Eishockey:Verlegener Kosake

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Der EHC München siegt auch bei seinem zweiten Auftritt auf der großen Bühne in der Olympiahalle. Matchwinner beim 4:1 gegen Mannheim ist der überraschend nominierte Torhüter Kevin Reich.

Von Christian Bernhard

Wow. Mehr bekam Jakob Mayenschein nicht heraus, als er aus dem Kabinengang der Münchner Olympiahalle Richtung Ausgang stapfte. Ungläubig zückte er sein Handy und hielt den Moment fotografisch fest. Das Motiv für seinen Schnappschuss war der wenige Meter vor ihm von zahlreichen Journalisten umringte Torhüter Kevin Reich.

Der 22-Jährige hatte am Dienstagabend gehörigen Anteil daran, dass der EHC nach dem 3:2 n.V. gegen Nürnberg auch sein zweites Spiel unter dem Motto "Hockey-Halleluja" in der Olympiahalle gewann, 4:1 gegen die Adler Mannheim diesmal. Reich stand völlig überraschend zum ersten Mal in dieser Saison für ein Spiel in der Deutschen Eishockey Liga im Tor des deutschen Meisters, für den er in der laufenden Saison erst ein Champions-League-Spiel bestritten hatte. Normalerweise hütet er das Tor des Münchner Kooperationspartner SC Riessersee in der DEL 2. Seine Hausaufgaben hatte er aber gemacht. Wie nach Münchner Heimsiegen üblich, forderten die EHC-Fans auch Reich nach dem Spiel zum Tanz vor der Kurve auf. Da er noch keine Tanzeinlage auf Lager hatte, "habe ich mir vorher ein paar Videos von anderen Torhütern angeschaut, was die so machen", erzählte er. Hängen blieb dabei eine Kosakentanz-Einlage, die er ohne Training gekonnt aufs Eis brachte. Als er kurze Zeit später frisch geduscht in einem weißen Hemd und mit Wollmütze in den Katakomben stand, überraschte ihn Don Jackson. "Gratulation", sagte der Münchner Trainer, "herausragendes Spiel". Reich bedankte sich einigermaßen verlegen.

Jackson hatte den jungen Torhüter bereits in der Pressekonferenz hervorgehoben. Reich habe sich toll entwickelt und sei sowohl sportlich als auch menschlich sehr gereift, sagte er, "er ist the real deal, ein richtig starker Goalie." Jackson hatte Reich bereits vor zwei Wochen mitgeteilt, dass er eines der drei Spiele in der Olympiahalle bestreiten würde (das dritte folgt am Freitag, 19.30 Uhr, gegen Berlin). "Wir haben entschieden, dass er sich eine Chance verdient hat", erklärte Jackson. Reichs Nervosität war dennoch groß. "Ich war richtig aufgeregt", berichtete der immer noch glückselig lächelnde Torwart.

Torwart Kevin Reich feiert sein Liga-Debüt mit einem Spagat.

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(Foto: Mathias Mandl/imago)

Mit knapp 10000 Zuschauern besetzt und von Laserlicht illuminiert: Die Olympiahalle in München vor dem Spiel gegen Mannheim.

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(Foto: Mathias Mandl/imago)

Große Taten, große Glocke: Die Spieler lauschen den Klängen von AC/DCs "Hell's Bells".

Seine Unsicherheit machte deutlich: Die große mediale Bühne ist noch nicht seine. Wie auch? Seine ersten und bis dato letzten DEL-Spiele hatte er vor mehr als vier Jahren bestritten, als noch Pierre Pagé an der Münchner Bande stand. Der damals 17-Jährige kassierte bei zwei Kurzeinsätzen in insgesamt 27 Spielminuten sechs Gegentore - und ward in der Liga fortan nicht mehr gesehen. "Zu früh" seien diese Einsätze gekommen, sagt er heute, er brauchte etwas anderes: "Ich musste etwas zwischen DEL und der höchsten deutschen Jugendliga finden." Reich entschied sich für die USA, wo er auf Leihbasis drei Jahre lang für drei verschiedene Jugend-Teams spielte. In Übersee drehte der gebürtige Iserlohner nicht nur einen Werbespot für Arbeitskleidung, der heute noch im Internet zu finden ist, sondern machte das, wofür er die Reise über den großen Teich angetreten hatte: große Fortschritte. "Richtig wichtig" sei diese Zeit für ihn gewesen, betont er, sie habe ihn als Mensch und "vom Kopf her" weitergebracht.

Nach einer Saison im Farmteam von Red Bull Salzburg hat sich Reich in der aktuellen DEL-2-Saison zu einem der besten Zweitliga-Torhüter entwickelt. Sein Gegentorschnitt von 2,43 ist der drittbeste aller regelmäßig spielenden Torhüter. Reich trainiert meistens in Garmisch-Partenkirchen, mindestens einmal pro Woche zusammen mit Münchens Torhüter-Trainer Patrick Dallaire, der alle seine Spiele auf Video analysiert.

Reichs Ziel ist klar: er will regelmäßig in der DEL spielen. Er hoffe, weitere Chancen in München zu bekommen, sagte er. Die große Konkurrenz in München mit Nationaltorhüter Danny aus den Birken und US-Nationalspieler David Leggio blendet er aus. "Ich konzentriere mich nur auf mich selbst. Das hat bis jetzt immer gut geklappt", sagt er. "Es ist schwer, aber ich sag' mal: Nix ist unmöglich." Auf Reichs Zukunftsaussichten in München angesprochen, verwies Jackson auf einen "langfristigen Plan", gab aber zu, dass er mit seinem Trainerteam "noch nicht über den heutigen Abend" hinausgeschaut habe.

Als alle anderen Münchner die Kabine schon verlassen hatten, kam auch Reich noch mal aus dem Gang - diesmal beladen mit zwei großen Sporttaschen und fünf Torhüterkellen. Die sperrige Ausrüstung ging bereits am Mittwoch wieder auf Reisen, nach Bietigheim-Bissingen, wo der SC Riessersee am Abend in der DEL 2 gastierte. Reich war als Back-up vorgesehen. Er wird wohl am Freitag wieder in ein Spiel starten. Dann aber nicht in der Olympiahalle gegen Berlin. Sondern in Garmisch, beim SCR-Heimspiel gegen Freiburg.

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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