Eishockey:Vom Frust der Unvollendeten

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"Keiner kann bestreiten, dass wir die stärkste Mannschaft waren": Den Meistertitel dürfen Planeggs Frauen nach der Playoff-Absage dennoch nicht feiern.

Von Andreas Liebmann, Planegg

Michael Lehmann ist natürlich gut informiert. Deshalb wusste der Sportliche Leiter des ESC Planegg zum Beispiel, dass es alles längst gab: die Urkunden und auch den Pokal für den neuen deutschen Meister im Frauen-Eishockey. Alles bereit, um graviert, übergeben, bejubelt zu werden. Er wusste auch: Sollte diesen Pokal jemals jemand überreicht bekommen, dann könne dies nur sein Team sein; der Hauptrundensieger, der obendrein (aber das tut formal nichts mehr zur Sache) am vergangenen Samstag mit 4:2 gegen Memmingen auch das erste Playoff-Finalspiel gewann.

Was Lehmann am Mittwochabend nicht wusste, auch nicht, nachdem der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) per Pressemitteilung wegen des Corona-Virus den gesamten Spielbetrieb für vorzeitig beendet erklärt hatte, und was er auch am Donnerstagvormittag trotz Telefonaten noch immer nicht herausgefunden hatte, war: Ob diese Trophäen überhaupt jemals jemand in Händen halten würde. Konkret: Sind sie nun Meister? Werden sie geehrt? Wenn ja, als was? "Vielleicht wird der Pokal ja auch einfach eingestampft", sagte Lehmann.

Alles andere als rosiger Laune: ESC-Kapitänin Monika Pink. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Die Pressemitteilung dazu klang nicht ganz eindeutig. "Die Platzierungen aus den Hauptrunden mit den jeweiligen Siegern werden übernommen", stand da, alles weitere finde nicht mehr statt. Doch etwa zur gleichen Zeit, als Lehmann sich an einer Interpretation dieses Satzes versuchte, stellte DEB-Präsident Franz Reindl auf einer Pressekonferenz in München klar: Nein, es gibt gar keine Meister. Schließlich seien die zur Ermittlung vorgesehenen Playoffs nicht - oder im Falle Planeggs: nicht bis zu Ende - ausgetragen worden. Lehmann ahnte das sicherlich, genauso, wie er am Dienstag schon geahnt hatte, dass die Saison vorzeitig enden würde. In beiden Fällen klammerte er sich aber genau wie die Spielerinnen an eine kleine Resthoffnung. Vielleicht, dachte er, könne es ja irgendeine Art Ausnahmeregelung für das Frauenfinale geben. "Es ist für uns besonders traurig und schwer zu verstehen", erklärte er, "weil es bei uns nur noch dieses Wochenende gewesen wäre. Ein, höchstens zwei Spiele." Anders als in den Männer-Ligen.

Lehmann war emotional hin- und hergerissen. Er könne den Verband verstehen, sagte er, wenigstens gebe es eine klare Entscheidung. Sie hatten ja selbst schon überlegt, wie sie sich wohl verhalten würden, falls nach all der Werbung und den Presseberichten überraschend mehr als 1000 Zuschauer zum Heimspiel erschienen wären. Und natürlich hätten die Funktionäre gerade anderes zu tun, als sich für jede Liga irgendwelche Sonderregelungen auszudenken. Andererseits: "Ich glaube, wäre es das DEL-Finale gewesen, hätte man das gespielt." Es sei eben Fraueneishockey. Seine Mannschaft sei da "in einen Strudel geraten, der ihrer Leistung nicht gerecht wird".

"Enttäuschend, frustrierend, extremst bitter, traurig - es fallen einem da keine positiven Attribute ein", sagt Julia Zorn. Die Gesundheit aller gehe natürlich vor, weiß Planeggs Nationalmannschaftskapitänin, und nein, sie beneide niemanden darum, solche Entscheidungen treffen zu müssen. Dennoch sei sie "sehr niedergeschlagen" - und das war sie kurioserweise auch schon am Samstag nach dem Playoff-Sieg. Denn während die Partie lief, wurde die Frauen-Weltmeisterschaft abgesagt, unmittelbar nach der Schlusssirene hätten sie es erfahren. Für das halbe Dutzend Nationalspielerinnen im Kader war auch das schon ein Tiefschlag. Man investiere so viel in die Vorbereitung, verzichte auf so vieles. Neugierig wäre sie gewesen, welche Früchte die Arbeit mit Trainer Christian Künast trägt, und für Olympia hätten sie sich qualifizieren können - nun sei das alles ungewiss. Der entgangene Meistertitel war für sie also das zweite Frusterlebnis binnen Tagen.

Am Mittwoch trafen sich die Planeggerinnen zu einem vorgezogenen Abschlusstraining. In den meisten Hallen wird nun bereits das Eis abgeschmolzen.

Memmingen, Ingolstadt, Berlin, viele hätten sich vor der Saison als Topfavoriten gesehen, resümierte Lehmann. "Wir wussten gar nicht, wo wir stehen." Einige Weggänge hatten sie, in Marcel Breil einen neuen Trainer, aber bald habe man gesehen: "Wir sind richtig gut unterwegs." Auch die beiden US-Amerikanerinnen Jacyn Reeves und Justine Reyes trugen dazu einiges bei. Beide hätten kommende Woche in ihre Heimat zurückfliegen sollen, nun sind sie bereits am Freitagmorgen aufgebrochen, aus Angst, wegen der Pandemie nicht mehr einreisen zu dürfen. Lehmann geht davon aus, dass sie nächste Saison wiederkommen. Auch die Gespräche mit Trainer Breil über die Vertragsverlängerung liefen. "Es sieht sehr gut aus." Irgendetwas, sagt Lehmann, werden sie auf jeden Fall noch feiern in den nächsten Tagen, selbst wenn es kein Titel ist. "Keiner kann bestreiten, dass wir die stärkste Mannschaft waren." Auf diese Leistung könne man stolz sein. "Und das kann uns auch keiner nehmen."

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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