Judo:Nicht das Wie zählt

Lesezeit: 3 min

Starker Lückenfüller: Karl-Richard Frey (re.) geht künftig für den TSV Großhadern auf die Matte (im Bild bei der EM 2014 gegen Cyrille Maret) (Foto: Imago)

Ein Jahr vor den Olympischen Spielen ist die Bundesliga für viele Judoka zweitrangig, Rekordmeister Abensberg hat erst gar keine Mannschaft gemeldet. Der TSV Großhadern wittert seine Chance.

Von Julian Ignatowitsch, München

Man stelle sich vor, der FC Bayern müsste zum Bundesligastart auf Manuel Neuer und Bastian Schweinsteiger verzichten, weil Bundestrainer Joachim Löw zur gleichen Zeit ein Trainingslager der Nationalmannschaft angesetzt hat. Undenkbar? Nicht im Judo. Dort ist das nicht einmal außergewöhnlich. Höchstens, dass der FC Bayern am Ligabetrieb erst gar nicht teilnimmt.

Wenn am Wochenende die neue Saison in der Judo-Bundesliga beginnt, ist die Ausgangslage noch prekärer als sonst. Die besten deutschen Kämpfer sind noch am Bundesstützpunkt in Kienbaum nahe Berlin. Das beste deutsche Team, der 19-malige Meister TSV Abensberg, hat seine Mannschaft kurz vor Meldeschluss zurückgezogen. In beiden Fällen lautet die Begründung: Olympische Sommerspiele. Rio 2016 wirft seine Schatten voraus, das Rennen um die raren Startplätze hat im Judo gerade erst richtig begonnen. Zwischen all den internationalen Wettkämpfen und Terminen gerät so der Kampf um die deutsche Meisterschaft schnell zur Nebensache.

Nicht so beim TSV Großhadern. Vor dem Auftaktkampf beim KSV Esslingen (Samstag, 18 Uhr) sind Trainer Ralf Matusche und Teamleiter Gerhard Dempf darum bemüht, das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Und: Sie sind heiß auf die Meisterschaft. Was die Kaderplanung angeht, haben die Münchner ganze Arbeit geleistet. Die Mannschaft ist durch die Neuverpflichtung von 100-Kilo-Mann Karl-Richard Frey noch einmal stärker als im Vorjahr, die Problemposition im Schwergewicht damit endlich fest besetzt. "Er ist genau der Mann, der uns in den vergangenen Jahren gefehlt hat", findet Matusche.

Frey, 24, macht derzeit Bronzemedaillengewinner Dimitri Peters die Position als deutsche Nummer eins streitig. "Eine echte Granate", sagt Matusche. Dazu stehen nun auch die Nationalkämpfer Igor Wandtke (-73 kg) und Aaron Hildebrand (-90 kg), die fast die komplette Saison 2014 verletzt waren, fit zur Verfügung. "Auch sie sind quasi Neuzugänge", sagt Matusche über die im vergangenen Jahr verpflichteten Kämpfer. Mit Tobias Englmaier (-60 kg) und Alexander Wieczerzak (-81 kg) stehen zudem zwei weitere Athleten aus dem Kreis der Nationalmannschaft im Team. Wenn alle an Bord sind, kann Großhadern damit fast in jeder Gewichtsklasse einen deutschen Spitzenjudoka aufbieten. "Aber das wird in der Vorrunde nicht vorkommen", schränkt Matusche sofort ein.

"Zwei aus fünf" lautet die Formel für das erste Wettkampfwochenende. Soll heißen: Hildebrand und Wandtke sind dabei, Englmaier, Frey und Wieczerzak fehlen. So will es Großhadern über die gesamte Vorrunde hinweg handhaben. Wer wann zum Einsatz kommt, soll je nach Terminlage und körperlicher Fitness individuell abgesprochen werden. Denn auch der TSV möchte im vorolympischen Jahr seine Athleten nicht überfordern. Anders als Abensberg halten die Klubverantwortlichen dafür aber keinen Ligarückzug für erforderlich. Dass Matusche die Entscheidung des ewigen Konkurrenten Abensberg, an dem sich der TSV zuletzt mehr als eine Dekade erfolglos die Zähne ausgebissen hat, nicht nachvollziehen kann, ja mehr noch für falsch hält, ist kein Geheimnis.

Nach dem Rückzug Abensbergs ist jedenfalls Großhadern nun der Favorit auf den Titel. "Wir wollen endlich Meister werden", bekräftigt der Trainer. Der letzte Titel datiert aus dem Jahr 2001, Großhadern hat zumindest auf dem Papier nun die stärkste und ausgeglichenste Mannschaft. Ähnlich gut aufgestellt ist nur Auftaktgegner Esslingen. Die Schwaben haben gleich mehrere georgische Spitzenkämpfer in ihren Reihen. Aber auch bei ihnen werden in der Vorrunde viele Hochkaräter aus terminlichen Gründen ausfallen. "Ziel muss es erst einmal sein, die Finalrunde zu erreichen", erklärt Matusche. Dort sollte es dann an drei verbleibenden Terminen möglich sein, die Besten zusammenzubekommen. Bis dahin wird Matusche verstärkt auf junge Kämpfer zurückgreifen müssen.

Im Leicht- und Mittelgewicht hat Großhadern starken Nachwuchs aufgebaut. Timo Cavelius (-73 kg, Gold), Tim Güther (-81kg, Silber) und David Karle (-66 kg, Silber) holten bei der deutschen Junioren-Meisterschaft Medaillen. Die Bundesliga ist für sie eine gute Chance, auf hohem Niveau Erfahrung zu sammeln. Auch Lukas Vennekold (-60 kg) oder Niklas Blöchl (-73 kg) sind schon bundesligaerprobt.

Wie viel ein Titel 2015 dann in Abwesenheit von Abensberg überhaupt wert wäre? Matusche überlegt kurz, dann sagt er: "Ich erinnere mich an dieses Shorttrack-Rennen bei den Olympische Spielen, als ein Australier gewann." 2002 in Salt Lake City stürzten vier von fünf Startern im Endlauf. Der Australier Steven Bradbury holte völlig überraschend Gold. "Hinterher fragt keiner, wie man gewonnen hat", sagt Matusche. "Es zählt nur, dass man gewonnen hat." Die Sehnsucht ist groß.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: