Leichtathletik:Aus dem Bett, in die Annalen

Lesezeit: 3 min

800-Meter-Läuferin Christina Hering holt bei den Hallenmeisterschaften einen Rekordtitel. Clemens Bleistein und David Kirch komplettieren den Medaillensatz für die LG Stadtwerke München.

Von Andreas Liebmann

Natürlich wäre es nett gewesen, kurz anzuhalten, zuzuschauen, anzufeuern und danach die restlichen Meterchen ins Ziel zu schlendern. Oder zumindest während des Laufens kurz einen Seitenblick zu riskieren und hinüberzuwinken, schließlich war es ja ihr Vereinskamerad, der nebenan gerade um eine Medaille kämpfte. Doch Christina Hering war nicht danach. Oder besser: Ihr Rennen lief nicht entsprechend. Sie war unterwegs, um ein bisschen Geschichte zu schreiben, um als Erste seit der deutschen Wiedervereinigung zum vierten Mal in Serie den deutschen Hallenmeistertitel über 800 Meter einzufahren. Als ihr Name kurz vor dem Start aufgerufen worden war, da lächelte die 23-jährige Münchnerin verschmitzt, winkte mit beiden Händen ins Publikum und hüpfte dann ein paar Mal auf und ab, um locker zu bleiben. Seit einige Tage zuvor ihre vermutlich härteste Rivalin Katharina Trost, die Jahresschnellste und Herings Trainingspartnerin bei der LG Stadtwerke München, erkältungsbedingt abgesagt hatte, war sie ja die haushohe Favoritin in diesem Wettbewerb, und angesichts der Vorleistungen wäre es vielleicht nicht mal auszuschließen gewesen, dass sie sich mit ihren langen, raumgreifenden Schritten auf den ersten 700 Metern einen solchen Vorsprung herausgearbeitet hätte, dass sie nun, beim Austrudeln ins Ziel, mitbekommen könnte, dass unmittelbar neben der Zielgeraden Münchens Dreispringer Paul Walschburger mit seinem sechsten und letzten Versuch beschäftigt war. So hielt dieser Zufall nur her, um einen optischen Kontrast herzustellen zwischen erfüllten und unerfüllten Erwartungen in der mit 4000 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Helmut Körnig-Halle.

"Ich bin stolz darauf, dass ich es am Ende so durchgezogen habe", sagte Christina Hering

Paul Walschburgers letzter Versuch endete bei 15,14 Meter, nicht schlecht, zumal er erkältungsgeschwächt war. Doch es änderte nichts an seinem siebten Platz (15,20 m). Mit jenen 15,87 Meter, die er eine Woche zuvor in Sindelfingen erreicht hatte, wäre er Zweiter geworden hinter Überflieger Max Heß aus Chemnitz, der mit 16,84 Meter gewann. Für Walschburgers Trainingspartner David Kirch lief es dagegen prima: Trotz muskulärer Probleme gelang ihm eine persönliche Bestleistung, mit 15,62 Meter holte er Bronze.

Christina Hering feierte über 800 Meter einen Start-Ziel-Sieg. (Foto: dpa)

Zwei Zentimeter fehlten ihm zur Silbermedaille. Und Hering? Hatte zu kämpfen. Schon auf den ersten Metern hatte sie sich in Führung gesetzt, doch sie kam nicht weg vom Feld. Selbst in der letzten Kurve waren Jana Reinert und Rebekka Ackers noch an ihr dran, und aus deren Windschatten startete auch noch Tanja Spill (Uerdingen) zum Überholmanöver. 2:06,93 Minuten standen für Hering letztlich auf der Uhr, keine Spitzenzeit. Viel fehlte nicht mehr, und Spill hätte sich sogar noch den Sensationssieg geschnappt. Ob Hering sie in ihrem Rücken überhaupt wahrgenommen hatte?

„Ich dachte, ich hätte ihn“: Clemens Bleistein lieferte sich über 3000 Meter mit dem Favoriten Richard Ringer (dahinter) ein packendes Duell bis zur Ziellinie, verlor aber um Zentimeter. (Foto: imago/Annegret Hilse)

"Ich hatte schon die ganze Zeit gemerkt, dass die alle dran waren, vielleicht auch wegen der tollen Stimmung in der Halle", sagte Hering. "Das Rennen hätte nicht länger sein dürfen", gestand sie. Auch sie hatte in der vorletzten Woche wegen einer Erkältung pausieren müssen. "Man merkt doch, dass man eine Woche im Bett gelegen ist, das hat geschlaucht." Dennoch habe sie auf ihre Stärke auf der Zielgeraden vertraut und glaubt, dass sie zur Not sogar noch mal hätte zulegen können. "Ich bin stolz drauf, dass ich es am Ende so durchgezogen habe", so Hering, der vierte Titel in Serie bedeute ihr sehr viel. "Ich wollte unbedingt gewinnen und habe mir sehr viel Druck deswegen gemacht. Und es hat auch jeder von mir erwartet, dass ich gewinne." Letztlich stand Christina Hering dann also tatsächlich ganz oben auf dem Siegerpodest - zumindest, wenn man nicht so genau hinsah. Denn eigentlich verwendeten die Veranstalter in Dortmund ein einstufiges Podest, doch dank der deutlichen Größenunterschiede zwischen der Ersten und der Dritten sah alles genauso aus wie erwartet.

Für die U-18-Weltmeisterin Selina Dantzler sind 16,03 Meter im Kugelstoßen neue Bestweite

Clemens Bleistein hatte bereits einen Tag zuvor seine Erwartungen erfüllt. Der 3000-Meter-Läufer, der nach einjähriger Auszeit kürzlich bereits die Hallen-WM-Norm geschafft hatte, gewann die Silbermedaille und war zufrieden. Die letzten fünf Runden hatte er sich unmittelbar hinter dem Favoriten Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen) aufgehalten, "50 Meter vor dem Ziel dachte ich, ich hätte ihn", sagte er. Doch der Favorit hielt dagegen und gewann mit einem Schritt Vorsprung. Bleistein haderte ein wenig damit: "Ich hätte schon in der letzten Runde auf der Gegengeraden angreifen sollen. Es erst auf der Zielgeraden zu versuchen, war zu spät."

Weniger gut lief es für die LG im Hochsprung, wo Tobias Potye dreimal an 2,14 Meter hängen blieb und Vierter wurde. Erst kürzlich hatte er 2,22 Meter überquert. Sebastian Barth wurde im 60-Meter-Hürdensprint Fünfter. Selina Dantzler, U-18-Weltmeisterin im Kugelstoßen, belegte Rang sieben. Damit konnte die jüngste Teilnehmerin gut leben: Mit 16,03 Meter gelang ihr im dritten Versuch eine neue persönliche Bestweite. Bis Rang zwei fehlten noch 80 Zentimeter. Kaum mehr, als am Ende Christina Hering Vorsprung hatte.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: