Hockey:Sechser im Lotto

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Zweieinhalb Jahre nach ihrem Wechsel zum Münchner Sportclub ist Torhüterin Selina Müller zur Nationalspielerin gereift.

Von Katrin Freiburghaus, München

Die Hauptrunde der Hallenhockey-Bundesliga endete für die Frauen am vergangenen Wochenende, und vor Beginn der Saison waren beim Münchner Sportclub viele davon ausgegangen, dass dasselbe für das junge Frauen-Team des Klubs gelten würde. Doch die "Kükentruppe", wie Trainer André Schriever den für die kurze Indoor-Saison im Vergleich zum Feld noch einmal verjüngten Kader getauft hatte, schwamm sich am letzten Spieltag beim Mannheimer HC frei und qualifizierte sich mit einem 3:3 in letzter Minute für das Viertelfinale in anderthalb Wochen in Düsseldorf. "Das haben wir uns von Spiel zu Spiel erarbeitet", sagte Torhüterin Selina Müller zufrieden, die nicht nur im entscheidenden Spiel in Mannheim großen Anteil an der erfreulichen Verlängerung dieser Saison für den MSC hatte, sondern die gesamte Hallenrunde über ein starker Rückhalt gewesen war.

Deshalb musste die 21-Jährige auch kurzfristig noch einen weiteren Termin in ihrem Kalender unterbringen: die Hallen-Europameisterschaft in Minsk am kommenden Wochenende. Im Sommer gewann sie mit ihren Team-Kolleginnen Jule Bleuel und Philin Bolle bereits Bronze bei der U-21-EM im Feld. Dass sie nun ihre erste Nominierung für den A-Kader des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) erhalten hat, findet Schriever nur konsequent. Müller selbst habe, obwohl sie im Perspektiv-Kader stand, "nicht unbedingt damit gerechnet". Die Hallen-EM ist in der olympischen Saison traditionell ein Turnier für Perspektiv-Spielerinnen, weil sich das A-Team auf die Vorbereitung für die olympische Feld-Variante im Sommer konzentriert. Für die zahlenmäßig stark limitierte Position der Torhüterin ist die EM deshalb nicht nur ein singuläres Erlebnis, sondern zugleich eine Bühne, um sich für weitere Einsätze zu empfehlen.

Nationalmannschaftskarrieren von Torhüterinnen beinhalten zugleich bis auf wenige Ausnahmen lange Wartezeiten - und den richtigen Umgang damit. "Man muss auf dieser Position manchmal jahrelang Geduld haben, ohne großartig für Maßnahmen berücksichtigt zu werden", sagt Schriever, "aber man muss die ganze Zeit so spielen, dass man voll da ist, wenn man seine Chancen bekommt." Dass sie nicht darauf wartet, entdeckt zu werden, hat Müller bereits mit ihrem Wechsel nach München bewiesen. Vor zweieinhalb Jahren nahm sie ihre Karriere selbst in die Hand, als sie den Mannheimer HC verließ.

Für gewöhnlich ist die Wechselbewegung bei Spielerinnen mit Nationalteam-Ambitionen entgegengesetzt: Die finanziell und damit auch strukturell besser gestellten Klubs residieren im Norden und Westen des Landes. Schriever hofft zwar, dass sich dieser Trend unter Berücksichtigung der guten Perspektive seines derzeitigen Teams mit acht Junioren-Nationalspielerinnen auf Sicht bremsen lässt. Dieser Ausblick war es jedoch nicht, der Müller zum Umzug bewog. "Das ist ganz einfach zusammenzufassen", sagt sie, "ich wollte spielen."

MSC-Männer-Coach Patrick Fritsche holte als Co-Trainer der deutschen Männer EM-Gold

In Mannheim war sie die Nummer zwei auf ihrer Position und damit auf unbestimmte Zeit in der Warteschleife, während sie sich beim MSC schnell als Konstante und Lebensversicherung zugleich etablierte. Sie halte so regelmäßig stark, sagt ihr Trainer, "dass man manchmal ganz vergisst, das lobend zu erwähnen". Die Fußstapfen von Nationaltorhüterin Kim Platten waren groß. Das allerdings sei wohl auch insofern keine Last gewesen, "als sie von außerhalb zu uns kam", sagt Schriever, der Müller "für uns einen Sechser im Lotto" nennt - "sowohl menschlich als auch sportlich".

Selina Müller ist in diesem Winter bereits das zweite Mitglied der MSC-Hockeyabteilung in Diensten des DHB. Männer-Trainer Patrick Fritsche wurde am vergangenen Wochenende als Co-Trainer der deutschen Hockey-Herren Europameister. Mit Prognosen hält sich Müller allerdings zurück, was weniger an den Gegnern als an der speziellen Situation des eigenen Teams liegt. Es gibt quasi keine Vorbereitungszeit, weil das Turnier auf ein spielfreies Wochenende zwischen Hauptrunde und Viertelfinale mitten in der Saison fällt. "Es wird einfach wichtig sein, so schnell es geht auf einen Nenner zu kommen und als Team zusammenzuwachsen", sagt Müller. Mit beidem kennt sie sich nach der bisherigen Hallenrunde immerhin schon mal bestens aus.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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