Eishockey:Wadlbeißer mit Piratenhut

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Bayernligist ESC Dorfen hat sich mit guter Stimmung, neuem Trainer und viel Realismus an die Spitze gepirscht

Von Sebastian Fischer, Dorfen

Die Geschichte vom Pepita-Hut kennt der Eishockeyspieler Tobias Brenninger nicht. Dabei ist sie rauf und runter erzählt worden: Bundestrainer Marco Sturm kürt seine besten Spieler, indem er ihnen einen Hut aufsetzt, wie ihn einst der legendäre Xaver Unsinn trug. Brenninger interessiert nur die Geschichte vom ledernen Piratenhut in der Kabine im Dr. Rudolf-Stadion in Dorfen. Gerade hat ihn Torhüter Andreas Tanzer auf. Brenninger sagt: "Andi ist der Beste der Liga."

Brenninger, 28, Angreifer beim Bayernligisten ESC Dorfen - den Eispiraten -, erzählt die Geschichte so gerne, weil er gerade so häufig wie noch nie im Superlativ von seiner Mannschaft sprechen kann: Dorfen ist Tabellenführer. Erstmals seit so langer Zeit, dass sich selbst Brenninger nicht an die letzte Tabellenführung erinnern kann, und er spielt seit sechs Jahren in Dorfen. Seit so langer Zeit, dass die Fans das "Spitzenreiter"-Banner nicht aus dem Schrank geholt haben - sie hatten noch gar keins.

Tobias Brenninger (Mitte) und seine Kollegen vom ESC Dorfen hätten nichts dagegen, noch so lange wie möglich Tabellenführer zu sein. (Foto: Johannes Simon)

Der ESC Dorfen war im Sommer der Klub, den die 13 anderen Bayernligisten "Wadlbeißer" nannten: In Dorfen zu spielen war immer unangenehm, aber mehr auch nicht. Entsprechend gab Abteilungsleiter Josef Jung das Ziel aus: Platz zehn, hoffentlich. Und dann gewann der ESC die ersten neun Spiele, am Sonntag verlor das Team in Moosburg erstmals - im Penaltyschießen. Der Vorsprung auf Platz zwei beträgt sieben Punkte. Was ist passiert?

"Wissen wir eigentlich auch nicht", sagt Brenninger, lacht und möchte klarstellen: "Wir sind immer noch die Wadlbeißer." Dorfen profitiert wie früher von Kampf- und Laufstärke, lässt immer noch die Gegner lieber kommen, als selbst das Spiel zu machen. "Und wir heben nicht ab." Aber irgendetwas muss doch anders sein?

Na ja, sagt er, da ist ja das Ritual mit dem Piratenhut, den neuerdings nach jedem Wochenende ein anderer Spieler bekommt. Da sind die Kabinenfeiern mit Essen und Trinken und Bierbänken zwischen den Spinden. "Die Stimmung", sagt er, " ist vielleicht noch etwas besser als im letzten Jahr." Und das wiederum ist ein Verdienst von Abteilungsleiter Jung und Heinz Feilmeier, dem neuen Trainer. Jung holte Feilmeier im Frühjahr, nachdem sich der Klub von Thomas Vogl getrennt hatte. Er sagt: "Der Trainer hat voll eingeschlagen."

Dabei wollte Feilmeier, 47, im Sommer eigentlich aufhören und wieder Kinder trainieren. Denn er sagt: "Wenn es nicht läuft, dann stresst dich das total. Dann schläfst du nicht mehr, dann trägst du das in die Familie rein." Im letzten Jahr lief es nicht so bei Feilmeier. Er begann die Saison als Trainer beim späteren Meister EV Lindau, doch nach drei Niederlagen in sieben Spielen war er schon wieder weg. In Lindau, sagt er, wurde den Spielern zu viel Druck gemacht, der Spaß am Spiel zu wenig wertgeschätzt, es war wenig Platz für Zwischenmenschliches. Er sagte sich, das müsse bei seinem neuen, wahrscheinlich letzten Klub anders sein - und ging nach Dorfen, wo es ihm schon beim Plausch nach den Pressekonferenzen immer so gut gefallen hatte. Das Pendeln aus Gröbenzell macht er gern, anders als nach Lindau. Da habe er an jeder Ausfahrt überlegt, umzukehren.

Der Trainer verstehe die Spieler, er gehe auf sie ein, lobt Brenninger. Und die Spieler wiederum verstehen ihren Trainer. Sie wussten, dass ihm die Begegnung mit seinem Ex-Klub Anfang November besonders wichtig war - und demonstrierten ihre Stärke. Dorfen schlug Lindau 5:3, nach 1:3-Rückstand.

Powerplay-Spielzüge entwickeln die Spieler mit dem Trainer, alle sitzen lange zusammen in der Kabine, gelebter Teamgeist. Die Mannschaft ist nach einem Umbruch im Sommer jünger und ausgeglichener besetzt. Bei der Kaderzusammenstellung half, dass der Lokalrivale aus Erding nun nicht mehr in der Oberliga, sondern in der Landesliga spielt, drei Spieler unter 25 kamen vom Nachbarn. Routiniers wie Andreas Attenberger, 31, sind ähnlich wichtig wie der junge Christian Göttlicher, 20, der im Sommer aus Moosburg kam. Feilmeier, der langjährige Nachwuchscoach, will in den kommenden Wochen auch mal die Erfahrenen schonen und noch mehr Jungen die Chance geben, auch Niederlagen in Kauf nehmen. Was bringt schon Platz eins, wenn das Team zum Start der Playoffs müde ist? Außerdem ist Feilmeier kein Träumer: "Wir wissen, dass wir oben wahrscheinlich keine Geige spielen werden." Doch so lange es läuft, sollen seine Spieler euphorisch bleiben.

Brenninger darf also ruhig noch etwas loben, zum Beispiel seinen tschechischen Mitspieler Lukas Miculka: "Eine Bereicherung, an der Scheibe und im Eins-gegen-eins extrem stark." Stürmer Miculka, 26, hat in acht Spielen zwölf Tore geschossen und zehn vorbereitet, er ist einer der besten Scorer der Liga. Er wird wohl öfters den Piratenhut tragen.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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