Klettern:Trainieren geht über studieren

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"Ich trainiere unfassbar gern": Christoph Hanke, Kletter-Profi aus Olching mit guten Kontakten zur Wand. (Foto: oh)

Christoph Hanke zählt zu den besten Lead-Kletterern im Land. Und die Karriere des 21-Jährigen fängt jetzt erst richtig an

Von Maria Kurth

Olching - Als Edgar Rice Burroughs den Affenmenschen Tarzan erdachte, hatte er klare Vorstellungen von seinem Geschöpf: Groß und braun gebrannt sollte der Herr des Dschungels sein, mit langen, dunklen Haaren. Das genaue Gegenteil davon ist Christoph Hanke: 1,67 Meter klein, kurze, blonde Haare, blaue Augen. Und auch Lianen sucht man vergebens, wenn Hanke sich in die Höhe schwingt. Hanke klettert nicht in Baumkronen, sondern Wände empor, an künstlich angebrachten Griffen. In der Natur, am Fels, ist der Olchinger zwar gern unterwegs, "aber ich brauche den Wettkampf", sagt er. Hallenalltag statt romantischer Klettertouren also. Nur in einem Detail erinnert er an Tarzan: dann, wenn er sich scheinbar schwerelos an der Wand von Griff zu Griff hangelt. Hanke macht das so gut wie kaum ein anderer Deutscher. Er ist Mitglied des Nationalkaders in der Disziplin Lead, im Schwierigkeitsklettern also. Sein Ziel: die Weltspitze.

Wer Hanke treffen will, muss nur die Kletterhallen in und um München absuchen. So wie an diesem Mittwochmorgen in Freimann. "Ich bin im Nationalkader", sagt er am Eingang. Kurze Hose, Turnschuhe, Sportbeutel, nur der gelbe Adler auf seiner weißen Jacke unterscheidet ihn von den Hobby-Kletterern in der Schlange. "Im Nationalkader, aha", entgegnet ihm eine junge Frau. Hanke lacht, fast etwas verlegen. "Das muss ich leider immer sagen", antwortet er. Er erhält dann kostenlosen Eintritt.

Für Hanke ist Klettern kein Hobby, es ist sein Beruf. Mit 14 Einheiten pro Woche bestimmt es sein Leben. Seit diesem Jahr ist er in der Bundeswehr-Fördergruppe. "Eigentlich geht es für mich jetzt erst richtig los", sagt er. Seitdem er Sportsoldat ist, könne er sich voll auf den Sport konzentrieren. Sein 24. Platz in der Weltrangliste soll die Basis, nicht aber der Gipfel sein.

Größere Trainingsumfänge bedeuten aber auch höhere Ansprüche, mehr Druck: "Man denkt sich: Jetzt, wo ich so viel trainiere, muss es doch klappen." Die Quittung bekam er beim ersten Saison-Weltcup im französischen Chamonix. "Ich habe zu viel gewollt und bin weit unter den Erwartungen geblieben." Hankes Blick geht nach unten. "Er ist sehr ehrgeizig", sagt Bundestrainer Max Klaus. Dadurch habe sich Hanke selbst ausgebremst "und richtig eins draufgekriegt". Während in Sebastian Halenke, der derzeit beste deutsche Lead-Kletterer, Dritter wurde, kam Hanke nur auf Platz 48. "Aber er hat das Zeug, um unter die ersten Zehn zu kommen", sagt Klaus.

Hanke zieht seine Jacke aus, streift sich ein grünes Shirt über, schlüpft in die Kletterschuhe und greift nach dem Magnesiabeutel. "Dann wollen wir mal." Hunderte kleine und große Boulder, ebenso viele Möglichkeiten, tausend Routen. "Schwierigkeitsklettern ist kein reines Kraftgebolze, es muss im Kopf stimmen", sagt Hanke und springt an die Wand. Ein Griff, dann der zweite, ein kleiner Sprung nach links. Drei Meter hat er sich binnen weniger Sekunden an der Wand vorgearbeitet.

Auch wenn es so aussieht, mit Leichtigkeit haben Hankes Bewegungen wenig zu tun. Vielmehr hängen mit ihm auch 62 Kilogramm geballte Muskelkraft an der Wand. Unter seinem Shirt kann man seinen durchtrainierten Körper erahnen, Indizien dafür liefern die Sehnen und Muskeln, die sich an seinen Armen abzeichnen. "Der Fitnesszustand von Christoph hat sich enorm verbessert", sagt Bundestrainer Klaus. Seine Stärke sei die Maximalkraft, im Ausdauerbereich könne er hingegen noch deutlich zulegen. Die ist im Vergleich zum Bouldern beim Lead nämlich enorm wichtig. "Wir müssen viele Routen schrubben im Training", sagt Hanke: "Wer viel trainiert, mischt auch irgendwann vorne mit." Damit hätte er keine Probleme, ganz im Gegenteil: "Ich trainiere unfassbar gern", sagt Hanke. Der Tag vor den Wettkämpfen sei daher nicht sein liebster, es ist nämlich ein Ruhetag. "Zu pausieren fällt mir schwer, sehr schwer sogar."

Nach der Enttäuschung in Chamonix lief es eine Woche später in Briançon deutlich besser. "Wir haben geredet und einiges in der Wettkampfvorbereitung umgestellt", sagt Klaus. Der Fokus lag nicht mehr auf Kraft-, sondern auf Atemübungen, die Hanke in der sogenannten Isolation machen kann, dann, wenn jeder Kletterer auf seinen Start wartet. Beim Lead-Klettern muss jeder Athlet zwei Qualifikationsrouten klettern und möglichst viele Griffe erreichen. Die besten 20 erreichen das Halbfinale. Von da an darf keiner mehr beim anderen zuschauen. "In Briançon lief es richtig gut, mir haben nur ganz wenige Griffe zum Finale gefehlt", sagt Hanke. Seine Augen leuchten: Dieser 14. Rang sei ein Höhepunkt seiner Karriere gewesen. "Ein kleines Stück mehr, und ich wäre unter den besten Acht gewesen." Bundestrainer Klaus spricht von einem "Knackpunkt": Hanke habe sein Potenzial erstmals auch im Wettkampf abrufen können.

Hanke hängt jetzt am Campusboard: An die Wand sind Holzlatten gestaffelt übereinander geschraubt, drei Meter hoch. Hanke packt die erste Latte an, hält sich mit seinen Fingerkuppen fest, dann greift er nach der nächsten und so weiter - bis er oben angekommen ist. Mit jedem Durchgang werden die Latten schmaler, der Platz, um sich festzuhalten, weniger. "Ich habe mir das zu Hause in der Garage nachgebaut", sagt Hanke und grinst. Er weiß, dass sein Ehrgeiz nicht verborgen bleibt. Meistens trainiert er alleine, aber immer in Absprache mit Bundestrainer Klaus. "Aber ich bin kein Einzelgänger", stellt Hanke klar. Alleine zu trainieren sei nicht immer schön.

Klaus bescheinigt seinem Schüler das Potenzial für die Top Ten. "Nach ganz vorn in die Weltspitze vorzustoßen, wird aber schwierig für ihn." Das weiß Hanke. Deshalb will er jetzt so richtig angreifen. "Diese Zeit als Sportsoldat muss ich ausnutzen", sagt er. Seine Eltern, die ihn als Kind "immer mit zum Berg geschleift" hätten, sind skeptisch. "Meine Mutter fragt oft, ob ich denn nicht was Richtiges machen will." Sein Plan nach dem Leistungssport? Hanke überlegt. "Puh", sagt er dann nach einer Pause. "Wahrscheinlich studieren oder so."

Bis dahin wird er noch viel trainieren. Im Moment ist Christoph Hanke 18. der Weltcup-Gesamtwertung. Im August war er 16. beim Weltcup in Stavanger, davor 28. in Imst. Am letzten September-Wochenende startet er in Puurs/Belgien. Platz 14 in Briançon ist sein bestes Saisonergebnis geblieben. Aber die Saison ist ja noch nicht vorbei.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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