Leichtathletik:Nur ein einziger Schritt

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Die Freude vor dem großen Knall: Korbinian Suckfüll winkt beim Einlaufen dem Gräfelfinger Publikum. (Foto: oh)

Dem Gräfelfinger Stabhochspringer Korbinian Suckfüll reißt bei seinem Comeback die Achillessehne.

Von Andreas Liebmann, Gräfelfing

"Es war ein bisschen turbulent", untertrieb Korbinian Suckfüll - und ob man es glauben mochte oder nicht: Der 21-Jährige schien zu lachen. Es klang nicht nach einem bitteren, höhnischen Lachen, als er von seinem so gründlich verkorksten Wettkampf erzählte. Wie er so dasaß auf der Tribüne des "Touch-the-Clouds"-Festivals und den anderen Stabhochspringern bei deren Erfolgen zusah, den kaputten rechten Fuß dick eingewickelt und hochgelagert, sah er beinahe fröhlich aus.

Das war am Sonntagnachmittag, strahlender Sonnenschein, knapp 300 Zuschauer im Stadion des Gräfelfinger Kurt-Huber-Gymnasiums. Der Karlsruher Vincent Hobbie etwa, gleicher Jahrgang wie er selbst, sprang eine neue Bestleistung, 5,50 Meter. Stürmischer Applaus. Am Montagmorgen wurde Suckfüll dann operiert.

Sein Trainer Matthias Schimmelpfennig stand am Sonntag unmittelbar neben ihm, als es passierte. Er beobachtete seinen Schüler beim Anlauf. "Er steht auf dem linken Fuß, macht mit rechts den ersten Schritt, dann habe ich gesehen, wie er wegknickt", schilderte Schimmelpfennig. Auf 4,51 Meter lag die Latte, für viele eine schwindelerregende Höhe. Für Suckfüll war es die Einstiegshöhe in das Turnier, erster Versuch. Er hatte mehr vor. Wahrscheinlich sogar sehr viel mehr. Doch er kam nur einen einzigen Schritt weit - dann war seine Achillessehne durchgerissen.

"Vielleicht war er etwas übermotiviert", mutmaßte sein Trainer hinterher, "vielleicht hatte er auch noch etwas Muskelkater." Es sollte Suckfülls erster Wettkampf seit Langem sein. Seit eineinhalb Jahren wurde er immer wieder von Schmerzen am rechten Sprunggelenk zurückgeworfen, für die niemand eine richtige Erklärung hatte. Trotz vieler Untersuchungen, vieler unterschiedlicher Diagnosen, zahlreicher Therapieversuche. Der rechte ist nicht sein Sprungfuß, immerhin, das lässt die Prognose nach der Verletzung nun etwas günstiger klingen - aber die langwierigen Schmerzen zuvor waren dadurch noch verwunderlicher gewesen. "Die Ärzte haben herumgerätselt", erzählte Schimmelpfennig, "am Ende ist man dann total verunsichert." Der Athlet ebenso wie der Trainer. Er habe lange überlegt, ob er seinem Springer die Rückkehr nicht ausreden sollte.

Korbinian Suckfüll wollte sich diese Saison nicht nehmen lassen. Nicht den Auftritt beim großen Heimwettkampf, den er mit fröhlichem Winken ins Publikum begann. Nicht die Chance, sich im Sommer für die deutsche Meisterschaft der Aktiven zu qualifizieren. Und auch nicht die zuletzt immer vager gewordene Hoffnung, vielleicht doch noch rechtzeitig zumindest in die Nähe einer Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zu springen. Viel Zeit war ihm schon verloren gegangen, aber ein bisschen von diesem Traum war wohl immer noch übrig gewesen.

"Rein sportlich hat das jetzt keine sehr gravierenden Folgen", versucht Schimmelpfennig die Verletzung einzuordnen. An die U23-Europameisterschaft in diesem Jahr zu denken, wäre ohnehin "utopisch" gewesen. Ansonsten sei da nicht viel, was sein Athlet verpasse. Wenn alles gut läuft, könne er im Oktober wieder fit sein. Doch die langfristigen Folgen seien nicht absehbar. Wie Suckfüll es nun wegsteckt, "dass wieder lange nichts geht"; wie die ohnehin vorhandene Frage, wie viel man als Amateursportler in den Sport und ab wann man vielleicht doch lieber in die Ausbildung investieren sollte, nun in ihm arbeiten wird. Suckfüll studiert Maschinenwesen. Seine Bestleistung von 5,20 Meter hat er vor einem Jahr am Tegernsee aufgestellt - noch nicht genug, um vom Verband gefördert zu werden. "Der Bundeskader war ein Traum", weiß Schimmelpfennig, "der ist erst mal ausgeträumt."

Korbinian Suckfülls Herz hängt am Stabhochsprung. Auch deshalb hat er vor zwei Jahren, nachdem er bei einem Ausflug zum Zehnkampf völlig überraschend deutscher U23-Meister wurde, trotzdem weiter an seiner Lieblingsdisziplin festgehalten. Aber nun wird er erst einmal monatelang ausfallen. Vielleicht, hofft Schimmelpfennig, würden im Zuge der Ruhigstellung, die der Sehnenriss nun erfordert, ja auch gleich die rätselhaften Schmerzen im Sprunggelenk verschwinden; ganz vielleicht sei er nun ja sogar erleichtert, dass ihm sein Körper die schwierige Entscheidung abgenommen habe, ob er in dieser Saison wirklich springen solle oder besser noch nicht. Der Rest des Team sei am Sonntag jedenfalls "geschockt" gewesen. Ein Achillessehnenriss sei ja keine Kleinigkeit.

Andererseits gibt es Beispiele von Karrieren, die trotzdem weitergingen. Wie die von Björn Otto, dem deutschen Rekordhalter, der gleich drei davon wegstecken musste. Und der Jahre später sagte: "Es ist schon mal viel wert, dass ich beim Loslaufen nicht mehr darauf hoffen muss, vorne mit zwei gesunden Beinen anzukommen." So weit zu kommen, wäre dann wohl der nächste Schritt.

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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