Basketball:Professor Unrast

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Deon Thompson, links, wird in dieser Szene von Braunschweigs Kenneth Frease die Zufahrt zur Kurzparkzone unter dem Korb versperrt. (Foto: sampics)

Nach dem 91:70 gegen Braunschweig doziert FCB-Coach Pesic über die existenzielle Bedeutung kompromissloser Arbeit

Von Matthias Schmid, München

Das Spiel gegen die Löwen Braunschweig war schon wieder Geschichte, als Svetislav Pesic am späten Samstagabend noch einmal an die Taktik-Tafel trat. Der Cheftrainer der Basketballer des FC Bayern malte sechs Striche auf das Flip-Chart, sie symbolisierten die eine Hälfte eines Spielfeldes mit Grundlinie, Seitenlinie und der Zone unter dem Korb, dazu zeichnete er vier Kreise. Seine Spieler. Noch ein paar Laufwege - und abgeschlossen waren die Vorbereitungen für das Hauptseminar "Offensivverteidigung". Doch es waren diesmal nicht die Profis, die im Auditorium um das Gestell mit dem großen Papierblock standen, sondern ein paar Journalisten. Pesic, 66, erklärte ihnen leidenschaftlich und mit der Lautstärke eines Professors im Audimax ohne Mikrofon die Bedeutung von Offensivrebounds. "Basketball besteht nicht nur aus Werfen", begann der Serbe also zu dozieren.

Pesic war mit der Darbietung seiner Mannschaft beim 91:70-Sieg im Großen und Ganzen einverstanden. Die Münchner reihen sich damit wieder hinter dem deutschen Meister Brose Baskets Bamberg auf dem zweiten Platz der Basketball-Bundesliga ein, zumindest bis zum nächsten Spiel an diesem Dienstag in Göttingen.

"Wenn wir in der Defensive noch konzentrierter gespielt hätten, könnte ich sogar von einem perfekten Spiel sprechen", sagte Pesic. Doch ein Trainer, der im Klubbasketball schon fast jeden erdenklichen Titel gewonnen hat, ist nicht so einfach zufriedenzustellen. Das merkte man ihm auch nach dem Sieg gegen Braunschweig an. Eine Zahl auf dem Statistikblatt störte Pesic, sie trieb ihn regelrecht um: die Zahl der Offensivrebounds. Neun dieser Abpraller vor dem gegnerischen Korb hatten seine Spieler an diesem Abend gesammelt. Allein vier davon griff sich Spielmacher Alex Renfroe, der laut Anforderungsprofil eigentlich eher für Punkte oder Korbvorlagen zuständig ist. "Aber er hat sehr viel Energie und kann die Bälle sehr gut antizipieren", lobte Pesic.

Der Trainer hätte sich daher viel mehr gewünscht, dass seine großen, athletischen Spieler die meisten Rebounds geholt hätten. Doch bei Center Deon Thompson oder Flügelspieler Paul Zipser wies diese Rubrik nichts aus. Nichts bedeutet auch in diesem Fall Null. Keinen einzigen Offensivrebound also. "Das zeigt vieles", sagte Pesic ruhig. Er erinnerte an die Meistersaison 2014, damals sammelten die Münchner, die außerdem noch die Zwischenrunde in der Euroleague erreichten, mit durchschnittlich 13,8 Offensivrebounds die meisten aller europäischen Mannschaften. "Wenn du gegen Bamberg den Titel holen willst, muss du Minimum zehn bis 15 Offensivrebounds holen", rechnete Pesic vor: "Sonst hast du keine Chance."

Bamberg ist die Mannschaft, an der sich Pesic in diesen Tagen orientiert. Er mag sich nicht mit den Franken vergleichen, aber er nimmt sie als den Rivalen wahr, den es auf dem Weg zu Titeln zu schlagen gilt. Am besten schon am Wochenende bei der Pokalendrunde in eigener Halle, bereits im Halbfinale am Samstag kommt es zum Duell mit dem Meister.

Wie man aus Offensivrebounds, aus sogenannten "second chances" im Basketball sich sogar einen entscheidenden Vorteil verschaffen kann, machen die Bamberger in jeder Partie vor. Die großen Spieler wie Daniel Theis und Leon Radosevic gehen zum Brett, greifen sich den Ball und werfen ihn schnell nach außen, wo die guten Werfer wie Brad Wanamaker oder Janis Strelnieks bereit stehen und diese zweite Chance bekommen. "Immer Bamberg", brummte Pesic, als er vor der Taktiktafel stand, "wir machen auch nicht alles falsch." Doch gegen Braunschweig versuchten auch die kleinen Spieler wie Renfroe oder Anton Gavel, sich Abpraller zu schnappen. "Dabei üben wir täglich im Training diesen Extrapass nach außen", sagte Pesic und kritzelte einen Passweg aufs Papier.

Für den Bayern-Trainer ist der Offensivrebound nicht nur eine Frage des Timings und der Sprungkraft, für ihn hat er existenzielle Bedeutung. "Wer zwei oder drei Autos in der Garage parken hat, geht nicht mehr zum Offensivrebound hoch", stellte Pesic fest. Sollte heißen: Nur wer sich richtig quälen kann und will, setzt sich im harten Infight unter dem gegnerischen Korb gegen seinen Rivalen durch. Ob Spieler wie Thompson oder Zipser womöglich einen Wagen zu viel haben oder ihnen einfach nur der Punch fehlt, behielt Pesic lieber für sich.

Stattdessen redete er am Ende seiner Vorlesung über Thomas Müller. "Ihm müsste man ein Denkmal bauen", findet Pesic. Müller habe Pep Guardiola gelobt und dessen Abschied bedauert, aber auch gesagt: "Ich will auch ohne ihn weiter Pokale gewinnen." So eine Einstellung gefällt Pesic. Mit so einer Einstellung holt man Offensivrebounds - und Titel.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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