Handball:Gift in der Stressphase

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Gesprächsbedarf: Was TuS-Trainer Martin Wild in der Schlussphase der Partie von seinen Spielern sah, wird weitere Diskussionen nach sich ziehen. (Foto: Günther Reger)

40 Minuten lang beherrschen Brucks Handballer Neuhausen auswärts nach Belieben, dann folgt ein Bruch und eine unerklärliche 25:26-Pleite.

Von Ralf Tögel, Fürstenfeldbruck

Ob es jemals so ruhig war in der Kabine? Martin Wild dachte kurz nach, er könne sich gerade nicht erinnern, sagte er leise, der Trainer der Fürstenfeldbrucker hatte offenbar Probleme, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wisse nicht einmal, ob überhaupt etwas geredet wurde. Es war ja auch schwer zu verarbeiten, was gerade passiert war. Die Fakten indes sind keineswegs niederschmetternd, die Drittliga-Handballer des TuS Fürstenfeldbruck haben ein Spiel verloren, richtig knapp, mit 25:26 Toren, auswärts, beim TSV Neuhausen/Filder. Kann schon mal passieren, möchte man denken, wäre da nicht dieser famose Saisonstart der Brucker gewesen: Vier Siege aus fünf Spielen, größtenteils gegen hoch eingeschätzte Konkurrenten. Dieser Gegner aber rangierte am Rand zum Abgrund, Neuhausen hatte lediglich einen Sieg auf dem Habenkonto und die Abstiegszone in unmittelbarer Nachbarschaft. Aus diesem Blickwinkel war die Niederlage eine Enttäuschung, nach dem Spielverlauf muss man sie im Brucker Lager gar als Desaster empfinden.

Denn bis 20 Minuten vor dem Ende wurden beide Teams den jeweiligen Erwartungen gerecht. Nach dem üblichen Abtasten stand es nach einer knappen Viertelstunde 4:4, dann übernahmen die Gäste nicht nur die Kontrolle, sondern spielten phasenweise mit einer Dominanz, die dem Trainer wenig Anlass zur Beanstandung gab. Dabei musste Wild mit einem stark dezimierten Kader auskommen, die jüngsten Verletzungen von Max Horner und Falk Kolodziej, zwei der bis dahin bestimmenden Akteure, rissen große Löcher in die Personaldecke. Immerhin waren Sebastian Meinzer und Zugang Alex Horner, der bisher kaum Spielpraxis in seinem neuen Team sammeln konnte, in den Kader zurückgekehrt, vor allem Meinzer erwies sich nicht nur wegen seiner vier Treffer sofort wieder als Führungsspieler. Mit konzentriertem Abwehrspiel und Torhüter Michael Luderschmid im Rücken, der bisher in allen Partien zu überzeugen wusste, legten die Brucker einen 6:0-Lauf hin. "Wir haben es geschafft, ihnen ihr Tempospiel zu nehmen", erklärte Wild diese starke Phase seiner Spieler, ist das Konterspiel doch die bekannte Stärke der Neuhausener Auswahl. Mit einer 15:8-Führung ging Bruck in die Pause, zu diesem Zeitpunkt herrschte noch Hochstimmung in der TuS-Umkleide. Als einziges Versäumnis machte Wild aus, "dass wir nicht noch ein paar Tore weiter weggezogen sind", trotz vorhandener Möglichkeit. Acht Gegentore in der dritten Liga gelten als Spitzenwert, warum also sollte es nicht so weitergehen? Das war die große Frage, die selbst der Trainer nicht so recht zu beantworten wusste. Vielleicht die eine oder andere Auszeit zu einem früheren Zeitpunkt? Der Substanzverlust der vor kurzem aus dem Verletztenstand zurückgekehrten Spieler? Der ausgedünnte Kader?

Wild musste mit acht Akteuren auskommen, die Aushilfen aus der Reserve waren in so einer kniffligen Spielphase nicht wirklich hilfreich. All das wollte Wild aber für das folgende Geschehen nicht als Ursache ausmachen: "Es war keine Kraftsache, es war Kopfsache." Denn die Brucker schafften es tatsächlich mit jenen unerklärlichen Schwächen, den Gegner zu reanimieren. Was sofort auch neues Leben auf die Zuschauerränge trug, ein gefährlicher Mix für Gastmannschaften. Neuhausens Trainer Eckard Nothdurft, den man als alten Hasen seines Metiers bezeichnen darf, krempelte als letzte Maßnahme seine Defensive komplett um, entsandte nach der Pause einen neuen Innenblock aufs Feld, um von der üblichen offensiven Abwehr auf eine maximal defensive 6:0-Reihe umzustellen. Die zündende Idee, auch weil sich die Brucker mit schwachen Würfen, leichten Fehlern und schnellen Ballverlusten als optimale Probanden erwiesen. Aus einem 17:10 wurde in rekordverdächtigen sechs Minuten ein 17:14, dann "begann die Stressphase in den Köpfen", wie Wild befand. Beim 16:18 (44.) stellte der Gastgeber den Anschluss her, der TuS bäumten sich auf und schlug zum 22:19 zurück (48.). Doch als Neuhausen sieben Minuten vor dem Ende erstmals mit dem 23:23 den Ausgleich schaffte, bog das Verhängnis auf die Zielgerade ein.

Die Abwehr war löchrig, die Torhüter - zwischenzeitlich hatte Wild es für den in der zweiten Halbzeit glücklosen Luderschmid mit Valentin Hagitte versucht - bekamen keine Hand mehr an den Ball. Besonders ärgerlich empfand Wild aber, dass "wir zu früh aufgegeben haben, uns nicht mehr gewehrt haben". Stattdessen begannen Fürstenfeldbrucks Spieler zu diskutieren, zunächst mit dem Schiedsrichter, dann auch miteinander. Oft wurde die Schuld beim Nebenmann gesucht, ein Umstand, der jedes Mannschaftsspiel umgehend vergiftet. "Die Spieler waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt", urteilte ihr Trainer Wild indes milde, er sehe keinen Schaden im Mannschaftsgefüge. "Das ist auch menschlich. Was uns an guten Tagen auszeichnet, hat in der zweiten Halbzeit komplett gefehlt." Wild kündigte noch ein paar "klare Worte" an, für Montag, im Training. Worte, die am Samstagabend noch fehlten. Während der Heimfahrt aus Neuhausen auf den Fildern nahe Esslingen war es im Bus totenstill.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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