Als ob Yannic Seidenberg nicht schon genug zu tun hätte. In dieser Phase des Jahres, wenn der Spielrhythmus in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) höher und höher wird, ist jeder Profi froh, wenn er seine sportliche Pflicht hinter sich hat und unter die Dusche darf. Am vergangenen Wochenende beschränkte sich Seidenbergs Wirken allerdings nicht nur auf das spielerische Element, zusätzlich musste er sich zahlreichen Kameras und Mikrofonen stellen. Fünf Scorerpunkte, darunter drei Tore, zu den Siegen des EHC Red Bull München (7:1 gegen Düsseldorf, 4:3 nach Verlängerung in Wolfsburg): Das mediale Interesse an Seidenberg ist leicht zu erklären. Mit acht Scorerpunkten in den jüngsten vier Partien ist der 32-Jährige derzeit einer der erfolgreichsten Spieler der DEL. Dabei gibt der Nationalstürmer im Team von Don Jackson seit Wochen den Aushilfsverteidiger.
Seidenberg ist Jacksons Allzweckwerkzeug. "Er liest das Spiel gut und spielt auch defensiv sehr stark", sagt der EHC-Trainer. Wegen zahlreicher verletzter Verteidiger beorderte er Seidenberg in die Defensive. Und auch dort überzeugt der Linksaußen seinen Coach. "Yannic schaltet die gegnerische Offensive aus und hilft unseren Stürmern in der Angriffszone. Es tut uns gut, solch eine Offensiv-Dimension in unserem Rückraum zu haben." Wie wichtig Seidenberg für sein Team ist, zeigt seine Plus/Minus-Bilanz von +20 - kein DEL-Spieler kann einen besseren Wert vorweisen.
Alles, was er macht, funktioniert - das gilt für Seidenberg und den EHC gleichermaßen. "Ich bin stolz darauf, was die Mannschaft in den letzten Wochen geleistet hat", sagt Jackson. "Die Intensität ist richtig hoch, und die Jungs haben Spaß." Der Konkurrenz dagegen vergeht beim Blick nach München der Spaß von Woche zu Woche mehr. Der Meister hat zwölf der jüngsten 13 Spiele gewonnen und mittlerweile neun Punkte Vorsprung auf die Verfolger Nürnberg und Wolfsburg. Bester Angriff, beste Tordifferenz, bestes Unterzahlspiel, zweitbeste Abwehr: Der EHC spielt derzeit in seiner eigenen Liga. TV-Experte Sven Felski, der in Berlin mit Jackson mehrere DEL-Titel gewonnen hat, sagt: "Da kann man schon den Hut ziehen." Wie gut das Münchner Kollektiv funktioniert, lässt sich wunderbar an den Verteidigern ablesen, denn Seidenberg ist nicht der einzige offensiv auffallende Abwehrspieler. Bei der Wiederauflage des Finales gegen Wolfsburg (Jackson: "Das war heute wie ein Playoff-Spiel.") trafen auch Deron Quint (sechstes Saisontor) und Konrad Abeltshauser (fünftes), Derek Joslin hat ebenfalls schon fünf Saisontore. Quint entschied in Wolfsburg bereits zum zweiten Mal eine Partie in der Verlängerung.
Trotz seiner Dominanz lässt der EHC nicht den Eindruck aufkommen, nachlässig zu werden. Der Blick auf die Tabelle entfalle in der Kabine, sagt Seidenberg, "wir schauen einfach von Spiel zu Spiel und versuchen, alle zu gewinnen". Bedenken, sie könnten die Spitze ihrer Formkurve zu früh erreichen, spielten in der Mannschaft keine Rolle: "Wir tun alles, um den Lauf bis zum Ende durchzuziehen." Trotz der komfortablen Tabellenführung gelingt es dem erfahrenen Titelhamster Jackson, Spannung und Konzentration unter der Woche hochzuhalten. "Don regelt das ganz gut", sagt Seidenberg, "er zeigt uns, dass es noch einige Sachen zu verbessern gibt." Der Nationalspieler glaubt, Trainer und Team seien erfahren genug, dass kein Schlendrian einzieht: "Wir wissen, dass wir uns zu den Playoffs hin stetig steigern müssen." Er weiß auch, dass das für ihn eine Menge Zusatzarbeit nach dem Sport bedeutet.