Judo:Einfach abgeprallt

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Großhaderns Judo-Frauen verpassen als Titelverteidiger das Finalturnier in der Bundesliga. Schuld daran ist ihr schon während der ganzen Saison ausgedünnter Kader.

Von Raphael Weiss, München

Tanja Kupschewski beobachtet lauernd ihre übermächtige Gegnerin. In gebückter Haltung und mit angewinkelten Armen bewegt sie sich über die Matte auf der Suche nach irgendeiner Schwachstelle, einer Unachtsamkeit, die sie ausnutzen könnte. Ihre Gegnerin ist mehr als einen Kopf größer und 16 Kilo schwerer als sie. Drei blitzschnelle Schritte nach vorne, ein Griff an den Anzug der Gegnerin, eine Drehung - doch Anna-Marie Wagner bleibt ungerührt stehen. Eine ungleiches Duell, wie aus dem 007-Streifen Der Spion, der mich liebte: Wagner, aktuelle deutsche Meisterin, in der Rolle von Richard Kiel alias Beißer, lässt Kupschewskis Angriffe unbeeindruckt über sich ergehen, um dann den Kampf mit einer einzigen Attacke zu beenden. Nach einer Minute und zwei Sekunden ist alles vorbei.

Es war das 1:6 im Duell um den Einzug in die Finalrunde der Judo-Bundesliga zwischen dem TSV Großhadern und der TSG Backnang. Der Punktverlust im letzten Kampf des ersten Durchgangs bedeutete, dass die Frauen des TSV Großhadern ihren Titel aus dem Vorjahr nicht mehr verteidigen konnten. Vor dem Kampftag standen sie auf Rang vier. Platz drei berechtigt zur Teilnahme an der Finalrunde. Wegen Verletzungen konnten die Münchnerinnen nicht genügend Kämpferinnen an den Start schicken: In der ersten Runde endeten zwei Ansetzungen kampflos, im zweiten Durchgang drei. Hinzu kamen die Duelle, die von vorneherein verloren waren, wie das zwischen Kupschewski, die normalerweise in der Klasse bis 63 Kilo antritt, und Wagner in der Kategorie über 78 Kilo.

Am Boden: Philine Falk nach ihrem verlorenen Kampf gegen die niederländische Meisterin Antoinette Hennink. Zu diesem Zeitpunkt steht schon längst fest, dass die Saison für den TSV Großhadern gelaufen ist. (Foto: Claus Schunk)

Schon vor Beginn des ersten Kampfes hatte es bei den Heimfans keine Hoffnung auf die Qualifikation zur Finalrunde gegeben. Viele von ihnen verzogen das Gesicht, als sie den Aushang mit den Paarungen lasen. "Das wird deutlich", "keine Chance", oder "oh nein, wie schade" hieß es angesichts des stark ausgedünnten Aufgebots.

Denn es fehlten ausgerechnet die besten Kämpferinnen. Laura Vargas Koch hatte zwar den Judo-Anzug an, aber um unnötiges Risiko zu vermeiden, kämpfte sie nicht. Theresa Stoll, am Vorabend von der deutschen Sporthilfe als "Sportstipendiatin des Jahres" ausgezeichnet, musste zum Physikum antreten, sie studiert passenderweise Medizin; ihre Zwillingsschwester Amelie saß mit einem Sehnenriss im großen Zeh auf der Tribüne: "Zuschauen ist schlimm. Ich bin immer viel nervöser, wenn ich draußen sitzen muss", sagte die 21-jährige. "Als amtierender deutscher Meister haben wir einen anderen Anspruch, aber die Probleme mit dem Kader ziehen sich schon durch die ganze Saison." Man sei zu dünn besetzt gewesen, vor allen Dingen in den unteren Gewichtsklassen, dies gelte es in der kommenden Saison zu ändern. "Zwei Wochen vor dem Wettkampf waren wir noch gut aufgestellt - und dann kamen nach und nach die Verletzungsmeldungen rein." Leider, sagt sie, sei die deutsche Team-Meisterschaft im Judo weniger bedeutend als Einzelturniere.

Auch Lisa Dollinger konnte nur nach dem Wettkampf helfen, als es darum ging, die Halle aufzuräumen. Sie kam von der Weltmeisterschaft in Budapest Anfang des Monats mit einem Bündelriss in der Brustmuskulatur zurück. "Wir mussten quer durch die Gewichtsklassen Leute verschieben. Die zwei Punkte, auf die wir gehofft haben, haben wir geholt", erläuterte sie. Die beiden Punkte beim 2:12 holte die Britin Lucy Renshall. Die erste Runde gewann sie nach 53 Sekunden. Die zweite war ein packender Kampf, der einzige, der am Samstag auf Augenhöhe geführt wurde.

Gute Kämpferinnen hat der TSV Großhadern genügend, doch genau darin liegt auch die Krux: Wenn sie bei internationalen Kämpfen antreten oder sich verletzen, gibt es keinen Ersatz. Um nächstes Jahr wieder Chancen auf den Titel zu haben, muss der Kader breiter werden, damit auch auf eine solche Vielzahl von Ausfällen reagiert werden kann. Auch die James-Bond-Filme zeigen ja: Mit einem breiten Arsenal und einem Plan C und D in der Tasche sind auch übermächtige Gegner wie der Beißer zu besiegen.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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