Eisschnelllauf:Abstecher nach Calgary

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Unterwegs in Richtung Weltspitze: der Münchner Hendrik Dombek. (Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Der Münchner Eisschnellläufer Hendrik Dombek kämpft um sein WM-Debüt.

Von Andreas Liebmann, München

Es gab eine Zeit, da fuhr der Münchner Hendrik Dombek regelmäßig nach Erfurt zum Training. Vier Uhr morgens Abfahrt, sieben Uhr irgendwas Ankunft, wenn alles gut lief. Recht ambitioniert für einen, der erst seit ein paar Monaten seinen Führerschein hatte. Doch Dombek hatte ein Ziel, er wollte es weit bringen in seiner Sportart, dem Eisschnelllauf. Weil die Möglichkeiten beim Münchener Eislauf-Verein ausgereizt waren, zog es ihn immer öfter auf die Eisbahn in Thüringen.

Es folgte eine Zeit, in der Dombek regelmäßig von Erfurt nach München fuhr. Fast immer, wenn er Zeit hatte. Kurz vor seinem 19. Geburtstag war er umgezogen, hatte sich auf Drängen des Verbands dem Erfurter Stützpunkt angeschlossen, als Sportsoldat. Doch er wurde nicht recht warm mit der neuen Umgebung. Weniger wegen der Stadt, die habe ihm "von Anfang an gefallen". Eher weil er niemanden kannte, weil es schwer war, Kontakte zu knüpfen. Also fuhr er oft heim, zu Familie und Freunden, wieder 430 Kilometer einfach, nur in die andere Richtung. Sein Ziel ließ er dennoch nie aus den Augen. Inzwischen, mit 22, ist er ihm ein gutes Stück nähergekommen.

Mitte Januar ist Dombek mal wieder aufgebrochen, diesmal nach Salt Lake City, zu einem Vorbereitungslehrgang mit dem Nationalkader. Nach einem Abstecher zum Weltcup nach Calgary, wo er an diesem Freitag über 500 und Samstag über 1000 Meter startet, wird einige Tage später in Salt Lake City die Einzelstrecken-Weltmeisterschaft ausgetragen. Hendrik Dombek hat gute Chancen auf eine Teilnahme.

Im Weltcup ist er inzwischen angekommen, in Erfurt ebenfalls. Die Stadt sei ihm "eine schöne zweite Heimat geworden". Nur zwei bis drei Wochen hatte er damals Zeit, sich für einen Stützpunkt zu entscheiden - Inzell, Erfurt, Berlin -, Wohnung zu suchen, Kisten zu packen. Im Nachhinein sei der Umzug eine prima Sache, sagt er: sich alleine versorgen, die eigene Wäsche waschen - "man unterschätzt doch, was Eltern für einen tun". Doch bis er wirklich angekommen war, dauerte es. In der Saison nach dem Umzug habe er sportlich "größere Probleme" gehabt, "ich habe mich sehr gestresst und mir Druck gemacht". Er habe zeigen wollen, "dass es die Jüngeren auch können", nachdem der damalige Bundestrainer ihn nicht in die A-Trainingsgruppe in Inzell gelassen hatte. Die Leistungen fielen dann dürftig aus. Also schloss er sich in Erfurt mit einem Kollegen zusammen, dem es ähnlich ging, mit dem er sich zumindest ins U-23-Weltcupteam kämpfte.

Ende 2018 debütierte er im richtigen Weltcup, in Obihiro, Japan. Sein bisher aufregendstes Erlebnis. Im Teamsprint durfte er mit den Routiniers Nico Ihle und Joel Dufter antreten, als Startläufer. "Ich als Jüngerer mit den Schnellsten - und dann durfte ich den Zug auch noch ins Rollen bringen", schwärmt er. "Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, ich kann eine Funktion erfüllen." Danach habe er gewusst, dass er unbedingt weiter mit dieser Mannschaft trainieren wolle, nach der Zeit als Duo in Erfurt und all den Jahren in München mit Trainerin Andrea Höhse, als er meist allein seine Bahnen zog. "Dieses Jahr sind wir ein richtiges Team geworden", stellt er fest, "das ist etwas Megacooles."

Er entschloss sich sogar, auf die EM zu verzichten, um sich lieber weiter mit dem Spitzenduo vorzubereiten - ein anderer Weg als der seines Rivalen Jeremias Marx, 22, aus Erfurt. Gegen den wird er sich nun durchsetzen müssen, um zu seinem WM-Debüt zu kommen. Der Weltcup in Calgary ist der letzte Formbeweis für Salt Lake City. Und die WM dort ist zugleich die Bühne, um sich auch für die zwei Wochen später folgende Sprint-Mehrkampf-WM im norwegischen Hamar zu empfehlen. Calgary könnte also eine Art Kettenreaktion auslösen - in die eine oder, im Falle gröberer Patzer, auch in die andere Richtung.

"Auf jeden Fall ist das Druck", sagt Dombek, "aber ich will das unbedingt." Sprint-Bundestrainer Danny Leger spricht von einer "Luxussituation". Beide Rivalen machten einen sehr guten Eindruck, die Chancen stünden 50:50, vielleicht mit leichten Vorteilen für Dombek. "Der Wettkampf ist aber nicht allein entscheidend", versichert er, "es kann ja immer mal was passieren." Am Sonntag soll die Nominierung sein.

Schon im Vorjahr war Dombek für die WM vorgesehen. Dann bekam er eine Bakterieninfektion, die zu spät erkannt wurde, probierte sich trotz Bauchmuskelkrämpfen an einer Mehrkampf-EM - im Nachhinein eine falsche Entscheidung. "Das Vertrauen der Trainer in meine Leistungsfähigkeit war danach weg, das Risiko, mich einzusetzen, war ihnen zu groß." Die WM in Inzell fand ohne ihn statt. "Für mich schwierig, aber nachvollziehbar", sagt er.

Wer mehr über Dombek erfahren möchte, kann sich mit ihm über sein Studium unterhalten: Lehr-, Lern- und Trainingspsychologie, zunächst an der Erfurter Uni, inzwischen im Rahmen eines Fernstudiums. "Es hat mich einfach interessiert", erklärt er. Es gehe ihm dabei weniger um den Weg zu einem späteren Beruf, "ich mache das eher des Lernens wegen, um intellektuell etwas zu tun". Später könne er immer noch etwas anderes anfangen. Dann kommt ein beiläufiger Nachsatz, der eine Menge über seinen Ehrgeiz verrät: "Während des Sports wird das sicher kein Einserabschluss - was sonst mein Anspruch wäre."

Sportlich ist er noch nicht angekommen. Ein WM-Start wäre ein Erfolg, da gehöre man zur erweiterten Weltspitze, aber er will mehr. Sein bisher bestes Weltcup-Resultat war Rang sechs in der B-Gruppe des 500-Meter-Rennens von Tomakomai, also Rang 26. Er habe sich verbessert in dieser Saison, "meine Leistungen sind konstanter geworden", weiß er, nur: "Ich hatte gehofft, einen größeren Sprung in Richtung Weltspitze zu machen." Er ist ungeduldig. Nächstes Jahr wolle er in die A-Gruppe laufen, unter die Top 20 der Welt. "Davon bin ich im Moment weit weg, aber man kann schnell mal einen Sprung schaffen", sagt er. Und dann? Olympia, Peking 2022. Und ja: Wenn er schon mal da wäre, wolle er dort "eine Medaille holen". Wer unterwegs ist, braucht Ziele.

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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