Handball:In der neuen Welt

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Holger Winselmann hat 234 Mal für die Nationalmannschaft gespielt, war WM-Dritter, fünfmal Meister in der DDR. Ein Schicksalsschlag hat ihn vor zwei Jahren nach Bayern geführt, jetzt trainiert er die HSG München-West - in der Bezirksoberliga

Von Ralf Tögel, München

Aus Spaß? Handball-Trainer in München, in der Bezirksoberliga? Als zigfacher Nationalspieler, WM-Bronzemedaillengewinner, A-Lizenz-Inhaber zur HSG München-West? Holger Winselmann muss selbst kurz lachen, dann überlegt er und sagt: "Ja. Der Spaß und die Freude als Trainer zu arbeiten, das war der Antrieb. Da spielt die Liga erst mal keine Rolle."

Diese Aussage passt zu Holger Winselmann, der ja eine durchaus beeindruckende Vita vorweisen kann. Beim SC Magdeburg hat er große Erfolge gefeiert, vier Meisterschaften, damals noch in der DDR, einen Pokalsieg. Und in der Nationalmannschaft. 234 Einsätze, Rang neun in der ewigen Bestenliste, erst für die DDR, nach der Wiedervereinigung für Deutschland, zuletzt bei der Weltmeisterschaft 1995. Der 1,73 Meter kleine Rechtsaußen hatte seine Karriere in der deutschen Auswahl eigentlich schon beendet, doch der damalige Bundestrainer Arno Ehret holte Winselmann zurück. Wegen seiner immensen Erfahrung - und wegen seiner Klasse.

"Sportlich gesehen war das ein Riesen-Highlight", erinnert sich der 51-Jährige, "leider nicht mit dem erhofften Happy End." Sieben Spiele in Serie hatte die deutsche Auswahl in Island gewonnen, ausgerechnet im Halbfinale setzte es die erste Niederlage, 20:22 gegen die Franzosen, mit dem grandiosen Jackson Richardson. In der Gruppenphase hatten Winselmann und Kollegen den späteren Weltmeister noch düpiert. Im Spiel um Platz drei gegen die großen alten Schweden, die Generation um Magnus Wislander, Staffan Olsson und Stefan Lövgren, war die Luft raus, "aber das war schon ein richtig schönes Turnier", erinnert sich Winselmann.

Schöne Erinnerungen. Der sportliche Alltag ist grau. Holger Winselmann sitzt entspannt vor einer Tasse Kaffee, schwarz, keine Milch, viel Zucker. Er kann sich das leisten, der 51-Jährige ist noch gut in Form, kein Gramm Fett. Winselmann wird selten erkannt, erzählt er, eigentlich nie, doch das ist ihm auch nicht wichtig. Er ist kein Lautsprecher. Der gebürtige Magdeburger ist zurückhaltend, spricht leise, wirkt manchmal fast schüchtern. Kürzlich, so erzählt er, beim ersten Spiel mit seiner neuen Mannschaft beim ESV Laim, hat ihn der Präsident des Gastgebers in der Halle groß angekündigt. Den ehemaligen Nationalspieler, den WM-Dritten. Ein bisschen hat ihn das schon stolz gemacht, "das kommt sonst nie vor". 20:30 hat die HSG München-West dann verloren, das war weniger erfreulich, aber "keine dramatische Sache", schließlich ist man Aufsteiger, Laim war im Vorjahr Dritter. Dass Winselmann in Bayern gelandet ist, ist Zufall.

Schöne Erinnerungen: Holger Winselmann spielte bis zur Wiedervereinigung für die DDR, wie hier beim 25:19 in Eisenach gegen Polen. (Foto: Imago)

Für die HSG ist es ein Glücksfall. Erst sah alles nach der typischen Karriere eines Ex-Profis aus. Nach seiner aktiven Zeit übernahm Winselmann für einige Jahre das Amt des Lehrreferenten im Handball-Verband Niedersachsen, ehe er sich dem Trainerdasein widmete und durch die Lande zog. 2003 führte ihn dieser Weg erstmals nach Bayern zum TSV Friedberg, wo er Spielertrainer war und seine Lebensgefährtin kennenlernte. Der Vertrag wurde nicht verlängert, es ging zurück in den Osten zum Regionalligisten Oranienburger HC, später zum Dresdner Oberligisten HC Elbflorenz, wo er dann auch Nachwuchskoordinator war. Der Antrieb für seinen endgültigen Umzug nach Bayern war ein denkbar unschöner. Vor eineinhalb Jahren erkrankte seine Partnerin schwer. Der studierte Sportwissenschaftler zog nach jahrelanger Fernbeziehung nach Gersthofen bei Augsburg, um sich ein Jahr um seine Lebensgefährtin zu kümmern. "Plötzlich war Handball völlige Nebensache", sagt er. Jetzt geht es seiner Partnerin wieder besser, "sie arbeitet auch wieder". Winselmann selbst hat eine Anstellung als Sportlehrer in einer ambulanten Reha-Einrichtung in Augsburg angenommen. Den Wunsch, als Trainer zu arbeiten, hat er aber nie ganz verloren. Erst heuerte er beim TSV Gersthofen in der Bezirksoberliga an, das war naheliegend. "Wir sind in die Bezirksliga abgestiegen, keine gute Reputation", er lacht und nimmt einen großen Schluck aus der Kaffeetasse.

Natürlich wäre er gerne höherklassig eingestiegen, er hat sich auch erkundigt, doch Drittligist Fürstenfeldbruck hat in Martin Wild einen guten Trainer, "die sind sehr zufrieden". Bayernligist Friedberg sucht mit dem ehemaligen Profi Manuel Vilchez-Moreno als Coach eine Neuausrichtung. Das war es schon mit hochklassigem Handball in der Region Südbayern. Also die HSG München-West. Die hat sich um den prominenten Trainer bemüht, ihn auch mit einem guten Jugendkonzept überzeugt. Die Bezirksoberliga ist dennoch ein harter Einschnitt für einen ehemaligen Profi, Winselmann muss jetzt in Amateurkategorien denken. "Es macht Spaß", sagt er, außerdem "habe ich mich ja in Gersthofen akklimatisieren können."

Dennoch: Das ist eine andere Welt, eine weitgehend unbekannte für Winselmann, er sagt: "Es ist schwierig, sich als das absolut letzte Glied der Kette zu fühlen. Was man ja auch ist, weil Beruf, Familie und andere Sachen vorgehen." Die Spieler würden ihm "sehr klar zu verstehen geben, dass Handball ihr Hobby ist". Da müssen Trainings schon mal mit einer Handvoll Akteure überstanden werden. Die Vorbereitung? Winselmann muss grinsen: "Ich habe nicht ein Vorbereitungsspiel in derselben Aufstellung spielen können." Er sei "auf die Bereitschaft der Spieler angewiesen", betont er. Auch im ersten Saisonspiel musste er sich etwas einfallen lassen, weil wichtige Spieler fehlten. Aber es ist in Ordnung, findet Winselmann, "man weiß ja, worauf man sich einlässt". Er denke eher perspektivisch. Ziele? Der Klassenerhalt, natürlich, und vielleicht Spieler aus dem eigenen Nachwuchs für die Männermannschaft zu entwickeln.

Nach der Wende wurde Holger Winselmann in die gesamtdeutsche Auswahl berufen. Heute stellt er sich den Anforderungen im Amateursport. (Foto: Stephan Rumpf)

Die A-, B- und C-Jugend waren schließlich drei Argumente für den Wechsel von Gersthofen nach München. Winselmann spricht oft von Konstanz, wohl das Hauptproblem im Amateurbereich, in dem Improvisation gefordert ist. Vor einer Woche spielte die HSG West 28:28 gegen Trudering, nach einer tollen Aufholjagd, ein erster kleiner Erfolg, Trudering ist Landesliga-Absteiger. An diesem Samstag muss die HSG beim SB Chiemgau Traunstein antreten, der sich im Vorbericht auf seiner Homepage auf ein enges Spiel einstellt.

Vom neuen prominenten Trainer des Gegners: kein Wort.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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