Klettern:Problemlösend Denken

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Hanglage: 2020 wird Klettern olympische Disziplin. Das ist die gute Nachricht für Monika Retschy. Die schlechte: Neben ihrer Disziplin Bouldern zählen auch Speed und Lead für die Gesamtwertung. Zu viel für sie. (Foto: Florian Peljak)

Bouldern ist für die deutsche Meisterin Monika Retschy eine ernste Angelegenheit. Aber nicht alles. An der olympischen Premiere 2020 wird sie ohnehin nicht teilnehmen.

Von Marcel Bothe, München

Monika Retschy hat ein Problem. Sie steht vor einer Wand, sie ist ziemlich steil, und Retschy möchte hoch, an ihr entlang klettern. Dafür hat sie aber nur wenige Griffe zur Verfügung, und die sind nicht gerade so platziert, dass sie entspannt an der Wand entlang spazieren könnte. Sie muss sich strecken, sogar schwingen, Griff für Griff, um Zentimeter für Zentimeter voranzukommen. Retschy hat es so gewollt: Die Griffe hat sie so platziert, dass der Aufstieg eben nicht so leicht ist. In der Boulder-Fachsprache heißt eine solche Aufgabenstellung Problem.

Profi-Klettern? "Ich möchte nicht diesen krassen Leistungsdruck", sagt Monika Retschy

In jedem Training platziert Monika Retschy die Griffe anders, um neue Reize zu setzen. Damit sie besser wird. Deutsche Meisterin im Bouldern, dem Klettern ohne Sicherung, ist die Münchnerin bereits geworden. Anfang Juni verteidigte sie erfolgreich ihren Titel von 2016. Ihre Prioritäten liegen aber woanders. "Mein Gott, das ist die nationale Ebene, aber die internationale Ebene ist für mich wesentlich wichtiger", sagt Retschy, und das soll nicht arrogant klingen. Es sind vor allem die Weltcups, die sie beschäftigen. Sieben finden in diesem Jahr statt, es geht nach China, in die Schweiz oder, wie am vergangenen Wochenende, nach Vail in Colorado/USA, die fünfte Station, wo sie 21. wurde. Nicht ihr Anspruch. Das Finale am 17./18. August steigt im Münchner Olympiapark.

Ihre beste Weltcup-Platzierung erreichte Retschy vergangenes Jahr im indischen Navi Mumbai, wo sie Zweite wurde, "definitiv mein Highlight", wie sie sagt. Im Gesamtklassement liegt sie mit 81 Punkten als zweitbeste Deutsche derzeit auf Rang 18, einen Platz hinter der Weimarerin Alma Bestvater (17./84). Natürlich will sie auf dem Treppchen auch mal ganz oben stehen, "wer will das nicht", sagt Retschy. Ihr Lebensglück macht sie davon aber nicht abhängig.

Profis gibt es schon auch beim Bouldern. Retschy hat sich aber bewusst dagegen entschieden, ihr Geld damit zu verdienen. "In dem Moment, wo man es als Profi macht, geht die Leidenschaft verloren", glaubt sie. Ohne finanzielle Unterstützung geht es auch für Retschy nicht, ein paar Kletterfirmen sponsern sie, "aber halt so, dass es gerade so reicht und nicht, dass ich sagen würde, das ist mein Beruf. Ich möchte nicht diesen krassen Leistungsdruck." Sie wolle "ein normales Leben", deshalb studiert sie auch. Ihren Bachelor in Sportwissenschaften hat Retschy bereits abgeschlossen, momentan studiert sie im zweiten Master-Semester Management an der TU München. Fünfmal in der Woche ist sie in der Halle zum Training, vorher in den Vorlesungen, dazu trainiert sie dreimal in der Woche Kinder. Viel Zeit bleibt da nicht.

"Schwimmen, Fitnessstudio, Laufen, es gibt ja so viele Aspekte, die traininert werden wollen" - als Profi. Auch Retschy hat dieses Pensum schon geleistet, als sie sich nach dem Abitur eineinhalb Jahre Zeit nahm, um die Grundlagen zu schaffen. "Viele machen eine Weltreise, ich hab mich halt aufs Klettern konzentriert", sagt die 25-Jährige, die für den Deutschen Alpenverein, Sektion München-Oberland, startet. Es war das erste Jahr, in dem sie international starten konnte, es hat sie vorangebracht, aber dass sie jetzt weniger trainiert, heiße nicht, "dass ich das nicht ernst nehme. Ich nehme das schon sehr ernst und möchte das so gut wie möglich machen." Aber: "Ich möchte auch irgendwann mal einen normalen Beruf haben." Das kann etwas in Richtung Sport sein, "muss aber nicht". Sie sieht es entspannt. "Ich denke mal, dass ich im Master viel Neues lernen werde, was mich in irgendeine Richtung formen wird", sagt Monika Retschy.

Im sportlichen Bereich fehlt ihr ja auch ein Ziel, das viele andere Sportler antreibt: Olympia. Mit den Spielen 2020 in Tokio wird Sportklettern ins Programm aufgenommen, das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Zum Bouldern kommen zwei weitere Disziplinen, Speed und Lead, "drei völlig verschiedene Sportarten", sagt Retschy. Sie alle fließen aber in die Gesamtwertung bei Olympia ein. "Man schafft es nicht, diese drei Disziplinen komplett zu trainieren." Für Retschy ist klar: "Ich werde das definitiv nicht machen."

Gram hegt sie deshalb nicht, "wahrscheinlich hätte jeder so entschieden." Es scheint aber auch so, als wäre Retschy zehn Jahre zu früh geboren. Sie sagt: "Wenn ich heute noch mal 16 wäre, würde ich definitiv overall trainieren", also alle drei Disziplinen. Sie sieht es halt nicht so verbissen. Beim Bouldern will sie einfach "Spaß haben", und überhaupt: Den Sport könne man ausüben, "bis man sich nicht mehr bewegen kann. Es gibt die krassesten Leute, die auch noch mit 80 die schweren Sachen hochkommen." Ja gut, auf Weltcup-Niveau, das funktioniere wohl nur bis etwa 35, aber das Klettern am Fels, fernab jeder Wettbewerbe, in der Freiheit der Natur, "wenn man nichts verändern kann, sondern der Fels so ist, wie er ist, und man versucht, eine Lösung zu finden und hochzukommen" - das werde sie wohl ihr Leben lang machen, sagt sie. Und strahlt bei dem Gedanken daran, wie ihr 80-jähriges Ich an irgendeinem Fels klettert, irgendwo auf der Welt, von Griff zu Griff.

Der nächste Weltcup findet Ende Juni in Navi Mumbai statt. In Indien, dort, wo sie vergangenes Jahr Zweite wurde.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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