Handball:Piraten-Überfall

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"Im Traum denkt jeder an die zweite Liga": Im Süden wären Brucks Handballer im Vorjahr fast abgestiegen, im Osten hatte sie niemand auf der Rechnung. (Foto: Johannes Simon)

Drittligist Fürstenfeldbruck sichert sich durch Kantersieg die Vizemeisterschaft

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Julian Prause steht an seinem angestammten Platz am Wurfkreis mit dem Rücken zum Tor, als ihn das Zuspiel erreicht. Reaktionsschnell wirft er den Ball, ohne sich umzudrehen, nach hinten - geradewegs ins Netz. Mehr als 600 Zuschauer in der Wittelsbacher Halle von Fürstenfeldbruck werden zu Zeugen dieses ballsportlichen Kunststücks und geraten schier aus dem Häuschen angesichts des Seltenheitswerts der Ausführung. Und weil alle gerade so in Stimmung sind, setzt Rückraumspieler Korbinian Lex noch einen Kempa-Trick obendrauf, bei dem er den Ball in der Luft fängt und ins Tor befördert. Es war die Schlussphase nicht nur eines Drittliga-Handballspiels, in dem die Gastgeber vom TuS Fürstenfeldbruck dem designierten Absteiger TSV Rödelsee in allen Belangen überlegen waren, es war die Schlussphase im letzten Heimspiel einer Saison, die in Fürstenfeldbruck bis zum Ende einen geradezu märchenhaften Verlauf genommen hat.

Weil die Konkurrenz patzte und Fürstenfeldbrucks Handballer mit 42:17 (19:6) den zwölften Sieg im 15. Heimspiel feierten, werden sie unabhängig vom Ausgang der letzten Partie Zweiter der dritten Liga Ost bleiben. Damit geht ein Sportjahr zu Ende, das sie nicht umsonst "Saison unseren Lebens" nennen. Sie haben 42:16 Punkte geholt, bislang 19 Mal gewonnen und stellen den zweitbesten Angriff der Spielklasse. Mit modernem Hochgeschwindigkeitshandball haben sie die Ost-Staffel der Liga, in die sie zu Saisonbeginn eingeteilt wurden, regelrecht überfallen wie Piraten vormals Handelsschiffe in karibischen Gewässern. Im Vorjahr nur knapp dem Abstieg entgangen, hatte sie heuer kein Konkurrent auf der Rechnung. Und nun Zweiter und der zweiten Liga nahe wie niemals wieder seit Anfang der Neunzigerjahre, als der TuS mal für eine Saison dort spielte.

Die Aufstiegsrelegation wäre nun möglich gewesen, hätten sie nicht schon vor Wochen ihren Verzicht erklärt. Als nicht zu stemmen, finanziell und organisatorisch, gilt die professionelle Strukturen verlangende zweite Bundesliga. Er habe "insgeheim nie damit gerechnet, dass wir jetzt immer noch da oben stehen", sagt Trainer Martin Wild. Ein bisschen tut sich da nun doch die Dimension der Chance auf, die sie gehabt hätten. "Im Traum denkt jeder an die zweite Liga", sagt Korbinian Lex. Doch er sagt auch, dass man realistisch sein müsse. "Es wäre ein großer Sprung und schwer zu vereinbaren mit dem Beruf". Und so wird mangels Konkurrenz - die Zweiten aus West und Ost wollen nicht, der Nord-Zweite Magdeburg II darf nicht - die SG Leutershausen als Zweiter im Süden in Liga zwei zurückkehren.

In Fürstenfeldbruck feiern sie trotzdem mit ihren Fans nach Spielschluss bei Freibier, Grillwurst und Pizza. Mehr als 10 000 Besucher hatten sich zu den Heimspielen eingefunden und einen nie da gewesenen Hype entfacht. Selbst in der bedeutungslosen Partie gegen Rödelsee merkte man den Gastgebern auf dem Parkett ihre beinahe unstillbare Gier nach Toren an. In den letzten anderthalb Minuten standen alle Zuschauer auf den Bänken und gaben klatschend den Rhythmus vor, ganz oben hielten die Fans große Plakate mit Buchstaben in die Höhe, die sich zu einem "Danke für eine geile Saison" zusammenfügen. Die Hauptdarsteller gaben die Huldigung ans Publikum zurück und bedankten sich ihrerseits mit einem großen Transparent "für die tolle Unterstützung". Es habe "unheimlich Spaß gemacht und wir waren erfolgreich. Was will man mehr?", sagte Rückraumspieler Christian Haller. Kapitän Tobias Prestele sprach von einer "Saison der Superlative", die eigentlich der perfekte Moment sein könnte, um aufzuhören. Der Kreisläufer wird demnächst Vater und lässt noch offen, ob er weitermachen wird. Torhüter Lucas Kröger wird möglicherweise ein Berufspraktikum andernorts absolvieren, der übrige Kader bleibt. Aus Balingen kommt Johannes Stumpf zurück. Ansonsten werde man "nicht mehr groß auf Suche gehen, sondern das Team zusammenhalten", so Martin Wild. Jene Mannschaft, die sich so bewährt hatte in den vergangenen acht Monaten. Es ist eine von vielen Mannschaften, die der langjährige Brucker Betreuer Richard Ostermeir begleitet hat. "Aber so eine Saison wie diese", sagt er überwältigt, "habe ich in vierzig Jahren nicht erlebt."

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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