Behindertensport:Mit Bronze beim Bundespräsidenten

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Ein halbes Jahr nach ihren Paralympics-Erfolgen zieht die fast blinde Biathletin Clara Klug Bilanz - und freut sich auf die kommende Saison.

Von Sebastian Winter, München

Clara Klug nimmt Platz an einem der Tische in ihrem Pasinger Stammcafé, sie kennt die Wege dorthin, und für die 24-Jährige sind solche Dinge entscheidend: wissen oder zumindest erahnen zu können, wohin der nächste Schritt sie führen wird. Klug sieht seit ihrer Geburt nur Schattierungen, eine Erbkrankheit, in Pasing hat sie einen ausziehbaren Teleskopstock dabei. Die Münchnerin, grauer Kapuzenpulli, Jeans, rot lackierte Fingernägel, bestellt Cappuccino und: keinen Kuchen.

Sie ist ja schon wieder im Training für den kommenden Weltcup-Winter. Und am Horizont, noch sehr klein, tauchen bereits die nächsten Paralympics auf, 2022 in Peking. "Dort will ich sportlich noch mehr erreichen", sagt sie schon jetzt. Doch wie geht es dieser Frau überhaupt, ein halbes Jahr nach ihren ersten Spielen, nach zwei auf dramatische Art und Weise erkämpften Biathlon-Bronzemedaillen in Pyeongchang, nach der Fahnenträgerehre mit ihrem Begleitläufer Martin Härtl bei der Abschlussfeier? "Gut", sagt sie, auch wenn sie noch immer keinen Urlaub hatte in diesem Jahr und auch keinen mehr nehmen kann in den nächsten Monaten; die Zeit hat reicht einfach nicht.

Für Clara Klug hat sich die Welt sehr schnell gedreht seit dem Frühjahr. Nur Tage nach ihrer Ankunft am Flughafen schrieb sie schon wieder an ihrer Bachelorarbeit, Thema "Barrierefreier Zugang zu Online-Suchmaschinen". Ende Juli war Abgabe, ihre Note: 1,0. Parallel bearbeitete sie die vielen Interview-Anfragen, sie sagte nur ganz wenige ab. Später wurde Klug mit anderen deutschen Paralympics- und Olympia-Athleten vom Europapark Rust eingeladen, schrieb dort Autogramme, ließ sich fotografieren, hielt Small Talk. Anfang Juni schüttelten Härtl und Klug die Hand des Bundespräsidenten, der ihnen das Silberne Lorbeerblatt überreichte, "eine unglaubliche Ehre", sagt Klug. Nächste Woche zeichnet sie die Deutsche Sporthilfe in Düsseldorf als "Juniorsportlerin des Jahres" aus. Viel Ehre ist das für eine, die vorher kaum in der Öffentlichkeit stand. Vielleicht sagt Klug auch deshalb: "Ich musste das alles erst einmal verarbeiten."

Es fühlte sich ja auch seltsam für sie an, plötzlich auf der Straße oder beim Bäcker angesprochen zu werden: "Das waren doch Sie im Fernsehen?" An Ostern war sie ein paar Tage in Würzburg, bei ihrer Familie mütterlicherseits. Sie wollte einfach mal raus, auch wenn sie keine ist, die den Trubel nicht mag. Eher eine eloquente Sportlerin, die auf dem Boden geblieben ist, trotz all der Empfänge.

Klug war zugleich ganz froh, dass am 2. Mai wieder der Startschuss fürs Training fiel, seither arbeitet sie für den Weltcup-Auftakt im Dezember in Finnland, die Rennen danach in Schweden, die WM in Kanada im Februar. Das dreiwöchige Trainingslager in Italien im Juli hat ihr gut getan, ihre Ausdauer verbessert. Sie setzt nun auf Höhentraining, arbeitet mehr im Kraftbereich, das war ja ein Problem in Pyeongchang gewesen: In einem der Rennen im Sulzschnee war sie so erschöpft, dass sie kurz vor der Ziellinie stoppte, die Rufe Härtls kaum mehr wahrnahm - und fast ihren Podiumsplatz vergab.

Klug holt jetzt in Pasing eine ihrer Bronzemedaillen aus der Holzschatulle, sie ist riesig, größer als man denkt, und schwer, ein halbes Kilo. Sie ist stolz darauf, aber sie lässt das Edelmetall auch mal los und vertraut darauf, dass es zu ihr zurückkehrt: Am Morgen noch war die Medaille in einer Schulaula in Unterschleißheim durch 600 Schülerhände gewandert, Klug ist dort jetzt Patin. Am Sonntag startet sie beim 15. Monopteroslauf im Englischen Garten, einem Vorbereitungsrennen für den München Marathon, dessen Erlöse Behindertensport-Vereinen in der Stadt zugute kommen. Es sind karitative Aufgaben, die Klug gerne übernimmt.

Sie hat nun auch selbst mehr Unterstützung seit den Paralympics, der Bronzegewinn brachte ihr immerhin 10 000 Euro, sie ist in der Kaderförderung, hat ein Sporthilfe-Stipendium. Ohnehin bekommt sie monatlich rund 600 Euro Blindengeld vom Freistaat Bayern. Vieles davon fließt aber wieder in ihre Assistenz. Das sind Menschen, die Klug im Alltag helfen, beim Studium, beim Fingernägel lackieren oder Schminken. Beispielsweise müssen für ihren Statistikkurs, den sie noch belegen muss, die mathematischen Formeln aus dem 300-Seiten-Skript so aufbereitet werden, dass auch Klug sie "lesen" kann. Normale Mails oder Textnachrichten landen auf ihrer großen, orangefarbenen Uhr am linken Handgelenk, samt integrierter Sprachausgabe-Software.

Klug hat vor, im März ihren Bachelor in Computerlinguistik abzuschließen, dann würde aber auch ihr Stipendium enden. Sie hofft daher, ins Skiteam des Zolls aufgenommen zu werden, in dem auch die siebenmalige Paralympics-Siegerin Anna Schaffelhuber fährt. Das wäre der nächste Schritt in die finanzielle Unabhängigkeit. Ansonsten hat sie im Sommer beschlossen, wieder Klavierstunden zu nehmen. Und nach dem Winter einen "Strand-Gammelurlaub" zu machen. Sie kann das jetzt guten Gewissens. Dann packt Clara Klug ihre Sachen, geht zur Tram - und ins Fitnessstudio.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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