Judo:"Unglaublich!"

Lesezeit: 2 min

Moment der Entscheidung: Theresa Stoll, rechts, besiegt die Olympia-Zweite Sumiya Dorjsuren in der Verlängerung mit "Golden Score". (Foto: Horstmüller/Imago)

Nach ihrem Erfolg als bislang jüngste deutsche Grand-Prix-Siegerin in Düsseldorf kehrt Theresa Stoll, 21, schnell zur Routine zurück - die nächsten Aufgaben warten auf die Judoka vom TSV Großhadern

Von Julian Ignatowitsch, München

Wer Theresa Stoll in den Tagen nach ihrem bislang größten Erfolg sprechen wollte, hatte es gar nicht so leicht. Nicht weil sie so viele Interviews hätte geben müssen oder in Feierlaune ihr Handy zu Hause vergessen hatte. Nein, es war ihre schnelle Rückkehr zur Routine. "Ich bin noch in der Halle", stand am Sonntagabend in einer SMS, erst um 22 Uhr war sie dann zu sprechen.

"Wir sind im Trainingslager, zwei Einheiten am Tag", erklärte Stoll, als wäre alles wie immer. Dabei hatte die 21-Jährige am Freitag in Düsseldorf den Grand Prix in der Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm gewonnen. Sie ist die jüngste deutsche Judoka, der so ein Erfolg gelang. Eine große Geschichte also. Eigentlich. Aber so gewissenhaft wie Stoll zum Tagesgeschäft zurückkehrte, so bescheiden blieb sie.

"Ich habe nie damit gerechnet", blickt sie auf den Finalkampf zurück. Gegen die Weltranglistenerste und Olympiazweite von Rio, Sumiya Dorjsuren aus der Mongolei, war sie krasse Außenseiterin. Erst in der Verlängerung gelang ihr eine hohe Wertung (Waza-ari). "Ich war eigentlich kaum aufgeregt", erzählt Stoll. "Ich hatte ein bisschen Respekt vor ihr, aber nicht zu viel. In der ersten Minute habe ich dann gemerkt, dass ihre Griffe für mich gar nicht so gefährlich sind." So traute sie sich mehr und mehr in die Offensive - und landete nach fünf Minuten schließlich den entscheidenden Fußwurf.

"Sie hat klar ihre Linie durchgezogen", sagt Frauen-Bundestrainer Claudiu Pusa, der Stoll bereits in der U21 trainierte. Das heißt bei Stoll: abwarten, aufrecht stehen, sauber greifen - und auf die richtige Gelegenheit zum Konter warten, wie ein Boxer. Der Plan ging auf. Mit ähnlicher Strategie hatte die Athletin vom deutschen Mannschaftsmeister TSV Großhadern bereits in den Runden zuvor drei Mal in Folge per "Golden Score" gewonnen, in der Verlängerung also, bei der die erste erzielte Wertung entscheidet. "Eigentlich kenne ich diese Nervenstärke gar nicht von mir", sagt Stoll, "aber mit jedem Sieg wächst das Selbstvertrauen."

Der Erfolg kommt zwar plötzlich, weil sehr früh, aber dennoch nicht völlig überraschend. Die Münchnerin ist eine der größten Judo-Hoffnungen des Landes. Bereits im vergangenen Jahr sammelte sie die ersten Medaillen bei internationalen Turnieren (Silber in Abu Dhabi, Bronze in Madrid und Rom) und wurde U-23-Europameisterin. In der Bundesliga besiegte sie namhafte Kämpferinnen wie Romy Tarangul oder Johanna Müller und war als Leistungsträgerin beim TSV Großhadern mitverantwortlich dafür, dass der Verein zum zweiten Mal nach 2014 den Titel holte. "Ich bin seit Monaten richtig gut in Form", sagt sie. Das nächste Ziel ist die Europameisterschaft Ende April, langfristig sind die Olympischen Spiele 2020 ihr Antrieb.

Antrieb, den Stoll von außen eigentlich gar nicht benötigt. "Sie ist sehr ehrgeizig", sagt ihr langjähriger Trainer Lorenz Trautmann, "und manchmal etwas ungeduldig." Fast unheimlich sei ihm gelegentlich, wie die jungen Athletinnen ihre unterschiedlichen Verpflichtungen so mustergültig erfüllten. Stoll studiert Medizin. Wenn sie nicht in der Judohalle steht, lernt sie in der Bibliothek oder sitzt im Hörsaal. "Alles eine Frage der Organisation", sagt sie. Und ja, manchmal sei das schon etwas stressig, für andere Dinge bleibe kaum Zeit. "Man muss sich eben entscheiden", sagt Stoll. Wer als Judoka in die Weltspitze möchte, muss mindestens genauso viel investieren wie in jeder anderen Sportart. Die Aufmerksamkeit ist dagegen oft verschwindend gering.

Im Alltag hilft es Theresa Stoll, dass sie viel mit ihrer Zwillingsschwester Amelie, ebenfalls erfolgreiche Judoka, zusammen ist. "Wir gleichen uns gegenseitig aus", erklärt sie. Da die beiden in derselben Gewichtsklasse kämpfen, sind sie hin und wieder auch direkte Gegner. Amelie schied in Düsseldorf bereits im Achtelfinale aus. Das Finale kommentierte sie im Internet-Livestream mit, eigentlich fieberte sie mehr mit. Für sie war es fast, als würde sie selbst auf der Matte stehen. Am Ende hatte sie nur ein Wort für die Leistung ihrer Schwester übrig: "Unglaublich!"

© SZ vom 01.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: