Leichtathletik:Im Reich der Riesen

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Höhepunkt Eugene: Evi Weber vom kleinen TSV Erding hat es vergangenes Jahr bis zur Junioren-WM gebracht. (Foto: Getty Images Sport/Getty Images)

Die Diskuswerferin Evi Weber aus Erding hat sich in ihrer Altersklasse an die Weltspitze gearbeitet - in einer Disziplin, in der fast alle einen Kopf größer sind als sie

Von Andreas Liebmann, Erding

Als Evi Weber den Callroom betrat, ein Zelt im legendären Leichtathletik-Stadion in Eugene, Oregon, da saßen dort zwei riesige Asiaten mit finsteren Gesichtern. "Zwei Köpfe größer als ich und doppelt so breit", erinnert sie sich, "solche Tiere." Sie breitet die Arme aus. Security vielleicht? Es dauerte einige Augenblicke, bis die damals 19-Jährige realisierte, dass es sich erstens um junge Frauen handelte und zweitens um Konkurrentinnen, nämlich um die Diskuswerferinnen Chiang Ru-Ching (Taiwan) und Xi Yuchen (China). Evi Weber aus Erding stand wie sie wenige Minuten vor ihrem Auftritt bei den U20-Weltmeisterschaften, dem bisher größten in ihrer Sportlerlaufbahn.

Es ist ein sonniger Tag, Evi Weber, inzwischen 20, sitzt auf einer Bank in der Erdinger Altstadt. Hinter ihr ist die Grundschule zu sehen, die sie mal besucht hat. In der Hand hält sie eine Tüte Eis. Sie hat Zeit, kürzlich hat sie ihr Abitur bestanden, am vergangenen Wochenende ist sie bayerische U23-Meisterin geworden. Für die deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende in Nürnberg, ihrem Saisonziel, hat sie sich nicht qualifiziert. Diese Saison wird irgendwie austrudeln. Also hat sie nun auch Zeit, eine wichtige Frage zu beantworten: Wieso in Gottes Namen sie eigentlich Diskuswerferin geworden ist.

Sie lacht, sie hört diese Frage nicht zum ersten Mal. Schon Evi, ihr Vorname, klingt ja recht niedlich für eine Werferin, ihre Eltern hätten beim Standesamt sehr für diesen Namen gekämpft. "Mein Vater hat gesagt: Entweder Evi, oder sie kriegt gar keinen Namen", erzählt sie. Doch auch sie selbst wirkt fast niedlich zwischen all den anderen. "Fast alle sind einen Kopf größer als ich", weiß sie, "und viel schwerer." Evi Weber ist 1,69 Meter klein, durchtrainiert, aber fast zierlich, sie wiegt kaum mehr als 60 Kilogramm. Es bedarf da keiner Vergleiche mit chinesischen Naturwundern: Nadine Müller etwa ist 1,93 Meter, die deutsche Nachwuchswerferin Shanice Kraft 1,85 Meter, "auch ein Tier", wie Weber anerkennend sagt. Sie ist es gewohnt, bei Wettkämpfen zu den anderen aufzublicken.

In der Jugend sollen sich Leichtathleten noch nicht festlegen, darum gibt es Blockwettkämpfe; auch Weitsprung hat Evi Weber also gemacht, Sprint und Hürdenlauf. Vor fünf Jahren erreichte sie die deutschen Jugendmeisterschaften, und ausgerechnet der Diskuswurf war ihre schlechteste Disziplin: "Zwei ins Netz, einer auf Sicherheit", das weiß sie noch. Dennoch spezialisierte sie sich danach auf das Scheibenwerfen. "Es hat einfach am meisten Spaß gemacht", sagt sie, zuckt mit den Schultern und lacht wieder fröhlich.

Die vollen Tribünen in Eugene, die einmalige Stimmung und den Teamgeist werde sie nie vergessen, auch ein Jahr danach schwärmt sie noch von ihrer WM-Teilnahme. Es ist erstaunlich, dass sie es bis dorthin geschafft hat, nicht nur angesichts ihrer Statur. Ihre Konkurrentinnen besuchen Sportinternate, sie hat die Leichtathletik mit Realschule, Fos und nachgeholter 13. Klasse verbunden. Meist kam der Sport an erster Stelle, nur in den letzten Wochen vor dem Abitur habe sich das verschoben. Und sie startet bis heute für ihren Heimatverein TSV Erding. Ihr Vater Christian ist Abteilungsleiter und ihr Trainer, "er steht sechsmal pro Woche mit mir auf dem Sportplatz", sagt sie, und natürlich im Kraftraum. Beide Eltern kommen aus der Leichtathletik, ihr Vater habe sich das Diskus-Training Stück für Stück angeeignet. Vor zwei Wintern ermöglichte er ihr ein Trainingslager auf Lanzarote, davor, erzählt sie, könne sie sich noch bestens daran erinnern, wie sie im schneebedeckten Erdinger Stadion geübt und anschließend versucht hätten, mit Rechen die Diskusscheiben unter der Schneedecke wiederzufinden. Einmal pro Woche darf sie zudem in München mit dem DLV-Wurftrainer Joachim Lipske trainieren. Auch Lipske gibt zu, überrascht zu sein. "Vor zwei, drei Jahren hätte ich nicht gedacht, dass sie mal 50 Meter wirft", sagt er. Webers aktuelle Bestleistung beträgt 51,55 Meter. "Sie hat eine außergewöhnliche motorische Lernfähigkeit. Es gibt wenige, die es können, immer wieder neue Details aufzunehmen und sich so ihrem Sport verschreiben."

Vor einigen Monaten, erzählt Weber, habe auch Bundestrainer Werner Goldmann angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie im B-Kader stehe. "Seitdem habe ich nie mehr was gehört, das ist eigentlich nicht normal." Evi Weber ist ein Typ, der sich von solchen Kleinigkeiten nicht abbringen lässt. Irgendwann muss dennoch der Punkt gekommen sein, an dem sie ahnte, dass sie ihre körperlichen Nachteile auch bei allerbester Technik, bei allerrasantesten Drehungen nicht ganz wird ausgleichen können, dass der Jugendtraum Olympische Spiele sich eher nicht erfüllen wird. Mit etwas mehr Krafttraining, sagt sie, seien bestimmt drei, vier Meter mehr drin als heute. Shanice Kraft, 22, wirft jetzt schon zehn Meter weiter. "Das ist mir bewusst, aber damit habe ich mich abgefunden", sagt sie, "es ist nicht schlimm."

Grundschullehramt will sie studieren. Ihren Plan, des Sports wegen zur Polizei zu gehen, hat sie aufgegeben. "Irgendwann ist es mit dem Sport vorbei, und dann muss ich weiter Streife fahren", hat sie erkannt. Aber noch hat sie Ziele, große sogar. Sie würde gerne noch einmal einen internationalen Wettkampf erreichen. Ihr Antrieb? "Ich will mich einfach weiter verbessern." Lipske hält 55 Meter als Nahziel für realistisch, danach müsse man weitersehen. "Sie ist ein Vorbild auch für uns im Verband", sagt er noch, weil sie zeige, dass auch jemand, der schnellkräftig sei, aber kein Riese, bis in die Weltspitze kommen könne. Und das sei sie ja in ihrer Altersklasse: "Weltspitze".

Die Norm für die deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende hat Weber übrigens erfüllt, mit 51,50 Meter in Aichach, leider ein paar Tage nach Nominierungsschluss. Sie wird dennoch nach Nürnberg fahren, ihr Freund tritt dort an, der Kugelstoßer Christian Zimmermann aus Kirchheim. Er ist 44 Zentimeter größer als sie. Ob auch das ein Antrieb für sie sei, immer wieder besser zu sein als viele der Riesinnen, ob ihr das gar diebische Freude bereite? "Schon", sagt sie kichernd. Rang 16 belegte sie in Eugene, mit 48,27 Meter blieb sie etwas hinter ihren Möglichkeiten. Aber die beiden Chinesinnen ließ sie hinter sich.

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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