Behindertensport:Unter Strom

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Die Elektro-Rollstuhlhockeyspieler der Munich Animals starten mit Nachwuchssorgen in die Bundesliga-Saison - auch wegen der enormen Kosten.

Von Brigitte Mellert, München

"Fährst du im Rennprogramm oder im gemütlichen Modus?" - "Rennprogramm natürlich", lautet die Antwort: "Anders könnte ich keinen Sport machen." Der Dialog könnte sich so zwischen zwei Sportwagenfahrern zugetragen haben, die mit der PS-Zahl ihrer Boliden protzen. Hat er aber nicht. André Schwaben und Marcel Willmes messen sich auch nicht auf der Straße, sondern in einer Turnhalle direkt am Münchner Petuelring. Hier trainieren die Munich Animals, Bundesligist im Elektro-Rollstuhlhockey, kurz: E-Hockey. Jeden Donnerstagabend treffen sie sich in der Sporthalle der Stiftung Pfennigparade.

Spieler um Spieler fährt mit dem Aufzug in den ersten Stock. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird gewitzelt: "Ich hänge gerade am Strom, komm du doch ..." Schwaben lädt vor dem Training noch seinen Rollstuhl auf. Bei nationalen Spielen dürfen sie 13 Stundenkilometer fahren, international sind sogar 15 km/h erlaubt.

Bis zu 15 000 Euro kostet ein Stuhl: "Eine Materialschlacht", sagt Animals-Trainer Wolfsteiner

Diesen Samstag haben die Münchner ihren ersten - und einzigen - Heimspieltag (10 Uhr, Sporthalle an der Gaißacher Straße). Vier Spieltage gibt es insgesamt in der Sechserliga, der erste war vor zwei Wochen in Schriesheim, zwei weitere folgen im März und Mai. Die Partien werden auf vier Spieltage verteilt, um den organisatorischen Aufwand für die Spieler möglichst gering zu halten. Nach einer schwachen Saison, in der die Animals gegen den Abstieg spielten, gelang dem zwölfmaligen deutschen Meister in Schriesheim ein starker Einstand: Neben zwei deutlichen Siegen unterlagen sie dem aktuellen deutschen Meister Black Knights Dreieich nur knapp. "Auf Augenhöhe" seien sie den Hessen begegnet, sagt Stefan Utz, seit 31 Jahren ein Animal. Der stellvertretende Abteilungsleiter und aktive Spieler zeigt sich vorsichtig optimistisch für diese Saison. Besonders für die Unterstützung von Tim Treidy, einem 17-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen, der seit wenigen Monaten Nationalspieler ist und bei den Münchnern mit einer Doppellizenz spielt, ist er sehr dankbar. Denn es fehlt an Nachwuchs. In der zweiten Mannschaft der Munich Animals gebe es zwar viele Spieler. Aber in der ersten Mannschaft kann nur "mitspielen, wer seinen Stuhl beherrscht und nicht umgekehrt", beschreibt Verteidiger Schwaben die Herausforderung.

Im Schnitt führen die Spieler drei Stundenkilometer schneller als gewöhnliche Rollstuhlfahrer im Alltag, meint Schwaben. Und "die merkt man schon". Spätestens auf dem Feld, wenn die Spieler auf quietschenden Reifen durch die Halle flitzen, bestätigt sich die These. Gekonnt, gar virtuos lenken sie die Stühle. Dabei haben manche schwerste Handicaps: Schwaben leidet an angeborener Gelenksteife, Utz hat Glasknochen, Willmes Polio und Treidy Muskelatrophie. E-Hockey hat daher auch einen klaren Auftrag: Inklusion heißt er, die Spieler sollen durch den Sport am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die Animals erfüllen diesen Auftrag geradezu vorbildlich.

Im Gegensatz zum Rollstuhlbasketball sind "Fußgänger" beim E-Hockey nicht erlaubt. Dort muss der Spieler auch im Alltag auf den Rollstuhl angewiesen sein, Klassifizierungspunkte ordnen den Behinderungsgrad des Spielers ein; "1" stellt die höchste Einschränkung dar, "5" die geringste. Der Torwart weist immer einen Punkt auf, der Schläger ist dabei an den Stuhl fest montiert, als sogenannter T-Stick. Die anderen Spieler spielen mit einem Hand- oder Festschläger. Die vier Feldspieler und der Torwart zusammen dürfen die Zahl von zwölf Punkten nicht überschreiten. International wird allerdings unterschiedlich gespielt, auch die Rollstühle sind nicht vergleichbar. "Eine Materialschlacht" nennt Animals-Trainer Christian Wolfsteiner das Equipment. Auch ein Grund dafür, warum E-Hockey noch nie paralympisch war. In Deutschland übernimmt die Krankenkasse nur die Kosten für den Rollstuhl im Alltag, den "gemütlichen Modus", wie die Spieler ihn nennen. Rennstühle hingegen müssen selbst finanziert werden. Bei Kosten bis zu 15 000 Euro pro Stuhl ist das schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Durch private Spenden, Stiftungen oder Crowdfunding konnte ein Großteil der Munich Animals die schnellen Stühle bezahlen. Der TSV Forstenried, dem die Animals angehören, unterhält inzwischen einen Bus, den sie für eben jene Auswärtsfahrten nutzen können, aber auch selbst bezahlen müssen. "Das Drumherum ist massiv", beschreibt Wolfsteiner den organisatorischen Aufwand, denn die Busse müssen behindertengerecht ausgebaut werden. Die Anschaffungskosten seien etwa doppelt so hoch wie bei gesunden Athleten. Der Coach hat seinen neunjährigen Sohn in die Halle mitgebracht, er trainiert öfters zum Spaß mit - und hat keinerlei Kontaktscheu. Weniger als der Vater, bei dem es ein Jahr dauerte, bis er zusagte, die Munich Animals zu trainieren. Inzwischen, acht Jahre später, ist von der anfänglichen Hemmung nichts mehr zu spüren. Die Animals wollen erstklassig bleiben und es den "Favoriten so schwer wie möglich machen", wie Wolfsteiner sagt. Bei seinen Worten seufzt er tief. Er sorgt sich um die Zukunft der Animals. Denn der fehlende Nachwuchs macht es ihnen immer schwerer, die Liga zu halten. Auch deshalb sind sie so froh, einen wie Tim Treidy zu haben.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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