Leichtathletik:Münchner Luxusproblem

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Die LG Stadtwerke kann sich über ein reges Wachstum im Nachwuchsbereich freuen, doch die Mitgliedsvereine stoßen an Grenzen

Von Alexander Mühlbach, München

Es könnte alles so schön sein. Immer wieder blickt Christian Gadenne in den Innenraum der Werner-von-Linde-Halle. Dort, wo sich für die Munich Indoors Hunderte von Nachwuchsleichtathleten tummeln, wo kein Zuschauerplatz frei blieb, wo ein Rennen nach dem anderen gestartet wird. "Das ist doch Wahnsinn hier", sagt der Geschäftsführer der Leichtathletik-Gemeinschaft (LG) Stadtwerke München so leise, dass man es bei dem ganzen Geräuschpegel kaum versteht. "Wir haben in unserer Startgemeinschaft so viele Kinder wie noch nie zuvor", sagt Gadenne und strahlt. Die LG, die noch vor wenigen Wochen angekündigt hatte, Deutschlands bester Verein werden zu wollen, wird in den kommenden Jahren mehr Talente ausbilden als je zuvor. Es könnte wirklich alles so schön sein. Dann aber, sagt Gadenne diesen einen Satz, der die Stimmung vermiest: "So langsam kommen wir im Nachwuchsbereich an unsere Kapazitätsgrenze. Manche unserer Mitgliedsvereine wissen gar nicht mehr, was sie tun sollen."

Gadenne klingt besorgt, wenn er das sagt, obwohl sich die LG München damit ein wahres Luxusproblem eingehandelt hat. Deutschlandweit laufen der Leichtathletik immer mehr Mitglieder davon. Jedes Jahr gehen der Sportart bis zu zwei Prozent ihrer Athleten verloren. Auf Anfrage erklärt der Bayerische Leichtathletik-Verband (BLV) zwar, dass er mit den Zahlen derzeit zufrieden sei, weil man den Mitgliederschwund in den vergangenen Jahren einigermaßen habe bremsen können. Aber auf dem Land müssen dennoch immer mehr Leichtathletikabteilungen mangels Mitgliedern oder qualifizierten Trainern geschlossen werden. Nur in Großstädten wie in München ist das nicht der Fall.

Schöner Anblick: Wie hier bei den Munich Indoors in der Werner-von-Linde-Halle ist bei Jugend-Veranstaltungen immer viel geboten. (Foto: Johannes Simon)

Im Gegenteil: Hier, sagt Gadenne, könnten sie gar nicht so schnell neue Kinder-Trainingsgruppen gründen, wie sie gefüllt werden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens liegt das am gewaltigen Zuzug in der Stadt, seit 2009 ist München um mehr als 100 000 Einwohner gewachsen, vor allem viele junge Familien sind hinzugekommen. Tendenz steigend. Zweitens ist die Leichtathletik für viele Eltern alleine aus pragmatischen Gründen interessant. "Wir profitieren davon, dass viele Fußballklubs in München wegen der großen Nachfrage Aufnahmetests und sogar Aufnahmestopps eingeführt haben", sagt der LG-Geschäftsführer. Danach sei die Leichtathletik eine der großen Alternativen, gerade weil sie den Kindern im frühen Alter so viel beibringen könne: Schnelligkeit, Koordination, Teamgeist. Rund die Hälfte der 3000 LG-Mitglieder sind inzwischen unter 18 Jahre alt. Nun aber scheint die LG fürs Erste nicht mehr weiter wachsen zu können.

Immer wieder erzählt Gadenne von verschiedenen Mitgliedsvereinen, die allesamt dasselbe Schicksal teilen. Die Trainingsgruppen werden größer, weshalb die Vereine verzweifelt nach neuen Trainern suchen, dabei allerdings - wenn überhaupt - nur engagierte Eltern finden, die bestenfalls als Betreuer aushelfen können. Der TS Jahn München musste deshalb beispielsweise einen Aufnahmestopp für alle Trainingsgruppen für Siebenjährige und ältere Kinder einführen. Der USC München konnte einen Aufnahmestopp gerade so verhindern, obwohl die Kindertrainingsgruppen mit bis 50 Teilnehmern recht voll sind. Während der SC Gröbenzell ebenfalls so langsam für alle Kinder unter 14 Jahren an die Kapazitätsgrenze kommt.

LG-Geschäftsführer Christian Gadenne ist zwiegespalten. (Foto: Lukas Barth)

Der BLV ist etwas überrascht von dem Problem. "Bislang ist keiner der Vereine offiziell an uns herangetreten", sagt der BLV-Vizepräsident Leistungssport Gerhard Neubauer. Dennoch ist dem Verband das Problem bekannt, dass viele Vereine keine qualifizierten Übungsleiter mehr finden. Zwar würden laut Neubauer jedes Jahr in ganz Bayern bis zu 150 neue Trainer ausgebildet. Allerdings würden danach nur wenige Übungsleiter sofort eine Trainingsgruppe übernehmen. "Uns gehen viele einfach wieder verloren", sagt Neubauer. Für die meisten Teilnehmer wäre ein Trainerposten doch zu zeitintensiv, oder aber sie trainieren ältere Athleten, die sich schon auf eine Spezialdisziplin konzentriert haben. Neubauer weiß aber auch, dass engagierte Eltern kein vollwertiger Ersatz sein können: "Wenn ich mein Kind in einen Sportverein schicke, möchte ich doch auch, dass es dort professionell betreut wird", sagt der Funktionär.

Trotzdem wissen weder der Verband noch die LG Stadtwerke München derzeit, wie sie das Problem lösen sollen. Die LG sucht schon zum jetzigen Zeitpunkt nach Trainern, der Verband bildet so viele aus, wie es eben geht. Neubauer präsentiert noch ein Konzept, das beispielsweise der TSV München-Ost umsetzt. Dort werden Sportlehrer, die gerade erst ihren Uniabschluss gemacht haben, fest angestellt, um die Trainingsgruppen zu betreuen. "Aber das muss sich der Verein eben auch erst einmal leisten können", sagt Neubauer.

Zurück bleibt Ratlosigkeit. Auch angesichts der Tatsache, dass die Stadt München laut eigenem Demografiebericht bis 2028 noch um weitere 15 Prozent wachsen soll. Mehr Familien werden in die Stadt ziehen und damit die Sportvereine vor eine noch größere Herausforderung stellen als bisher. "Aber wenn es unser einziges Problem ist, dass zu viele Kinder Sport treiben wollen", sagt Neubauer, "dann ist das ein super Problem."

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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