Fußball-Bayernliga:Wurstsemmeln auf Campingtisch

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Wolfgang Schellenberg, 46, führte als Trainer die U17 des TSV 1860 im Jahr 2006 zur deutschen Meisterschaft. Zuletzt war er seit 2012 Leiter des Nachwuchszentrums. (Foto: Claus Schunk)

Beim 2:2 gegen Kirchanschöring zeigt sich, dass 1860 München II zu seinen Wurzeln als Talentförderer zurückkehrt.

Von Christoph Leischwitz, München

Zumindest herrscht während des Spiels auf dem Trainingsplatz keine Trainingsatmosphäre. Löwen-Fans haben ein Transparent mit der Aufschrift "Bluetsbrüder" an die Bande gehängt, das "Blue" ist in Blau geschrieben. Auf der anderen Spielfeldseite trommeln und singen ein paar Fans des SV Kirchanschöring. Genau gegenüber stehen zwei nachweislich fachkundige Zuschauer. Sie unterhalten sich zwar über die mögliche Todesstrafe in der Türkei, über die Ehefrau von Emmanuel Macron. Aber auch darüber, dass Trainer Dario Casola, früher bei Planegg-Krailling, jetzt Trainer des SC Olching ist.

Jahrelang war die U 21 das Aushängeschild des TSV 1860 München, das Team, das stets für die positiven Nachrichten im Verein zuständig war, der zuverlässige Durchlauferhitzer zwischen Jugend und Profis (auch wenn die erste Mannschaft selbst oft gar nicht davon profitierte), im Grünwalder Stadion wurden sie durchaus auch mal von 1000 Zuschauern lautstark unterstützt. Für ein paar Hardcore-Fans waren sie vielleicht sogar eine Art Schmerzstiller, weil das Dasein in der Fröttmaninger Arena so unerträglich gewesen war.

Am Samstagvormittag, sechzehneinhalb Stunden nach dem weiß-blauen Sommermärchen der neuen ersten Mannschaft im Grünwalder Stadion, wird der Kontrast zur U 21-Vorsaison besonders deutlich. Direkt hinter der Kasse auf dem Vereinsgelände werden Wurstsemmeln auf einem Campingtisch verkauft, Getränke gibt es nur vorne im Stüberl neben der Geschäftsstelle. Das Bayernligaspiel wird schon um 11.30 Uhr angepfiffen, weil der Gast aus Kirchanschöring anschließend zu einer Hochzeitsfeier fährt (Bräutigam Christian Jung und Trauzeuge und Bruder Manuel Jung sind derzeit beide verletzt). Mehr Amateurfußball-Alltag geht nicht.

Die Mannschaft ist jetzt wieder eine reine Ausbildungsmannschaft. Auf dem Feld stehen mehrere A-Junioren. Und einige bekanntere Talente wie Ugur Türk oder Felix Bachschmid, die wohl weiter in der Regionalliga spielen würden, hätte die erste Mannschaft nicht mehrere Profis in der Kader geholt. "Hier geht es jetzt nicht mehr darum, Spiele zu gewinnen. Hier kann man einfach Wert auf die Entwicklung legen", sagt Cheftrainer Daniel Bierofka, der natürlich unter den Zuschauern sitzt.

Die junge Mannschaft gewinnt ihr erstes Heimspiel dann auch gar nicht, die Partie endet 2:2 (1:1), und sie zeigt trotz klarer Feldüberlegenheit deutlich auf, wo sie sich noch entwickeln muss. Lino Tempelmann erzielt zwar in der 25. Spielminute die Führung mit einem herrlichen Fernschuss ins Kreuzeck, im Strafraum allerdings fehlen oft Kaltschnäuzigkeit und Durchschlagskraft. Und ist die Mannschaft im Kreisspiel um den Kirchanschöringer Strafraum erst einmal ungeduldig geworden, läuft sie auch gerne in Konter. SV-Angreifer Tobias Schild dreht zwischenzeitlich sogar das Spiel (44., 54.). "Da sind vor dem gegnerischen Tor vielleicht die Nerven dabei gewesen, zwei Mal waren wir hinten einfach zu naiv. Da werden wir noch öfter Lehrgeld bezahlen", sagt Nachwuchs-Leiter Wolfgang Schellenberg, der diesmal auch als Trainer der U21 an der Seitenlinie steht. Eine Szene aus der Nachspielzeit ist für ihn beispielhaft: Nach einem sehenswerten Angriff über die linke Seite setzte der eingewechselte Okan Memetoglu einen Schlenzer knapp neben das Tor. Dass er nicht im Netz landete, habe nichts mit seinem Können zu tun, glaubt Schellenberg. Immerhin war dem Angreifer Mohamad Awata in der 79. Minute noch das 2:2 gelungen.

Die U 21 wird jede Woche neu zusammengewürfelt, je nachdem, wer nicht in der Regionalliga (und von Ende August an auch wieder in der U 19) zum Einsatz kommt, spielt hier. Kurzzeitig hatte man darüber nachgedacht, die U 21 aufzulösen, den Gedanken aber schnell verworfen. "Die Spielpraxis tut allen gut", sagt Schellenberg, Spieler wie Awata seien ein gutes Beispiel dafür. "Ich hoffe nach wie vor, dass er sich über kurz oder lang im Profibereich durchsetzt", sagt Schellenberg. Das Saisonziel kann allerdings nur Nichtabstieg lauten. Das Ziel eines jeden Spielers hingegen lautet jetzt nicht mehr Fröttmaning, sondern Grünwalder Stadion. Jener Ort also, an dem viele von ihnen schon oft gespielt haben.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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