben Jahr, in dem die beiden Freunde erstmals in einen Bob stiegen, lief Schneider eine neue persönliche Bestzeit über 100 Meter. Mit 10,68 Sekunden durchbrach er endlich die 11-Sekunden-Schallmauer, bis dato sein größter Erfolg. "Damit war mir eigentlich klar, da geht vielleicht noch ein bisschen mehr", erzählt Schneider, der mehrmals bayerische Meisterschaften im Sprint sowie in der Staffel gewann und schier unglaubliche 14 Mal in Serie zum Sportler des Jahres in seinem Heimatlandkreis Roth in Franken gewählt wurde. Ein Umstieg in den Bobsport stand deshalb nicht zur Debatte. Noch nicht.

Drei Jahre später war die Situation eine andere: "Verletzungen haben mir leider immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht", erzählt Schneider. Nach 20 Jahren Leichtathletik war es Zeit für eine Veränderung. Wieder setzte er sich in einen Bob und schaffte es schließlich in das Team von Hafer. Und sogar in den Bundeskader. "Ich habe damit das erreicht, was ich immer erreichen wollte" - wenn auch in einer anderen Sportart. Im Bobsport hat Schneider eine neue Leidenschaft gefunden, für die er sogar sein Lehramt-Studium geschmissen hat. Beides sei aus zeitlichen Gründen nicht vereinbar. Dafür winkt ab März die Aufnahme in eine Sportfördergruppe der Polizei.

Tobias Schneider beim Europacup in St. Moritz. (Foto: Privat)

Die Faszination, die der Bobsport auf Schneider ausübt, liegt vor allem im "absoluten Geschwindigkeitsrausch". In einem Eiskanal beschleunigt ein Viererbob locker auf bis zu 140 Stundenkilometer, auch dank Anschieber Schneider. Um noch schneller zu werden, hat er in den vergangenen Monaten acht Kilogramm Muskelmasse zugelegt, zudem holt er sich Tipps von Rasp, mit dem er ständig in Kontakt steht. "Ich will immer ans Limit gehen, noch schneller, noch besser werden", sagt Schneider. "Das war auch als Sprinter so."

Nun ist er nicht nur ein guter Anschieber, sondern kann die Konkurrenz auch auf der Tartan-Bahn immer noch hinter sich lassen. Ausflüge wie nach München werden trotzdem Gastspiele bleiben, sagt er, sein Fokus liegt auf seiner neuen Leidenschaft, dem Bobfahren. Bei der deutschen Hallenmeisterschaft will er trotzdem starten. Um mal zu schauen, was da so geht.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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