Leichtathletik:Fünf Richtige plus Zusatzgold

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Münchens Leichtathleten sind bei den deutschen Nachwuchs-Meisterschaften in Ulm mit fünf Titeln, dreimal Silber und viermal Bronze erfolgreicher als je zuvor - und wiederholen einen deutschen Rekord.

Von Andreas Liebmann, Ulm/München

Der Himmel über Ulm war bedrohlich dunkel, wie vorhergesehen. Die meisten dringenden Vorhaben waren erledigt, der 17-jährige Sprinter Florian Knerlein hatte seine drei Goldmedaillen vor all die vielen Objektive gehalten; der Weitspringer Yannick Wolf, Knerleins Staffelkollege, hatte sich mit blutverschmiertem Gesicht, aber grinsend dazugestellt; Christian Gadenne, Geschäftsführer der LG Stadtwerke München, hatte rechtzeitig die letzte Twitter-Meldung an die Daheimgebliebenen abgeschickt, derzufolge sein Vereinszusammenschluss bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Altersklassen U18 und U20 erfolgreich wie noch nie war, mit fünf Titeln, dreimal Silber, viermal Bronze. Noch war es trocken.

Die meisten Taschen waren längst gepackt. Der Abbruch dieser Großveranstaltung wegen des nächsten Gewitters wäre für 14 Uhr terminiert gewesen. Er hätte der kollektiven Freude der Münchner nichts mehr anhaben können. Doch weil das Unwetter immer noch nicht niederging, blieb Zeit für die abschließende 3×800-Meter-Staffel der Frauen, die im Rahmen der Jugendmeisterschaft ausgetragen wird. Also verfasste Gadenne kurz darauf eben doch noch eine allerletzte Nachricht. Denn natürlich siegten Mareen Kalis, Katharina Trost und Christina Hering, drei der besten deutschen 800-Meter-Läuferinnen. Nach 2015, 2016 und 2018 war es der vierte Titel für das Münchner Trio - in wechselnden Formationen. Denn ihre Topbesetzung hatten sie in den Vorjahren nie zusammenbekommen. Bayer Leverkusen auf Rang zwei war nun gut zehn Sekunden langsamer.

"Aufgeregt": Die Münchner Kugelstoßerin Selina Dantzler meldet sich international zurück. (Foto: Footcorner/imago images / Beautiful Sports)

Wirklich zu Ende waren diese drei aufregenden Tage damit immer noch nicht. Am Freitag hatten sie begonnen, in einem Stadion, in dessen Beton sich eine quälende Hitze staute. Am Samstag hatten die Wettbewerbe dann bis 21.30 Uhr gedauert, wegen einer fast zweistündigen Gewitter-Unterbrechung. Am Sonntag war zunächst wegen Starkregens alles unter Wasser gestanden. Gegen 19 Uhr war dann auch der letzte formale Akt erledigt: die Dopingkontrolle. Mit ihr war dann endlich amtlich, dass die Münchner einen deutschen Rekord mitnehmen würden. Zwei Wochen zuvor hatte ihre 4×100-Meter-Staffel schon einmal den vermeintlichen U-20-Rekord bejubelt, in Augsburg waren Wolf, Fabian Olbert, Knerlein und Vincente Graiani in 40,50 Sekunden so schnell gelaufen wie noch nie ein deutsches U-20-Quartett zuvor. Doch dann erfuhren sie, dass dieser Rekord nicht galt, weil kein automatisches Rückstartsystem bei der Zeitmessung zum Einsatz gekommen war - zur Anerkennung eines deutschen Rekordes aber ist dies ebenso unabdingbar wie eine Dopingkontrolle.

In Ulm waren nun alle Voraussetzungen gegeben, und das Münchner Quartett wiederholte seine Siegerzeit von Augsburg: exakt 40,50 Sekunden. Dabei waren diesmal alle vier zuvor in mehreren Einzelwettkämpfen gefordert. Trotzdem versicherte ihr Trainer Richard Kick, dass diese Zeit längst nicht das sei, was die vier aktuell zu laufen in der Lage seien. Am kommenden Wochenende sollen sie bei den deutschen Meisterschaften der Erwachsenen in Berlin versuchen, ihre Bestzeit gleich mal selbst noch ein bisschen zu verbessern.

Fabian Olbert sprintet zu Silber im Einzel und Gold in der Staffel. (Foto: Beautiful Sports/imago)

Die Gelegenheit ist günstig, alle vier sind in Topform. Der 18-jährige Olbert, der bei den U-20-Europameisterschaften im schwedischen Borås kürzlich Staffelgold gewann, im Einzel jedoch zusehen musste, wie drei andere Deutsche ins 100-Meter-Finale liefen, wurde in Ulm Zweiter - und bestätigte damit einmal mehr, dass auch er in Borås sicher ausgezeichnete Chancen gehabt hätte. Und Yannick Wolf, 19, eigentlich Weitspringer, stellte im Vorlauf von Ulm mit 10,58 Sekunden eine neue persönliche 100-Meter-Bestzeit auf, die im Finale (wo er Vierter wurde) sogar für Silber gereicht hätte. "Alle haben sich gefragt: Was macht der denn da plötzlich?", erzählte Gadenne. Im Weitsprung sah Wolf dann furchteinflößend aus: Nachdem er sich beim zweiten Sprung mit den Spikes einen Riss am Oberschenkel zugezogen hatte, malte er sich mit dem Blut rote Streifen ins Gesicht - und eroberte Silber (7,49 Meter).

Das Gesicht dieser Meisterschaft war trotzdem - auch ohne Blut - das des 17-jährigen Knerlein. Der hatte das parallel stattfindende Europäische Olympische Jugendfestival in Baku verpasst (die Norm hatte er bei irregulären Windverhältnissen erfüllt), nun gewann er über 100 und 200 Meter souverän beide nationalen U-18-Titel - in Zeiten, die ihn locker auch nach Baku gebracht hätten. Und mit dem 4×100-Meter-Staffelsieg war er dann endgültig der erfolgreichste Akteur dieser Tage in Ulm.

Knerlein erbte den 100-Meter-Titel übrigens von Olbert, der die U-18-Konkurrenz 2018 gewonnen hatte - ein netter Randaspekt, über den sich so ähnlich auch die Kugelstoßerinnen der Münchner LG freuten. Denn Cassandra Bailey, 17, löste hier mit 16,78 Metern ihre Teamkollegin Selina Dantzler als deutsche Meisterin ab - mit dem Unterschied zu den Sprintern, dass Dantzler selbst sich dafür den Titel in der älteren U20 sicherte. Und das war dann noch mal eine ganz besondere Geschichte.

Denn die ehemalige U-18-Weltmeisterin, die seit vergangenem Sommer mit einem Stipendium an der University of Miami studiert, hat eine Leidenszeit hinter sich. Die Uni: toll. Team, Trainer, Ärzte, Stadt, Strand: alles prima. Doch nach der Hallensaison ging sportlich nichts mehr bei der 19-Jährigen. Das rechte Knie entzündete sich, ein Oberschenkel, die Hand, dann das linke Knie. Zig Untersuchungen folgten, eine Zeit, in der es nicht leicht gewesen sei, den Glauben an sich zu bewahren. Ein Mückenstich sei als Ursache vermutet worden, ein Spinnenbiss, letztlich habe man einen Krankenhauskeim gefunden, der sich in ihrem Körper eingenistet hatte. Nach einer Knieoperation und langer Trainingspause war Dantzler für den Rest der Sommersaison wie geplant nach Deutschland gekommen, aber viel konnte sie hier nicht mehr erwarten. In zwei Wochen kehrt sie bereits nach Florida zurück. Doch in Ulm, wo sie nun froh gewesen wäre über einen 15-Meter-Stoß, meldete sie sich doch noch mit einer starken Serie zurück - die ihr den Titel (15,75 Meter) brachte. Gerade rechtzeitig, um sich in all die anderen Münchner Erfolge einzureihen. "Ich bin echt happy, dass ich dieses Unglücksjahr noch so gut abschließen konnte", sagte sie.

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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