Eishockey:Heilsame Erfahrung

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In Aktion. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der ehemalige NHL-Profi Bob Wren spielt mit 43 Jahren für den Fünftligisten EHC Klostersee. Nach seiner Krebserkrankung sagt der Stürmer: "Wer fast tot war, lernt, die Dinge anders wertzuschätzen."

Von Max Ferstl, Grafing

Wenn er über das Eis läuft, sieht es beinahe aus wie früher. Lässig, fast zärtlich bewegt er den Puck mit dem Schläger. Seine Schritte sind noch immer leichtfüßig, wenn auch etwas langsamer als in den Videos von damals. Dann fährt er eine scharfe Kurve, das Eis im Stadion des EHC Klostersee ächzt wie zerreißendes Papier, ein Schlenker mit dem Handgelenk, und der Puck liegt im Tor. Bob Wren lächelt.

Wren war einmal einer der besten Stürmer in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). In Österreich hat er mit Wien die Meisterschaft gewonnen. An diesem Freitag beginnt für Bob Wren seine 29. Saison als Profi. Er wird für den Landesligisten EHC Klostersee auflaufen, fünfte Liga. Der erste Gegner heißt SC Forst. Es wird kalt sein im Stadion, die Fans in Grafing nennen es nicht zufällig "Scheune". Wren sagt: "Ich werde es genießen." Er sagt auch: "Wer fast tot war, lernt, die Dinge anders wertzuschätzen."

Es ist Dienstag. Wren, 43, sitzt nach dem Training in der leeren Kabine. Das Trikot hat er ausgezogen. An seiner linken Schulter ist noch deutlich die große Narbe zu sehen. Hier haben die Ärzte vor drei Jahren den Zugang für die Chemotherapie gelegt, die ihn rettete. Sie verhinderte gerade noch, dass der Darmkrebs streute. Wren überlebte. Doch die Krankheit teilte sein Leben in zwei Teile: in die Zeit vorher und in die Zeit nachher.

Vorher war Wren vor allem ein sehr talentierter Spieler, technisch beschlagen, torgefährlich, mit einem Auge für die Mitspieler. Drei Mal war der Kanadier der Spieler mit den meisten Scorerpunkten in der American Hockey League (AHL), der Bühne, auf der sich Talente für die NHL empfehlen. "Ich hatte alles", sagt Wren. Das Problem war: Er wusste, dass er alles hatte, zog aber den falschen Schluss: Sein Talent würde am Ende schon genügen. Er ignorierte, was ihm die Trainer sagten: Dass Talent nur in Kombination mit harter Arbeit den bestmöglichen Spieler ergibt. "Ich dachte, ich könnte es besser als alle anderen. Ich war arrogant und faul." Er kam insgesamt auf fünf Einsätze in der NHL, für Anaheim und Toronto. Man muss sagen: nur fünf. Lächerlich wenig für sein Talent.

Als die jüngeren Spieler an ihm vorbeizogen, wechselte er 2003 nach Deutschland zu den Augsburger Panthern. Hier genügte sein Talent wieder, Wren schoss viele Tore und lieferte fleißig Vorlagen. "Er ist einer der kreativsten Spieler der gesamten Liga" sagte einmal Jim Boni, der beim ERC Ingolstadt Sportdirektor war, als Wren dort spielte. Wren war ein Stürmer, wie ihn Fans lieben: Ein Torjäger, der auf dem Eis keinem Kampf aus dem Weg ging, neben dem Eis freundlich und einnehmend. Im Internet gibt es die Facebook-Gruppe "Bob Wren Eishockeygott". Sie hat nur gut 300 Mitglieder, aber ihnen muss einiges an ihrem "Bobby" liegen. Noch immer werden fleißig Beiträge eingespeist. Viele kommen aus Wien, obwohl der Meistertitel mit den Vienna Capitals länger als zehn Jahre zurück liegt. Zu den vielen bewundernswerten Eigenschaften von Eishockey-Fans zählt ihr exzellentes Gedächtnis.

Mit dem EHC will er aufsteigen. Und spielen, bis er 50 ist

Als Wrens Krebs-Diagnose im Oktober 2014 öffentlich wurde, bastelten die Capitals-Anhänger ein großes Plakat mit Genesungswünschen. In Iserlohn, wo Wren zwei Jahre spielte und seine Frau Julia kennenlernte, hielten die Menschen vor einer Partie Schilder mit der Nummer 9 hoch - seiner Nummer. Wren lag da schon im Krankenhaus, die Iserlohner Ärzte hatten ihn an die richtigen Spezialisten vermittelt. "Ich wollte nur raus", sagt Wren. Er sah, wie Leute starben: "Es hat mir geholfen zu glauben, dass ich es schaffe."

Wren verlor mehr als 25 Kilo. Die Auswirkungen der Behandlung spürt er noch heute. Die Muskeln kommen nur langsam zurück. Er muss sich kleine Fortschritte hart erarbeiten. "Ich investiere viel", sagt er. Arbeit, die er früher nicht investierte. Mittlerweile macht er das gerne. Er weiß, dass er großes Glück gehabt hat. Dass es für ihn ein großes Glück ist, an einem Freitagabend in einer kalten Halle gegen einen Gegner namens Forst zu spielen. "Ich darf immer noch das tun, was ich gut kann und was ich liebe." Bis 50 will er weiter spielen.

Derzeit wohnt Wren mit seiner Frau in Obing am Chiemsee. Er baut gerade eine kleine Firma auf, die unter anderem Funktionsunterwäsche für Eishockeyspieler verkauft. Vom Eishockey werde er nie wegkommen, sagt er. Deshalb rief Wren im Sommer beim EHC Klostersee an und fragte, ob er im Sommer mittrainieren dürfe. Er durfte. Die Mannschaft nennt er mittlerweile "die Familie". Wren will mithelfen, wenn Klostersee den Aufstieg anpeilt. Keiner zweifelt, dass sich die ohnehin guten Chancen des EHC mit ihm noch mal deutlich verbessert haben. "Wenn ein Bobby Wren fragt, dann sagst du nicht nein", sagt Trainer Dominik Quinlan. "Scoren, vorbereiten, hart spielen: Er kann alles." Es ist beinahe wie früher.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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