Leichtathletik:Letzte Sackgasse vor Rio

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"Viel knapper kann man nicht scheitern": Tobias Giehl, hier bei der EM in Amsterdam, darf nun doch nicht in Rio starten. (Foto: Imago/GEPA)

Eine Woche lang gehörte Tobias Giehl zum deutschen Olympia-Aufgebot, nun ist der 400-Meter-Hürdenläufer aus dem Trainingslager abgereist. Der Weltverband hatte ihm nicht die erhoffte Einladung ausgesprochen

Von Andreas Liebmann, München

Wer dieser Tage Volker Beck anruft - den Leichtathletik-Bundestrainer, nicht den Politiker -, dem vertreibt, während es läutet, Bobby McFerrin die Langeweile. "Don't worry, be happy", dudelt es, gräm dich nicht, sei fröhlich. So fröhlich klingt Beck dann gar nicht, als er rangeht. Nein, leider nichts Neues, teilt er am Dienstag mit. Am Morgen sei er mit Tobias Giehl, seinem 400-Meter-Hürdenläufer, noch zusammengesessen und habe versucht, ihn aufzumuntern: Klar sei die Situation "nervig", andererseits sei Giehl ja nun mit den anderen deutschen Olympiastartern hier in Kienbaum im Trainingslager - "er hätte jetzt auch in München sein können". Seit Tagen hofften Beck und Giehl auf die nachträgliche Einladung vom Weltleichtathletik-Verband IAAF zu den Olympischen Spielen, obwohl Giehl die Norm knapp verpasst hatte. Noch hatten sie nichts gehört. Dabei war tags zuvor die Frist abgelaufen.

Später am Abend platzte Giehls Traum. In einer Pressemitteilung des Deutschen Olympischen Sportbunds stand, dass er nicht mehr zum Olympiaaufgebot zählte, ebenso wenig wie Hammerwerferin Charlene Woitha (Berlin) und die 1500-Meter-Läuferinnen Diana Sujew (Frankfurt) und Maren Kock (Regensburg). Sie alle hatten die Norm verpasst, waren vom DOSB aber unter Vorbehalt nominiert worden für den Fall, dass die IAAF sie nachträglich einlädt. Ein übliches Prozedere. Doch die Einladung kam nicht. "Passt schon, ich bin jetzt nicht am Boden zerstört", sagt der 24-Jährige tags darauf, aber natürlich sei das für ihn jetzt "ein bitteres Ende einer nervenaufreibenden Woche". Am Mittwoch fuhr Giehl zurück nach München. Er hätte auch im Trainingslager nahe Berlin bleiben dürfen, doch das wollte er nicht. "Hier gibt es nur ein Thema", sagt er, "und bei dem kann oder will ich jetzt nicht mitreden."

Eine Woche lang war Giehl Teil des Olypiakaders. Am Freitag wäre Einkleidung gewesen. "Viel knapper kann man nicht scheitern", sagt er. Bei der Europameisterschaft in Amsterdam hatte er im Halbfinale die ungünstige Außenbahn erwischt und sich etwas in der Rennaufteilung vertan. Am Ende fehlte ihm eine Zehntelsekunde zur Norm. Kurz entschlossen reiste er von Amsterdam nach Mönchengladbach, um dort bei den westdeutschen Meisterschaften einen letzten Verzweiflungsversuch zu starten. Die Bedingungen waren gut, die Konkurrenten jedoch recht langsam, und Giehl steckte die EM noch in Beinen und Kopf - sein emotionaler Saisonhöhepunkt und -tiefpunkt zugleich. Dennoch stellte er ein weiteres Mal eine persönliche Bestzeit auf - diesmal fehlten ihm acht Hundertstelsekunden. Eine Winzigkeit. Bundestrainer Beck, für die DDR selbst 1980 Olympiasieger über 400 Meter Hürden, setzte sich dann beim DOSB für Giehl ein.

Es gibt da eine Liste im Internet, die für jede Disziplin das aktuelle Starterfeld anzeigt. Unter www.road-to-rio.com. Die Straße nach Rio, die für einige zur Sackgasse wurde. Sie zeigt alle Normerfüller, dahinter eine Warteliste der besten Acht jeder Disziplin, die noch auf eine nachträgliche Einladung hofften. Alle, die von ihren Verbänden nominiert wurden, sind grün hinterlegt. Giehl war der einzig grün Hinterlegte auf der Warteliste der 400-Meter-Hürdensprinter, ein grüner Streifen Hoffnung. Doch es tat sich wenig. Der Senegalese Amadou N'Diaye rutschte kraft einer Länderregelung ins Starterfeld, er rangierte dort mal auf Position 50, dann wieder auf 46. "Ein ständiges Auf und Ab", sagt Giehl. 48 Starter wären ideal gewesen für sechs volle Vorläufe. Am Dienstagmorgen stand plötzlich Maoulida Daroueche im Starterfeld, ein Mann von den Komoren, einem Inselstaat, der eher für Korallenriffe bekannt ist als für Hürdensprint. Daroueche kam nicht von der Warteliste, er darf als bester Athlet seines Landes starten. Er ist drei Sekunden langsamer als Giehl. "Ich war kurz überrascht", gibt Giehl zu, aber das gehöre nun mal zu Olympia. Wie auf der anderen Seite jene 13 US-Langhürdler, die daheim bleiben, obwohl sie die Norm erfüllt haben, also alle schneller waren als Giehl. Und der Münchner weiß natürlich, dass es andere Härtefälle gibt, etwa die nicht nominierte Speerwurf-Weltmeisterin Katharina Molitor. Leichter macht es das trotzdem nicht.

Alle deutschen Sprinter, dazu die meisten Werfer und Mehrkämpfer bereiten sich zurzeit in Kienbaum vor, "alle waren sehr nett, haben dauernd nachgefragt, ob es was Neues gibt", erzählt Giehl. Vor vier Jahren habe er nicht all seine Möglichkeiten ausgereizt, dieses Mal könne er sich zumindest keinen Vorwurf machen, er hat alles versucht. Nach zwei Jahren voller Verletzungen grenzte es ohnehin an ein Wunder, dass er so weit gekommen war. Aus der Sportförderung fiel er heraus, ein Olympiastart hätte ihn sicher wieder zurückgebracht in dieses Fördersystem. "Zumindest hat man gesehen, dass meine Ziele gerechtfertigt waren", bilanziert Giehl.

Er werde nun schauen, wie lange er brauche, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Montag wird er 25. Ob er an die nächsten Olympischen Spiele glaubt? "Ich denke von Jahr zu Jahr", sagt er. "Wenn man das jetzt erlebt hat die letzten Tage, will man schon dabei sein." Aber die vergangenen Jahre mit all den Verletzungen hätten ihm gezeigt, dass im Sport wenig planbar sei. Ein paar Rennen wolle er diese Saison noch laufen. Was, wenn er dabei versehentlich noch die Olympianorm schaffen würde? "Ich glaube", sagt Giehl nach kurzem Nachdenken: "Die Freude würde überwiegen."

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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