Judo:Es muss weh tun

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Richard Trautmann hat beim TSV Großhadern seine Liebe zum Judo entdeckt. Jetzt ist er Bundestrainer und will vieles besser machen. Er weiß, dass er spätestens bei Olympia 2020 in Tokio daran gemessen wird

Von Julian Ignatowitsch, München

Auf dem Weg von der Judohalle im Erdgeschoss zum Besprechungszimmer im Keller klingelt sein Handy zweimal. Richard Trautmann hält sich kurz. "Ja", er rückt seine Brille zurecht und nickt. "Ja, ist okay." Trautmann ist in diesen Tagen ein gefragter Mann und viel unterwegs. Gerade hat er eine knapp zweiwöchige Reise durch Deutschland gemacht. "Ich habe unsere Stützpunkte besucht, um mit den Verantwortlichen vor Ort zu sprechen und mir ein Bild von der aktuellen Lage zu machen", erklärt er. Berlin, Leipzig, Hannover, Köln, Sindelfingen und Frankfurt/Oder. Jetzt ist er zurück in München. Hier ist Trautmann geboren, aufgewachsen und hat bei seinem Heimatverein TSV Großhadern den Judosport kennen- und lieben gelernt. Dort sitzt er also nun, der ehemalige Superleichtgewichtler, in einem kleinen Zimmer im Keller und spricht über seine großen Pläne.

Zum 1. Januar 2017 tritt Richard Trautmann den Posten als neuer Judo-Bundestrainer der Männer an. Was er derzeit macht, würde man bei einer Band als Clubtour vor der richtigen Tournee bezeichnen. Trautmann probt die neuen Aufgaben, er groovt sich als künftiger Nationaltrainer ein. "Wenn es nicht klappt, bin ich derjenige, der den Kopf hinhalten muss. Entscheidend sind die Olympischen Spiele 2020 in Tokio." Und so spricht er immer wieder über das Großereignis in dreieinhalb Jahren, darüber, was er besser machen will als sein Vorgänger Detlef Ultsch.

"Mir ist wichtig, dass wir eine offene Diskussionskultur pflegen. Wenn sich jeder sagen traut, was er denkt, hilft uns das auch sportlich weiter", meint Trautmann. Man hört heraus, dass das zuletzt im Nationalteam nicht mehr der Fall war. Die Stimmung im Team sei schlecht gewesen, war auch aus dem Kreis der Athleten zu vernehmen. Die medaillenlosen Sommerspiele hatten dazu beigetragen, es kam zum Trainerwechsel. Trautmann will den Judoka wieder mehr Verantwortung übertragen, sie zur Selbsthilfe animieren. "Die Videoanalyse nach dem Kampf muss erst mal jeder für sich selbst machen", nennt er ein Beispiel. "Auch die Einhaltung der Trainings- und Essenspläne muss jeder für sich selbst kontrollieren." Jeder müsse sich letztlich im Klaren darüber sein, "das ist meine eigene Karriere".

Trautmanns neuverordnete Freiheit kommt mit dem Zeigefinger des Imperativs. "Man muss...", das hört man bei ihm ständig. Sein Anspruch ist genauso hoch wie seine Ziele. Von seinen Athleten fordert er unbedingte Professionalität und Disziplin, die Kontrolle zur Selbstkontrolle sozusagen. Judo sei schließlich keine Selbsthilfegruppe, sondern "ein knallharter Sport, der wehtut".

Der Kämpfer Trautmann holte 1992 und 1996 zweimal olympisches Bronze. "Ich habe diese großen Wettkämpfe genossen", sagt er. Bis heute ist er zusammen mit Günther Neureuther und Florian Wanner der erfolgreichste Athlet in der Vereinsgeschichte Großhaderns. Nur für den ganz großen Wurf, eine Goldmedaille, reichte es nicht. Trotzdem war er eine Art Musterprofi und Aushängeschild des deutschen Judos. Als Trautmann seine Trainerkarriere begann, war für ihn klar, dass er auch dort nach oben will: "Wie als Sportler, so als Trainer." Er war Vereins-, Landes-, Bundesjugend- und Juniorentrainer, jetzt ist er also Bundestrainer des A-Kaders. So könnte er 2020 doch noch Gold gewinnen, nur in veränderter Rolle.

Sein Ansatz: "Lieber haben wir wenige richtig gute Kämpfer, als viele halb gute. Die Förderung der Spitzensportler will auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) künftig ausbauen. Im Rahmen der neuen Kriterien ist aber noch ungewiss, welche finanziellen Mittel den Judoka dafür tatsächlich zur Verfügung stehen. Die erfolglosen Sommerspiele stellen eher Kürzungen in Aussicht. Der Stützpunkt in Frankfurt/Oder wird wegfallen. München dagegen bleibt zusammen mit Köln die wichtigste Anlaufstelle. Trautmann will Spitzenleute wie Karl-Richard Frey (Köln) oder Sebastian Seidl (München) dennoch mehr ins Ausland schicken. "Sie müssen regelmäßig mit den Besten trainieren", sagt er. Trainingslager in Japan, Russland oder Kasachstan seien dafür unausweichlich. Ein einfacher Satz von ihm lautet: "Ich will wieder mehr Judo machen als mein Vorgänger." Denn unter diesem sei zu viel auf Physis gesetzt worden. "Auch die Trainingspläne müssen individueller werden", meint Trautmann. In der Vorbereitung auf die Spiele 2016 habe er einige Fehler beobachtet, manchem Athleten habe Wettkampfpraxis gefehlt.

Er äußert diese Kritik so sachlich wie schonungslos, nimmt sich immer wieder kurze Denkpausen und betont damit auch die Bedeutung seiner Worte. Dabei verfällt Trautmann nie in Geschwätzigkeit, sondern bleibt immer inhaltlich. Wer ihm zuhört, hat den Eindruck, dass hier schon lange jemand darauf gewartet hat, seine Pläne zu verwirklichen. Das Bild des visionären Machers - mit sportlichen Erfolgen kann es Trautmann bald auf der großen Bühne verfestigen.

Richard Trautmann, der einst beim TSV Großhadern seine Liebe zum Judo entdeckte. (Foto: Johannes Simon)

Dass er bereits bei den Junioren gute Arbeit geleistet hat, zeigen die Erfolge des Münchners Dominic Ressel (WM-Dritter 2013), von Alexander Wieczerzak (Weltmeister 2010) oder jüngst das EM-Silber des Abensbergers Manuel Scheibel unter seiner Führung. "Solche Top-Talente müssen noch mehr gefördert werden und sich früher unter den Besten behaupten", findet Trautmann. "Ein 20-Jähriger von heute ist zu den Spielen 2020 im besten Alter und ein potentieller Olympiasieger." Immer wieder: Das Müssen, das Siegen.

Und dann sagt Trautmann auch ganz offen: "Ich hätte mir das Amt des Bundestrainers schon vor vier Jahren gewünscht." Nach den erfolgreichen Spielen 2012 in London wären die Veränderungen finanziell leichter zu realisieren gewesen. "Aber so weit ist das System nicht", sagt er. Länger als acht Jahre sei der Job doch fast nicht zu machen. "Die vielen Reisen, die akribische Arbeit." Auf Trautmann wartet nun die erste olympische Regierungszeit als deutscher Judo-Chef: Vier Jahre, in denen er viel verändern will, viel unterwegs sein und viel telefonieren wird.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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