Eishockey:Raus aus dem Schatten

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Integration im Trainingsanzug: Die türkische Mannschaft bei ihrem Empfang am Donnerstag in München. (Foto: Orhan Tinengin/oh)

Die türkische Frauen-Nationalmannschaft tourt zurzeit durch Bayern. Am Montag trifft sie in Bad Tölz auf das DEB-Team

Von Patrick Reichardt, Bad Tölz/München

Bad Tölz im Isarwinkel ist an diesem Montag Schauplatz einer diplomatischen Offensive. Zum ersten Mal in 57 Jahren Bundesrepublik wird in der Arena an diesem 15. Februar 2016 bei einem Eishockey-Spiel auf deutschem Boden die türkische Nationalhymne erklingen. Noch bemerkenswert daran ist, dass dann die deutschen und die türkischen Frauen-Teams aufeinandertreffen. Die Vorfreude bei den Beteiligten ist riesig: "Es ist großartig, dass wir dafür sorgen können", sagt Abdullah Ehliz, der seit 50 Jahren in Bad Tölz lebt und maßgeblich daran mitgearbeitet hat, dass die türkischen Frauen dieser Tage eine kleine Tournee durch Mitteleuropa absolvieren. Ehliz, 53, ist Ehrenbotschafter des türkischen Eissportverbandes, Vorstandsmitglied beim EC Bad Tölz und Vater von Yasin und Aziz Ehliz. Yasin Ehliz, 23, ist deutscher Nationalspieler, Aziz, 17, soll es noch werden. Deutscher Meister bei den Schülern war er schon.

Insgesamt elf Tage verbringt die türkische Nationalmannschaft in Deutschland, neben einem Testspiel gegen das DEB-Team standen eine Pressekonferenz in München mit dem Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, eine öffentliche Trainingseinheit am Tegernsee und am Samstag ein Testspiel in Salzburg gegen das Nationalteam Österreichs auf dem Programm. Die Türkinnen verloren 1:16, den Ehrentreffer erzielte Basak Demirkol. Zum Abschluss wird das Team am Mittwoch (18 Uhr, Bad Tölz) ein Trainingsspiel gegen den deutschen Meister ESC Planegg bestreiten.

Offiziell ist die Reise eine Vorbereitungstour auf die Weltmeisterschaft der drittklassigen Division II in Jaca, Spanien. Eigentlich ist sie aber viel mehr als das. Es geht um Integration und kulturellen Austausch. "Wir wollen türkische Mädchen ins Boot holen, und das geht nur mit Vorbildern. Und die kommen nicht mit der Post", sagt Abdullah Ehliz, der genau diese Idole nun im Aufgebot der türkischen Frauen finden und so die Begeisterung in Deutschland wecken will.

Für das Spiel an diesem Montag (19 Uhr) in Bad Tölz gegen die deutsche Mannschaft erwartet er viele Zuschauer. Noch wichtiger sei aber: Er schätzt, dass 80 Prozent der Zuschauer vorher noch nie in einem Eisstadion gewesen sind. Sogar türkische Reporter und ein Fernsehteam reisen extra dafür an. Es ist ja durchaus ein starkes Zeichen, dass diese Premiere und das komplette Projekt auf die Beine gestellt werden konnten. Schirmherren sind neben Yasin Ehliz sein Mannheimer Nationalteamkollege Sinan Akdag und Fußball-Weltmeister Mesut Özil.

Der sportliche Vergleich soll bei diesem Länderspiel in Bad Tölz nicht im Geringsten zählen, "und wenn wir 20 Tore kriegen", sagt Abdullah Ehliz. Mit "wir" meint er das türkische Team. Was zählt, ist die Botschaft: "Weg vom Computer, weg von der Playstation, rein in die Vereine", fordert er. Man wolle nicht siegen, sondern das Schattendasein der Frau in der Türkei bekämpfen.

Das türkische Team ist im Durchschnitt 23 Jahre jung, viele Spielerinnen kommen vom Eiskunstlauf. Cüneyt Kozan, der Technische Direktor, ging selbst in München zur Schule. Jetzt begleitet er die türkische Delegation als Funktionär. Er sagt: "Das Projekt ist sehr wichtig für uns. Es geht um die Mädels, sie benötigen mehr Hilfe."

Die Reise und die zahlreichen Termine in Deutschland sollen erst der Anfang einer langfristigen Partnerschaft sein, an deren Spitze Nationalspieler Yasin Ehliz steht. Bei einem nach ihm benannten Turnier treffen sich Anfang April internationale Jugend-Teams in Bad Tölz. Auch aus der Türkei soll eines anreisen. Im Sommer soll zudem erstmals ein Sommercamp stattfinden, bei dem mehrere deutsche Nationalspieler in die Türkei reisen und dort mit Talenten trainieren. Mehr als 20 Sporthallen entstehen dort gerade.

Wie schwierig es ist, Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu wecken, zeigt, dass Yasin Ehliz bis vor etwa zwei Jahren selbst nicht wusste, dass Eishockey in der Türkei durchaus beliebt ist - geschweige denn von der Existenz einer Frauen-Nationalmannschaft. Bei einem Empfang durch den türkischen Verband erwartete ihn eine riesige Menschenmenge, Ehliz musste fleißig Autogramme schreiben. Der gebürtige Tölzer hatte bis dahin keine Ahnung von seiner Popularität im Land seiner Vorfahren.

Dass das Projekt auch in Deutschland Anklang findet, bestätigt der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer. Auch er war zunächst verwundert: "Als ich zum ersten Mal von dieser Reise gehört habe, dachte ich mir: Gibt's das überhaupt?" Dann freundete er sich aber rasch mit dem Gedanken an und erkannte den Charme und die Chancen, die in dem Projekt stecken. "Sport ist ein wichtiger Aspekt der Integration. Und Integration hat höchsten Stellenwert", sagt Neumeyer. Das sehen sie auch beim EC Bad Tölz so und tragen tatkräftig das Ihre dazu bei.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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