Handball:Drama mit offenem Ende

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Och, nööö: Beim TuS Fürstenfeldbruck, vorne Trainer Martin Wild, sickert allmählich die Erkenntnis durch, dass der Aufstieg in die zweite Liga – eben noch zum Greifen nah – wohl um mindestens eine weitere Saison in die Ferne gerückt ist. (Foto: Markus Fischer/imago)

Der TuS Fürstenfeldbruck muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass seine famose Saison Makulatur ist. Immerhin bleibt die Mannschaft zusammen - in welcher Liga auch immer.

Von Ralf Tögel, München

Wie es weitergeht? Plötzlich ist es still in der Telefonleitung, Martin Wild überlegt lange. Dann seufzt er und sagt: "Beim TuS war in den vergangenen Jahren immer viel Drama. Vor fünf Jahren hatten wir kein Geld, um aufzusteigen, vor zwei Jahren wurden uns Punkte abgezogen und jetzt haben uns 60 Minuten gefehlt." Wild meint die Dauer eines Handballspiels, denn ein einziger weiterer Sieg genügt dem TuS, um die Meisterschaft in der dritten Liga, Gruppe Süd, sicherzustellen. Fünf Spiele stehen noch aus, drei vor eigenem Publikum, eines davon gegen den abgeschlagenen Letzten TSV Blaustein. Die Meisterschaft schien reine Formsache zu sein - was sollte noch passieren? Für Samstag, nach dem Heimspiel gegen Verfolger Pfullingen, war die große Party geplant. Nun ist der Showdown verschoben, bis auf Weiteres, sagt der Deutsche Handballbund (DHB).

Man sollte sich beim TuS angesichts der sich täglich verschärfenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus mit dem Gedanken anfreunden, dass die famose Spielzeit Makulatur ist. "Aktuell ist sie noch nicht abgesagt", sagt Wild, der einerseits hofft, andererseits alle Maßnahmen aber als "richtig und alternativlos" bezeichnet. Nach der Niederlage gegen Heilbronn-Horkheim habe er erstmals ein mulmiges Gefühl bekommen. An jenem Abend vor zwei Wochen hatte der TuS seinen Gönnern und Sympathisanten bei einem Sponsorentreffen noch die Vorgehensweise für die nächsten Wochen vorgestellt. Sogar einen neuen Geldgeber konnten sie präsentieren. Und nun? "Fakt ist, dass die Spiele bis zum 19. April ausgesetzt sind. Theoretisch wäre bis zum 30. Juni Zeit, ausgefallene Spiele nachzuholen, die neue Saison beginnt offiziell am 1. Juli", sagt Wild. Aber: "Das sind alles wilde Spekulationen."

Auch Allachs A-Junioren sitzen auf dem Trockenen. Die Bundesliga-Spielzeit steht still

Während der DHB auch in seiner jüngsten Stellungnahme von Montag auf den Faktor Zeit setzt, hat der hessische Verband als erster Fakten geschaffen und die Saison für beendet erklärt. Gewertet werden die aktuellen Tabellenstände. Auch für den DHB, der für die dritte Liga zuständig ist, wäre das eine Option. "Was ich gehört habe, entscheidet der Spielleiter über Absteiger, Aufsteiger, oder ob es eine Relegation gibt", sagt Wild. Es gebe einen Paragrafen in der Spielordnung, der dies regele. Möglich sei auch, dass es ohne Auf- oder Absteiger, also in der aktuellen Konstellation, in die kommende Saison geht, dass das bisher Erreichte einfach verpufft. "Das wäre für uns natürlich besonders bitter, wenn alles annulliert wird", sagt Wild. Denn so stark und stabil auf hohem Niveau haben sich die TuS-Handballer in der jüngeren Vereinsgeschichte nie gezeigt. Fürstenfeldbruck hat die Liga dominiert und damit einen regelrechten Handball-Boom ausgelöst. Die Halle war immer voll, wofür der TuS sogar von den Konkurrenten beneidet wurde, alles war auf den Aufstieg in die zweite Liga ausgerichtet.

Sehr zur Freude von Dominik Klein. Der Weltmeister von 2007 ist als Geschäftsführer für das Marketing des Bayerischen Handballverbands (BHV) sowie die Talentförderung zuständig. Der ehemalige Nationalspieler ist ein gern gesehener Gast beim TuS, dem er aktiv zur Seite steht. Kleins erstes Anliegen ist es, den bayerischen Talenten die Möglichkeit zu bieten, in der Region hochklassigen Handball zu bieten, wofür ein Zweitligist unerlässlich ist. Sonst werden die Toptalente weiterhin in andere Bundesländer abwandern, Baden-Württemberg etwa ist ein dankbarer Abnehmer. Der TSV Allach hat in seiner Bundesliga-A-Jugend hoffnungsvolle Talente in seinen Reihen, Klein unterstützt nicht zuletzt die Kommunikation der Klubs, denn die Absprachen seien "ein elementarer Faktor in diesem Bereich". All diese Bemühungen liegen auf Eis, auch der Bundesliga-Spielbetrieb der A-Junioren ist unterbrochen.

"Mir tun vor allem die Jungs leid", sagt Wild, seine Mannschaft habe diese Euphorie entfacht und getragen. "Die Vorfreude war enorm: Meisterschaft, Aufstiegsspiele - so kurz vor dem Ziel abgefangen zu werden, ist tragisch." Am vergangenen Donnerstag hätten sich Spieler und Trainer getroffen, erzählt Wild, man habe sich Pizza kommen lassen, geredet, diskutiert, danach noch ein bisschen gekickt. "Dann haben wir uns verabschiedet, ohne zu wissen, was nun passiert." Der Trainingsbetrieb ist vorerst eingestellt, die Hallen sind geschlossen. "Das Thema hat eine unglaubliche Dynamik entwickelt", sagt Wild, "über allem steht aber die Gesundheit. Das muss man nicht erst erwähnen."

Trotzdem macht er sich als Trainer auch ein paar Gedanken über die Zukunft, und siehe da, es gibt einen sanften Lichtblick: "Die Mannschaft bleibt zusammen, egal in welcher Liga. Die meisten Gespräche haben wir geführt, ein paar stehen noch aus, das wird am Telefon nachgeholt." In dieser Situation ist es ja ein Vorteil, dass das Brucker Handball-Projekt, das unter dem Hashtag #TraumZweiteLiga firmiert, in erster Linie vom Idealismus und der Leidenschaft der Beteiligten getragen wird. Denn im Gegensatz zu Klubs mit hohen finanziellen Aufwendungen plant der TuS bescheiden, die Spieler erhalten eine vergleichsweise geringe Aufwandsentschädigung. "Die wollen wir ihnen auch weiter zukommen lassen", so Wild. Beim potenziellen Relegationsgegner Wilhelmshaven etwa dürfte sich das schwieriger gestalten, der Zweitligaabsteiger hat sich bekanntlich zwecks schneller Rückkehr eine Profitruppe zusammengestellt. Kürzlich wurde Torhüter Jens Vortmann vom Bundesligisten Leipzig verpflichtet, für vier Jahre. Vortmann hat dem Vernehmen nach sogar Offerten aus der ersten Liga abgelehnt.

Auch von Sponsorenseite befürchtet Wild keine Probleme, Regressforderungen wegen ausbleibender Spiele etwa, dafür seien die Summen wohl zu gering, sagt der TuS-Trainer.

Dominik Klein hofft auf das hohe Engagement der Klubs in der Region: "Alle werden von dieser Leidenschaft getragen." Momentan aber bedürfe es eines gewissen Feingefühls, den Handballsport in der bedrohlichen Lage richtig einzuordnen: "Es wird wieder der Zeitpunkt kommen, an dem uns unsere Leidenschaft kitzelt. Hoffentlich lassen es dann auch die Gegebenheiten zu." Momentan, so sagt der vielfache deutsche Meister, ist der Sport in den Hintergrund gerückt.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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