Eishockey:Himmel und Hölle

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Neues Hochgefühl: Drei Mal hat Steve Pinizzotto am Sonntag in Nürnberg zugeschlagen, diesmal aber im Rahmen der Regeln. (Foto: Citypress24/Gepa)

Mehr als ein Haudrauf: Mit seinem Hattrick gegen Nürnberg befreit sich Münchens Steve Pinizzotto vom Rüpel-Image

Von Christian Bernhard, München

Die erstmalige Berufsausübung in Europa ist für viele nordamerikanische Eishockeyprofis gleichbedeutend mit dem Aufbruch in eine unbekannte Welt. Sonntags etwa stehen sie zu Beginn ihres Aufenthalts gerne vor einem leeren Kühlschrank, weil die Supermärkte hierzulande am Feiertag eben nicht geöffnet haben. Auch der deutsche Straßenverkehr für sie eine völlig neue Erfahrung: Steve Pinizzotto twitterte kurz nach seiner Ankunft in München im Sommer das Bild einer Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Sein Kommentar dazu: "Kanada braucht das." Himmlisch. Kurz nach Weihnachten staunte der Angreifer des EHC München abermals. Nach dem Sieg gegen Berlin in der großen Olympiahalle rutschten alle EHC-Spieler wie eine Raupe auf den Knien hintereinander durch die Fan-Kurve. Während er rutschte, brummte Pinizzotto: "Was zur Hölle ist das?"

Dieser Gedanke kam in den vergangenen Monaten auch einigen Beobachtern der Deutschen Eishockey Liga (DEL), wenn die Sprache auf Pinizzotto kam. Der 31-Jährige, der in der vergangenen Saison 18 Spiele für die Edmonton Oilers in der NHL bestritten hat, war als großer Transfer angekündigt worden und hatte sein Raubein-Image zu Beginn vehement bestritten. Er sei nicht zum Raufen, sondern zum Toreschießen nach Deutschland gekommen. Dann kam das erste Heimspiel, und Pinizzotto brach Mannheims Verteidiger Denis Reul den Unterkiefer.

Tore schoss der Deutschkanadier in seinen ersten 24 Spielen nur vier. Meist setzte er seine beeindruckende Statur (1,85 Meter, 98 Kilo) dazu ein, mehr oder weniger unnötige Strafzeiten zu sammeln. Bis zum vergangenen Sonntag.

Bei den Nürnberg Ice Tigers setzte der Stürmer seinen wuchtigen Körper endlich so ein, wie Trainer Don Jackson sich das vorstellt. Dreimal war er aus dem Nürnberger Torraum nicht wegzuschieben, dreimal traf er: zum 1:0 per Abstauber (4.), zum 3:0 (36.) und 4:1 (58.), indem er Schüsse vor dem Tor erfolgreich abfälschte. "Manchmal findet die Scheibe dich", sagte er. Da EHC-Torhüter David Leggio nach spielübergreifend acht Dritteln ohne Gegentreffer erst im Schlussabschnitt von Patrick Reimer (47.) und Brandon Segal (60.) bezwungen wurde und auch Jerome Samson noch traf (5.), konnte der EHC seinen ersten Saisonsieg gegen die Franken landen - und Pinizzotto sich als einer der Väter des Erfolgs feiern lassen.

Yannic Seidenberg bezeichnet Pinizzotto als "sehr wichtigen Spieler für uns". Der Nationalspieler hofft, "dass er jetzt seinen Rhythmus findet". Florian Kettemer glaubt, dass ihm der Hattrick womöglich helfe, "richtig ins Rollen" zu kommen. Nach drei Toren und fünf Scorerpunkten in seinen ersten sieben DEL-Spielen war Pinizzotto seit Anfang Oktober quasi von der Bildfläche verschwunden. Nur mehr ein Treffer und eine Vorlage gelangen ihm in seinen folgenden 17 Partien. Seine 97 Strafminuten sind Ligaspitze - obwohl er neun Spiele verletzungsbedingt oder gesperrt zuschauen musste. Einen Hattrick hatte deshalb kaum jemand erwartet. Pinizzottos Leistungssteigerung hatte sich aber schon in den Spielen davor abgezeichnet. Zusammen mit Keith Aucoin und Daniel Sparre bildete er eine gut funktionierende Reihe, aus der Aucoin als Scorer herausstechen konnte, weil Pinizzotto ihm immer wieder Freiräume verschaffte. "Steve bringt ein zusätzliches Element in unser Team", sagt Jackson.

"Eishockey ist witzig", fand Pinizzotto am Tag nach seiner Tore-Gala. "Manchmal läuft es, manchmal nicht." Am jetzigen Punkt seiner Karriere denke er nicht mehr allzu viel übers Toreschießen nach: "Wenn die Scheibe reingeht, gut." Vielmehr versuche er, der Mannschaft zu helfen und "morgen ein gutes Spiel" abzuliefern.

An diesem Dienstag (19.30 Uhr, Olympia-Eishalle) empfangen die Münchner den Tabellenneunten Hamburg Freezers, gegen die Pinizzotto eines seiner bis Sonntag seltenen Tore erzielt hat. Ein weiterer Treffer wäre nicht nur die Bestätigung des Nürnberg-Auftritts, sondern auch innerfamiliär von Bedeutung. Sein älterer Bruder Jason, der in der DEL2 für Bietigheim spielt, hat bereits 14 Saisontore geschossen, doppelt so viele wie Steve. Jason kam am Sonntag ebenfalls auf drei Scorerpunkte (zwei Tore) und machte seinem Brüderchen so die Wahl zum "Pinizzotto des Tages" streitig.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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