Gewichtheben:Wiederkehr der Langhantel

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Gewichtheben profitiert von neuen Fitnesstrends und wird auch für Frauen attraktiver - wie für Freimanns Kris Stanton

Von Julian Galinski, München

Ein Abstieg kann Sportler brechen, Mannschaften auseinanderreißen, Sponsoren und schlimmstenfalls die Zukunft ganzer Vereine kosten. Die Gewichtheber des ESV Freimann werden als Letzter aus der Bayernliga absteigen, da ist sich Abteilungsleiter Erich Erbar zwei Wettkampftage vor Ende der Runde ziemlich sicher. Zum ESV Neuaubing, dem Tabellenzweiten (19 Uhr, Papinstraße 22), fährt er mit seinem Team ohne große Hoffnung. "Da wird's nicht viel zu holen geben", sagt Erbar. Selbst für die Relegation rechnet er sich wenig Chancen aus.

Die sportliche Situation des ESV Freimann macht also erst einmal einen trostlosen Eindruck. Erbar ist allerdings geradezu gut gelaunt. "Absteigen, das wäre nicht schlimm für uns", sagt er. "Wir sind eine Hobbymannschaft. Zu schlecht für die Bayernliga, aber zu gut für die Bezirksliga. Wir steigen sicher schnell wieder auf." Sponsoren, die vergrämt werden könnten, gibt es sowieso keine. In Freimann wuchten sie die Langhantel in die Höhe, einfach nur weil es ihnen Spaß macht. Und niemand in der Mannschaft verkörpert diesen Gedanken so sehr wie Kris Stanton.

Stanton ist 44 Jahre alt. Mit dem Gewichtheben hat sie vor drei Jahren angefangen. "Ich war viele Jahre lang eine Couch Potato", sagt Stanton, die aus den USA stammt. "Ich hatte 30 Kilo Übergewicht." Spät hat sie mit dem Marathonlaufen angefangen, noch später dann mit Crossfit. Das ist ein derzeit sehr offensiv vermarkteter Fitness-Trend, eine Art Mehrkampf aus Kraft- und Ausdauersport mit einigen artistischen Elementen; Crossfit leiht sich zudem einige Bewegungen und Übungen aus dem Gewichtheben.

Stanton hatte durch den Ausdauersport schon 25 Kilo abgenommen und nun also mit Anfang 40 eine Langhantel in der Hand. Erst war es eine reine Fitness-Maßnahme, aber schnell fand sie Gefallen am Training mit den Gewichten, wechselte vom Crossfit zum Gewichtheben. "Jeder kann anfangen", sagt sie, "egal wie alt. Es ist gesund für Knochen und Muskeln und schult die Bewegung."

Gewichtheben ist ein oft missverstandener Sport. "Das Image wird stark von den Superschwergewichten geprägt, hier in Deutschland kennt man natürlich vor allem Matthias Steiner", sagt Erich Erbar. Der Olympiasieger von 2008 stemmte in Peking im Zweikampf in der Klasse über 105 Kilogramm Körpergewicht im Zweikampf insgesamt 461 Kilo, 203 davon im Reißen, 258 im Stoßen. Wer an Gewichtheben denkt, denkt oft an Brocken wie Steiner, an Hantelstangen, die sich unter Stapeln von Gewichtsscheiben biegen.

Stantons Bestwerte in der Klasse bis 75 Kilo liegen bei 50 Kilo im Reißen und 65 im Stoßen. Dass sie als Frau überhaupt hebt, damit kommen in diesem Sport immer noch nicht alle klar. "Vor allem die Männer von 60, 70 Jahren aufwärts gewöhnen sich nur schwer daran", sagt Erbar. Kris Stanton ist das herzlich egal. Sie ist Gewichtheberin, weil der Sport anspruchsvoller und filigraner ist, als er in den hohen Gewichtsklassen manchmal wirkt, weil er komplexes Training, die passende Ernährung und Ruhezeiten erfordert, um die persönlichen Bestwerte und Wettkampfergebnisse nach oben zu schieben.

"Ein Hammerwerfer lässt sein Sportgerät nach dem Schwung los", sagt Erbar. "Wir bringen das Gewicht erst nach oben, dann müssen wir es auch wieder fangen und runterlassen." Damit das funktioniert, trainieren die Gewichtheber einzelne Aspekte des Reißens und des Stoßens immer und immer wieder, machen ergänzende Übungen und arbeiten massiv an der Beweglichkeit, ganz wichtig. "Deswegen ist die Verletzungsgefahr recht niedrig bei uns", sagt Erbar, "beim Fußball humpeln sie jede Woche vom Platz."

Zwar nicht in der Spitze, aber immerhin in der Breite hält sich der Sport in München hartnäckig. Fünf aktive Vereine gibt es in der Stadt, neben Freimann und Aubing auch den TSV Forstenried, den ESV München-Ost und den SC München von 1906, alle profitieren auch vom Trend Crossfit und der Tatsache, dass die Langhantel im Fitnesstraining wieder angesagt ist. Und dass Gewichtheben in alltagstauglichen Gewichtsklassen den Körper ansehnlich formt, wenn man ein paar Muskeln mag.

Kris Stanton wird wie der Rest der Bayernliga-Mannschaft des ESV Freimann jedenfalls auch in der kommenden Saison weitermachen. "Ist doch egal in welcher Liga", sagt sie. "Natürlich ist es schön, mit der Mannschaft zu trainieren und in Wettkämpfe zu gehen. Aber du trittst auch jedes Mal gegen dich selbst an, gegen deine eigenen Bestwerte."

© SZ vom 21.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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