Dominik Kahun:120 Minuten bis Buffalo

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Meister, Olympia-Silber, NHL-Vertrag - und plötzlich Tauschobjekt: Der Münchner hat die Höhen des Profisports erlebt und dessen Härte. In der Zwangspause versucht er mittels einer Spendenaktion Sinn zu stiften.

Von Johannes Schnitzler

Aufstehen, frühstücken, ein bisschen Sport, am besten gleich am Morgen. "Ich habe auch ein paar Gewichte zu Hause", sagt Dominik Kahun. Aber um ehrlich zu sein: "Der Alltag ist ziemlich langweilig gerade." Er lacht.

Wer Dominik Kahun Ende Februar gesagt hätte, dass sein Alltag fünf Wochen später ziemlich langweilig sein würde, den hätte er vermutlich ausgelacht. Langweilig war dem 24-Jährigen in den vergangenen 24 Monaten nämlich ganz und gar nicht.

Zurzeit ist der 24-Jährige (hier während der WM-Vorbereitung 2019) zur Untätigkeit verdammt und sagt: "Mir fehlt das Eis." (Foto: Imago images / ActionPictures)

Rückblende: 2016 gewinnt Kahun mit dem EHC Red Bull München die deutsche Eishockey-Meisterschaft. Für beide ist es er erste Titel, 2017 und 2018 folgen zwei weitere. Im Februar 2018 feiert Kahun mit der Nationalmannschaft den größten Erfolg der deutschen Eishockey-Geschichte überhaupt: Silber bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang. Kahun, damals 22, profiliert sich mit fünf Scorerpunkten in sieben Spielen auf internationalem Niveau; beim 3:4 im Finale gegen das Team aus Russland trifft er zum 2:2-Zwischenstand. Danach geht sein Traum in Erfüllung: Kahun unterschreibt einen Vertrag in der National Hockey League (NHL), bei den Chicago Blackhawks, dem sechsmaligen Meister um die multimillionenschweren Stürmer Patrick Kane und Jonathan Toews, Olympiasieger, Weltmeister, mehrmalige NHL-Champions. Laufzeit: zwei Jahre. Es sollen zwei bewegte Jahre werden.

Kahun findet sich schnell zurecht. Am 11. Oktober 2018 erzielt er gegen Minnesota sein erstes NHL-Tor, am Ende seiner ersten Saison sind es 13 Treffer (plus 24 Vorlagen) in 82 Spielen. Sehr anständig für einen Rookie. Dennoch geben die Blackhawks ihn zur neuen Saison ab. Nach Pittsburgh, zum fünfmaligen Meister um die Superstars Sidney Crosby und Jewgeni Malkin. Wieder setzt Kahun sich durch und erarbeitet sich seinen Platz, macht 50 Spiele und schwärmt, Pittsburgh könnte seine "zweite Heimat" werden. Dann kommt der 24. Februar. Es ist der letzte Tag für Trades, Tauschgeschäfte zwischen den NHL-Klubs. Die Penguins stehen vor einer Kalifornien-Tournee mit Spielen in Los Angeles, Anaheim und San Jose. Nichts deutet darauf hin, dass sie Kahun abgeben könnten. Wenige Stunden vor der Deadline aber erhält der Stürmer einen Anruf. Trainer Mike Sullivan teilt ihm mit, dass er künftig für Buffalo spielen werde. In zwei Stunden gehe sein Flug.

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(Foto: Imago/ZUMA Press)

Dominik Kahun im Trikot der Chicago Blackhawks (mit Kapitän Jonathan Toews).

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(Foto: imago images/Icon SMI)

Vor Beginn der Saison 2019/20 wechselte der 24-Jährige zu den Pittsburgh Penguins.

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(Foto: imago images/Icon SMI)

Seit Februar diesen Jahres ist Kahun für die Buffalo Sabres im Einsatz.

Trades gehören zum Alltag in der NHL. "Aber ich war schon sehr, sehr überrascht", gibt Kahun zu. "Es lief gut, mein Punkteschnitt war besser als in Chicago." Der Wechsel vollzog sich so schnell, dass seine Möbel noch immer in Pittsburgh stünden. Vier Tage später sollte er Bundestrainer Toni Söderholm treffen, in Anaheim, wo Verteidiger Korbinian Holzer unter Vertrag stand, um über die WM im Mai zu sprechen. Auch Holzer wurde getradet. Söderholm flog nicht nach Anaheim.

(Foto: N/A)

Buffalo ist in seiner zweiten NHL-Saison bereits die dritte Station für Kahun. Mit ein wenig Abstand sagt er: "Es hat sich herausgestellt, dass der Trade für mich ein Vorteil sein könnte." Sein Tausch habe nichts mit Abschiebung zu tun. "Pittsburgh hat für mich gleich zwei Spieler bekommen", Conor Sheary und Evan Rodrigues, die zusammen fünf Millionen Dollar pro Jahr verdienen und vor dem Trade - gemeinsam - auf 14 Tore und 14 Vorlagen kamen. Kahun hatte allein zehn Treffer erzielt und 17 vorbereitet, aktuell steht er bei zwölf Toren und 19 Vorlagen. Mit seiner Gage von 925 000 Dollar ist er ein echtes Schnäppchen. Wichtiger für ihn ist aber: "Buffalo hat einen Plan mit mir." Die Sabres stehen zwar nur auf Platz 25 der Liga (von 31), haben aber nicht zuletzt dank ihm wieder leise Hoffnung auf die Playoffs. Er sei auf "eine junge, ehrgeizige Mannschaft" gestoßen, sagt der junge, ehrgeizige Profi. Vor allem hat er in dem Deutschkanadier Ralph Krueger wieder einen Trainer, der seine besonderen Qualitäten schätzt. "Meine Rolle in Pittsburgh war, wie soll ich sagen, einfacher", sagt Kahun. Im Fußball würde man es Kick and Rush nennen, im Eishockey Dump and Chase: viel laufen, die Scheibe tief ins gegnerische Drittel schießen und hinterherjagen. "Das ist ganz normal", betont Kahun. "Da sagt keiner: ,Das mache ich nicht.' Auch die Besten nicht." In Buffalo genieße er mehr Freiheit. Dort darf er wieder tun, was er am meisten liebt: Eishockey spielen. Seine Bilanz: sechs Spiele, zwei Tore, zwei Vorlagen. "Das hat gleich gepasst", sagt Kahun. Im Sommer könnte er seinen ersten eigenen Millionenvertrag abschließen.

Mittlerweile steht aber auch die NHL still wegen des Coronavirus, ausgerechnet jetzt. "Wir bekommen jeden Tag News", sagt Kahun. "Aber jeden Tag steht nichts Neues drin." Bis 19. April ist erst mal Pause.

Nicht ohne meine Sonnenbrille: Dominik Kahun, 2018 nach dem dritten Titel mit München in Serie längst auch ein Profi im Meisterfeiern feiern. (Foto: GEPA pictures/ Markus Fischer)

Kahun flog nach Hause. Erst war er einige Tage bei seinen Eltern in Regensburg, jetzt ist er mit Freundin wieder in München. "Es wäre schlimmer gewesen, mit einem schlechten Start in Buffalo in die Pause zu gehen", sagt Kahun. "Ich bin dankbar, dass es so geklappt hat." Die Untätigkeit aber nagt an ihm. Er stehe mit vielen Spielern in Kontakt, mit dem Finnen Henri Jokiharju etwa, mit dem er schon in Chicago zusammenspielte und nun wieder in Buffalo - für neue Bindungen war keine Zeit. Vor allem aber mit den deutschen Kollegen. "Wir telefonieren fast täglich oder spielen Onlinespiele. Manchmal machen wir ein bisschen Mentaltraining. Aber meistens machen wir Quatsch." Wenn die Ungeduld zu groß wird, geht er raus. "Ich habe im Hof einen Schläger stehen und einen Tennisball. Dann gehe ich runter und spiele ein bisschen. Danach geht es mir besser." Aber nichts ersetzt die Einheiten mit dem Team, mit Schlittschuhen an den Füßen. "Mir fehlt das Eis", sagt Kahun.

Mit Abstand kommen auch andere Gedanken. Kane, Toews, Crosby, Malkin: "Ich werde wohl nicht alles schaffen, was die machen", sagt Kahun. Ungewohnte Töne eines zielstrebigen Jungprofis, der mit gerade einmal 19 Jahren Münchens Trainerikone Don Jackson forsch vor die Wahl stellte: Stammplatz - oder ich bin weg. Kahun hat in den vergangenen beiden Jahren dazu gelernt. Er sagt: "Wenn du siehst, wie die besten Spieler der Welt jeden Tag zur Arbeit kommen, wie sie jeden Tag schuften: Das ist schon speziell." Auch der Fußballer Cristiano Ronaldo sei für ihn in dieser Hinsicht ein "völliges Phänomen" - und das, obwohl er eigentlich "riesengroßer Messi-Fan" ist. Nachdenklicher klingt Kahun.

Um in der Krise etwas Sinnhaftes zu tun, hat er am Mittwoch eine Spendenaktion gestartet für die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM). "Ich wollte schon immer etwas für Kinder tun. Das AKM zählt gerade in diesem Ausnahmezustand auf freiwillige Unterstützung." Die Stiftung betreut Familien mit schwerst kranken Kindern. Spendenziel bis 30. April sind 15 000 Euro. Am Sonntag, 17.25 Uhr, waren bereits 13 100 Euro beisammen. "Das freut mich", sagt Kahun. Die Aktion geht weiter. Das eher vorsichtig formulierte Ziel erklärt er so: "Wir wollten bescheiden anfangen und nicht überheblich sein." Aus Erfahrung weiß er: Lieber lässt man sich positiv überraschen.

Wer die Spendenaktion "Kahun kämpft für Kinderherzen" zu Gunsten der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München unterstützen will, kann dies tun unter: www.kinderhospiz-muenchen.de/spenden/spendenaktion/#laufendeSpendenaktionen

© SZ vom 06.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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