Eishockey:Cinderella zeigt sich

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"Mittlerweile können wir die größeren Mannschaften ärgern": Hier bereitet Julia Zorn (r.) vom ESC Planegg Andrea Lanzls 3:1 gegen Schweden vor. Auch die in Starnberg geborene Lanzl hat früher für Planegg gespielt. (Foto: Stephan Zorn/oh)

Die deutschen Eishockey-Frauen erreichen bei der WM den vierten Platz, so gut waren sie noch nie. Auch dank Spielerinnen wie Ronja Jenike vom ESC Planegg wird der Abstand zur Weltelite kleiner.

Von Maximilian Ferstl, München

Das David-gegen-Goliath-Duell erfreut sich sportartübergreifend großer Beliebtheit. Wann immer ein Kleiner gegen einen Großen antritt, ist dieser Vergleich nicht weit, vielleicht ist der übermächtige Kontrahent ja irgendwie zu Fall zu bringen. Ein Sprachbild mit Verschleißerscheinungen, natürlich, trotzdem hat es nach wie vor Gültigkeit, ein gutes Beispiel ist das Frauen-Eishockey: Seit der ersten Weltmeisterschaft 1990 teilen sich Kanada und die USA sämtliche Titel untereinander auf. Zehn Mal gewann Kanada, die Vereinigten Staaten holten vergangene Woche in Plymouth/Michigan ihren achten Titel. Zwei Goliaths, deren Übermacht nicht zu brechen scheint, alle Frauen-Eishockey-Welt hofft trotzdem weiter auf einen David.

Beim Deutschen Eishockey-Bund erzählen sie seit einigen Wochen lieber die Geschichte von Cinderella: Ein ungeliebtes Waisenkind wird zur Prinzessin. Was nicht bedeuten soll, dass die deutschen Eishockey-Frauen unliebsames Anhängsel des DEB sind, vielmehr sind sie derzeit das "Cinderella Team" - und haben kürzlich ihr Glück gefunden: Platz vier bei der Weltmeisterschaft. "Der größte Erfolg der Geschichte", sagt Nationalspielerin Ronja Jenike, die in der Liga für den ESC Planegg verteidigt. Zugegeben: Die deutlichen Niederlagen im Halbfinale (0:11 gegen die USA) oder im Spiel um Bronze (0:8 gegen Finnland) "haben überhaupt nicht geschmeckt". Aber in einer Liebesgeschichte geht es um das Gefühl am Ende - und das kommt einem Happy End doch sehr nahe.

Die Nachwuchsarbeit im DEB hat sich enorm verbessert, das Resultat ist nun zu sehen

Alles begann 2014, als nach den Olympischen Spielen von Sotschi die Hälfte der Spielerinnen ihre Karrieren beendeten. Das junge, unerfahrene Team stürzte im Folgejahr aus der Weltgruppe in die Zweitklassigkeit - der Tiefpunkt und zugleich die Wende. Im Vorjahr gelang sofort der Wiederaufstieg, dann verpasste man jedoch im Februar die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2018. Trotzdem war zu spüren: "Da ist inzwischen etwas zusammengewachsen", findet Jenike. Bei der WM schlugen die Deutschen in der Vorrunde Tschechien und Schweden. Als Gruppenerster zogen sie ins Viertelfinale ein und besiegten die favorisierte russische Mannschaft. "Den vierten Platz haben wir uns hart erarbeitet, und dies zeigt die stetige Entwicklung der Mannschaft über die letzten Jahre hinweg", sagt Bundestrainer Benjamin Hinterstocker. Zuvor war das deutsche Team nie über den fünften Platz (2001, 2005, 2013) hinausgekommen, war 2008 und 2015 sogar abgestiegen.

Die WM von Plymouth hat gezeigt: Die deutschen Eishockey-Frauen "sind näher herangerückt" an die Besten, wie Jenike sagt, und: "Bei einem großen Turnier spielen alle mit ihren besten Leuten, wir haben sie trotzdem geschlagen."

Sieben Spielerinnen vom ESC Planegg standen im Aufgebot, Jenike, Tabea Botthof, Yvonne Rothemund, Bernadette Karpf, Sophie Kratzer, Kerstin Spielberger und Julia Zorn.

Als Jenike, 27, ihre ersten internationalen Spiele für die Nationalmannschaft absolvierte, war sie 17 oder 18, so genau weiß sie das gar nicht mehr. Mittlerweile gibt es ein richtiges Nachwuchssystem mitsamt U18-Nationalmannschaft, wo Talente sehr früh an ein höheres Niveau herangeführt werden. "Die haben im Vergleich zu mir zwei, manchmal drei Jahre Vorsprung", sagt Jenike. Das System produziert recht zuverlässig Spielerinnen, die auch für ausländische Klubs oder amerikanische Universitäten interessant sind. Das wiederum hebt die Nationalmannschaft auf ein neues Level. Jenike sagt: "Mittlerweile können wir die größeren Mannschaften ärgern."

Ausnahmen sind die USA und Kanada, vielleicht auch Finnland: "Da ist die Lücke noch zu groß", weiß Bundestrainer Hinterstocker. Das "noch" deutet an: Man ist durchaus gewillt, die Lücke irgendwann zu schließen. Zumindest soweit, um ein seriöses "David-gegen-Goliath"-Duell ausrufen zu können. Dass das möglich ist, zeigte die finnische Auswahl. Die Skandinavierinnen sind derzeit der heißeste Anwärter, sich zu einem ernst zu nehmenden David für die beiden Goliaths zu mausern, in der Vorrunde gelang Finnland immerhin ein knapper Sieg gegen Kanada. "Kanada hätte ausscheiden können, es rückt alles enger zusammen", sagt Jenike.

Deutschland brauche zwar noch etwas Zeit, aber der vierte Platz komme nicht aus heiterem Himmel: Im Januar gelang Deutschland ein Sieg gegen eine kanadische U25-Auswahl. Klar, es war nur ein Testspiel und der Gegner hatte nicht die besten Spielerinnen dabei. Aber es war ein erstes Kräftemessen auf Augenhöhe. Jenike findet: "Wir müssen uns nicht mehr verstecken."

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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