Frauen-Basketball:Sokrates' Erben

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Seit der BC Hellenen seine griechischen Wurzeln gelockert hat, wächst er rasant. Die Anmeldung eines Zweitliga-Frauenteams war dennoch ein Wagnis

Von Andreas Liebmann, München

Als Argyrios Prodromou und seine Mitstreiter im Jahr 1996 im Griechischen Haus am Westend den BC Hellenen München gründeten, hatten sie ein Ziel: Sie wollten griechischen Basketball und die griechische Kultur in München bekannter machen. Der Mann, der gut 18 Jahre später durch die Sporthalle an der Albrechtstraße springt, in gelben Shorts und blauem T-Shirt, der einigen Spielerinnen während eines Dribblings auf Englisch die nächste Übung erklärt und dann zum Korbwurf hochsteigt, verfolgt längst völlig andere Ideen. Vor seiner Wahl zum Präsidenten vor fünfeinhalb Jahren habe er gesagt: "Wenn ich das hier mache, dann ganz anders." Und das war nicht übertrieben. Aus dem kleinen griechischen wurde ein großer internationaler Klub, dessen Frauen in der zweiten Liga spielen; der mit 220 Mitgliedern sogar zu den 100 größten Basketballklubs in Deutschland zählt.

Beinahe hätte Konstantin Kirsch, 36, sogar den alten Vereinsnamen ändern lassen. BC Hellenen. Dabei ist er selber zu drei Vierteln Grieche. Der Sohn einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters mit griechischen Wurzeln ist in Deutschland geboren. Große Teile seiner Kindheit und Jugend hat er in Griechenland verbracht, in Athen und auf Euböa, und als er für sein Informatik-Studium einer "inneren Stimme folgend", wie er sagt, nach Deutschland zurückkehrte, da schloss er sich dem Münchner BC Hellenen an. Auf Euböa, erzählt er, habe sein Sport ihm sehr geholfen, Anschluss und Akzeptanz zu finden. In München habe er sich eher geschämt für das, was auf dem Spielfeld passierte. Seine Landsleute seien zwar stolz auf ihre Identität gewesen, doch hätten sie sich mehr mit Streitereien untereinander beschäftigt als mit dem jeweiligen Gegner. Letztlich war es Sokrates, der ihm half, dem Vereinsnamen treu zu bleiben. "Hellene ist man nicht durch Geburt und Aussehen, sondern durch Vernunft und Bildung", habe der Philosoph sinngemäß gesagt - jeder kann also Hellene sein.

Hätte Kirsch den Vorsitz damals nicht übernommen, sagt er, dann hätte er den Verein gewechselt. So aber habe er sich mit einem Quartett an Vorstandsmitgliedern zur Wahl gestellt, für ein Amt, das zuvor eher als One-Man-Job betrieben wurde. Es waren junge Leute allesamt, "wir brauchten Ideen und Energie". Ein Männer- und zwei Jugendteams gab es damals, sie öffneten sich bald auch für Nicht-Griechen. Kirsch und seine Mitstreiter verteilten 1000 Flyer in der Nachbarschaft, stellten beim Zirkus-Ferienprogramm Lilalu zwei Körbe auf, irgendwann wurde ein Logo mit 34 Flaggen und dem Slogan "Uniting Cultures" entworfen. Heute gehören dem Klub laut Kirsch 40 Nationalitäten an. Mangels Hallenzeiten müssen sie sogar Kinder abweisen. "Erst mal ging es darum, uns bekannter zu machen und unser Image zu verbessern", erzählt Kirsch.

Auch sportlich ging es voran. Als er anfing, unterlag die U10 dem FC Bayern mit 1:82 - der eine Punkt resultierte aus einem geschenkten Freiwurf. In der folgenden Saison bezwang das Team die Bayern sogar knapp. 2010 meldete Kirsch eine erste Frauenmannschaft an, bald darauf eine zweite. Er fand das wichtig. "Frauen sind Organisationstalente", sagt er, und: "Wir brauchten kreative Köpfe." Die Männer stehen aktuell an der Tabellenspitze der Bayernliga, vor dem TuS Bad Aibling, der eine Menge Geld in sein Team gesteckt habe.

Konstantin Kirsch arbeitet in einer leitenden Vertriebsposition für einen indischen Konzern, er führt auch den Verein ein wenig wie ein modernes Unternehmen. Er setzt sich Ziele, findet die dafür richtigen Leute, gibt ihnen Vertrauen und Gestaltungsspielraum, expandiert, wenn es an der Zeit ist, und stellt wieder neue Ziele auf. Nebenbei trainiert er zwei Mannschaften und spielt selbst. Als ihm seine Vorstandskollegin Sandy Lorenz ein Hilfsprojekt in Rumänien vorstellte, war er sofort dabei (siehe Artikel rechts). Warum? "Jede Firma braucht auch social projects", sagt er, "das schweißt alle Beteiligten zusammen." Und vor knapp einem Jahr fragte dann Andreas Ebertz an: Ob hier nicht zufällig jemand ein Zweitliga-Frauenteam gebrauchen könne?

Ebertz war beim FC Bayern München Trainer jener Frauen, denen der Hauptverein gerade zum zweiten Mal den Aufstieg in die zweite Liga untersagt hatte. Nun plante er samt Spielerinnen und Lizenz den Klubwechsel. Kirsch willigte ein.

Es ist dann nicht alles glatt gelaufen. Ebertz, von dessen Erfahrung der Breitensportverein eigentlich hatte lernen wollen, wurde Ende Oktober durch seinen Co-Trainer Christian Maier, 26, ersetzt, wieder einen jungen Mann. Kirsch fiel die Entscheidung schwer, Ebertz sei "ein netter Kerl", doch es hatte wenig gepasst: nicht das sportliche Auftreten, nicht die Trainingsbeteiligung. Kürzlich gelang den OSB Engineering Baskets, wie sie nun heißen, der zweite Saisonsieg. Mehr als der vorletzte Platz und die damit verbundene Hoffnung, durch etwaige Rückzüge die Liga zu halten, ist nicht drin.

An diesem Sonntag (16.30 Uhr, Säbener Straße) findet das zweite Derby gegen die TS Jahn München statt. Zur Premiere war den Hellenen ihr erster Saisonsieg gelungen, diesmal stehen die Chancen schlecht. Jahn hat einen Lauf, Trainer Rüdiger Wichote sagt, sie hätten "etwas gutzumachen". Eine echte, gewachsene Rivalität gebe es aber nicht. Kirsch sieht das ähnlich. Er hat einige Lehrgänge bei Jahns Sportdirektor Armin Sperber miterlebt und sagt: "Die TS Jahn ist unser Pionier. Es ist der Hammer, was Armin dort aufgebaut hat" - ebenfalls fast aus dem Nichts. Es sei leicht, eine Zweitliga-Frauenmannschaft anzumelden, aber dort gingen all die Talente hin, weil sie stolz seien auf den Verein. "Dahin wollen wir auch kommen", sagt Kirsch. "Sie sind uns halt zehn Jahre voraus."

Das Abenteuer zweite Liga habe sich gelohnt, glaubt er, "alle haben unheimlich viel gelernt und wertvolle Erfahrungen gesammelt". Trotzdem ist er sich nicht sicher, ob ein zweites Jahr sinnvoll wäre, zumindest unter den aktuellen Voraussetzungen: mit einem Etat von nur 15 000 Euro; mit Spielerinnen, die keinerlei Verträge hätten; mit der Aussicht, kaum mithalten, allenfalls irgendwie den Klassenerhalt erreichen zu können. Kirschs dunkle, griechische Augen blicken nachdenklich. Er sieht aus, als denke er gerade: "Wenn, dann ganz anders!"

© SZ vom 28.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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