Judo:Goldene Urzeiten

Lesezeit: 3 min

14 Jahre nach dem letzten Titel greift Großhadern wieder nach der Meisterschaft. Die Helden von einst haben ihren großen Tag lebhaft in Erinnerung

Von Julian Ignatowitsch, München

Gerhard Dempf kann sich genau erinnern. Damals, 2001, habe Trainer Ralf Matusche vor dem Start der Judo-Bundesliga mal wieder vom Titel gesprochen. "Wie so oft", sagt Dempf. "Wie heute." Er lacht. Sie hätten damals darüber gescherzt, einer der Teamkollegen habe entgegnet: "Diesmal stimmt's aber." Wieder lacht Dempf: "Ich glaube, das war der Bernd Pirpamer." Kaum einer hätte gedacht, dass er recht behalten würde. Doch Pirpamer behielt recht. Der TSV Großhadern wurde deutscher Meister, zum zehnten Mal. 14 Jahre ist das her. "Viel zu lang", sagt Dempf. 2001 stand er noch selbst auf der Matte, heute ist er Matusches Assistent. Pirpamer ist mittlerweile Anwalt.

Wenn der TSV Großhadern an diesem Samstag in Esslingen wieder einmal um die Meisterschaft kämpft, hofft Dempf für seine Nachfolger auf den großen Wurf. Den Titel 2001 bezeichnet er als "eines der schönsten Judo-Erlebnisse meiner Karriere". Viele zweite und dritte Plätze hat Großhadern in den vergangenen Jahren gesammelt. Der Grund hieß jedes Mal: TSV Abensberg. Der Serienmeister, der seit 2002 ununterbrochen den Titel holte, war übermächtig. Diesmal wird der Meister nicht Abensberg heißen, so viel ist sicher. Denn die Niederbayern haben für diese Bundesliga-Saison nicht gemeldet, wegen der hohen Belastung für die Kämpfer im vorolympischen Jahr. Einerseits ärgert das die Münchner ein wenig, denn zu gerne hätten sie dem ewigen Rivalen eins ausgewischt; andererseits stehen die Chancen auf den Titel dadurch so gut wie lange nicht mehr.

"Viel zu lang her": 1970 tragen die Teamkollegen Europameister Gerd Egger - heute Judo-Abteilungsleiter beim TSV - auf den Schultern. (Foto: Imago)

Großhadern geht in Bestbesetzung an den Start: Igor Wandtke, Alexander Wieczerzak, Aaron Hildebrandt, Karl-Richard Frey - die deutsche Elite tritt für München an. Dazu internationale Stars der Szene wie Colin Oates, Aleksandar Kukolj und Roy Meyer. Nur Tobias Englmaier fehlt verletzungsbedingt.

So wie Dempf die Namen der aktuellen Kämpfer herbetet, kann er die Teamkollegen von 2001 aufsagen: Florian Wanner, Hendrik Schumacher, Raphael Boezio, Michael Prencipe, Jürgen Götz, Ariel Zeevi. "Eine eingeschworene Truppe", sagt Dempf. Fast alle kamen direkt oder aus der Nähe von München. Fast alle trainierten am Münchner Landesstützpunkt. Heute ist das nicht mehr so. Großhadern ist ein internationales Team geworden. Die deutschen Kämpfer reisen vielfach aus dem Norden an, Dempf lässt das als Fakt stehen und denkt zurück: Der hauchdünne Sieg im Halbfinale gegen Abensberg (7:7), nur durch die bessere Unterbewertung: "Was für ein Moment! Im letzen Kampf haben wir Ariel von außen noch zugerufen: Du brauchst einen Waza-ari! Du brauchst einen Waza-ari!" Zeevi hörte es. Er siegte mit Waza-ari. Die Sensation war perfekt. Im Finale in Frankfurt/Oder bezwang Großhadern den Gastgeber 8:6. Dempf erinnert sich an die "Riesenanspannung" und daran, dass er trotz der Aufregung seine beiden Kämpfe gewann. Auch Schumacher, Zeevi und Wanner punkteten doppelt.

Wanner war der Star des Teams. Der 23-Jährige steckte allerdings in einer Formkrise. "Ich hatte kein gutes Jahr", sagt der gebürtige Wolfratshauser, der bei der WM in München schon in der ersten Runde gescheitert war. "In der Liga hat es aber zum Glück funktioniert." Früher schüchtern und wortkarg, plaudert Wanner heute frei heraus. "Der Wettbewerb mit der Mannschaft ist etwas besonderes, ein Gemeinschaftserlebnis als Kontrast zum Turnier-Alltag" - Judo ist ein gnadenloser Einzelsport. Zwei Jahre nach dem Titel mit Großhadern wurde Wanner in Osaka Weltmeister im Einzel.

Wenn Wanner von damals erzählt, sagt er immer noch "wir", obwohl er mittlerweile in Bamberg wohnt und - wenn überhaupt - nur noch im dortigen Verein mithilft. "Wir wollen wieder zuschlagen, wir haben gute Chancen", sagt Wanner anno 2015, als würde er selbst noch mitkämpfen. Er ist in Esslingen als Zuschauer dabei. Viele Athleten kennt er zwar nicht mehr, trotzdem wird er an der Seite seines ehemaligen Teamkollegen Dempf und seines Trainers Matusche die Daumen drücken. "Judo-Freundschaften sind Freundschaften fürs Leben", sagt Wanner.

Dass Abensberg nicht dabei ist, stört weder ihn noch Dempf. "Hinterher fragt keiner, wie du gewonnen hast", sind sich beide einig. "Es zählt nur, dass du gewonnen hast." Der Moment, "wenn du weißt, dass du es geschafft hast" - Wanner hält kurz inne: "Einfach großartig."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: