Basketball:Grau ist alle Euroleague-Theorie

Lesezeit: 3 min

Hand drauf: Devin Booker (rechts) glänzt lieber mit Taten als mit Worten, wie hier gegen Würzburgs Felix Hoffmann (links). (Foto: Heiko Becker/imago)

Der FC Bayern München fährt als Favorit zur Partie bei Darüşşafaka Istanbul.

Von Ralf Tögel, München

"Nichts verbindet sich leichter als eine vernünftige Theorie mit einer unvernünftigen Praxis." Der Wiener Dramatiker und Feuilletonist Otto Weiß hat das einst zum Besten gegeben, ein Mensch, der die Welt gerne mit Aphorismen erfreute. Sei mehr als 100 Jahren ist Otto Weiß tot. "Wir wollen gewinnen und dann werden wir sehen, was am Ende in der Tabelle für uns rausspringt." Der Autor dieses Zitats hat es sich nicht zur Aufgabe gemacht, die Welt mit kleinen Weisheiten zu beglücken, immerhin erfreut er sich bester Gesundheit: der Berufsbasketballer Devin Booker. Den 26-jährigen Center des FC Bayern München darf man getrost als wenig aufgeregten Zeitgenossen bezeichnen, sein pragmatischer Ansatz ist der wohl einzig richtige vor der Euroleague-Partie der Münchner Basketballer an diesem Freitagabend (18.15 Uhr) bei Darüşşafaka Istanbul.

Um das Thema Theorie zügig abzuschließen: Rechnerisch ist es natürlich noch möglich, dass die Bayern den achten Tabellenplatz erreichen, der für die Playoffs in der höchsten europäischen Liga berechtigen würde. Doch dafür müssten die Konkurrenten, und das sind nicht wenige, auf denkbar günstige Weise verlieren oder sich gegenseitig Siege abnehmen. Verknappt gesagt, haben es die Münchner nicht mehr in der eigenen Hand, sie sind abhängig von den Ergebnissen der Konkurrenz. Der FC Bayern ist derzeit Zwölfter, allerdings mit 13:15 Siegen nur einen schlechter als Mailand, das wiederum auf jenem achten Rang steht. Der italienische Meister ist im Übrigen der einzige Konkurrent, der den direkten Vergleich gegen die Bayern verloren hat, jenes Kriterium, das herangezogen wird, sofern sich die Bilanz der Teams gleichen sollte (was sehr wahrscheinlich der Fall sein wird). Piräus, Kaunas und Tel Aviv, allesamt vor den Bayern notiert, haben diesen Vorteil auf ihrer Seite. Man kann nun rechnen, wie man will, die einzige Konstante, die vorerst bleibt, ist folgende: Die Bayern müssen die beiden ausstehenden Partien gewinnen, eine Niederlage in Istanbul würde umgehend Fakten schaffen.

Was auf den ersten Blick machbar scheint, denn Darüşşafaka ist abgeschlagener Tabellenletzter, die Playoffs seit einer Ewigkeit kein Thema mehr. Vier Siege überhaupt haben die Türken erst in dieser Euroleague-Spielzeit feiern können, den letzten allerdings vor einer Woche gegen Khimki Moskau, einen Gegner, der ebenfalls seit geraumer Zeit die zweite Runde verpasst hat. Die Türken mussten teilweise böse Pleiten einstecken, die schlimmste Abreibung bekamen sie vom FC Bayern versetzt, als sie im Audi Dome mit 70:116 Punkten gedemütigt wurden. Die Münchner nahmen mit dieser ehrabschneidenden Lektion Revanche für das Eurocup-Aus in der Vorsaison, als sie Istanbul zweimal knapp unterlagen und unnötig aus dem Wettbewerb flogen. Vor allem die Niederlage in der Türkei, als die Münchner zwischenzeitlich mit 23 Punkten geführt hatten, ist in unschöner Erinnerung.

Freilich hat das aktuelle Darüşşafaka-Team mit dem des Vorjahres nur wenig gemeinsam. Fast der gesamte Kader wurde ausgetauscht, der Großteil der Schlüsselspieler ist gegangen. Zuvorderst natürlich Scottie Wilbekin, der in besagten Halbfinalspielen gegen den FCB unglaubliche 65 Punkte erzielte und auch in dieser Saison zweimal mit seinem neuen Klub Tel Aviv gegen die Bayern schon erfolgreich war. In Howard Sant-Roos (Athen), James Bell (Podgorica) oder Jajuan Johnson (Krasnodar) haben weitere prägende Akteure den Klub verlassen, der prägendste war allerdings der Trainer: David Blatt trainiert mittlerweile Olympiakos Piräus und hat den direkten FCB-Konkurrenten ebenfalls zu zwei Siegen geführt. Dass das aktuelle Team der Türken schlecht besetzt ist, kann man aber nicht sagen. Neben Center Michael Eric ist vor allem der im Dezember nachverpflichtete Amerikaner Toney Douglas, der große NBA-Erfahrung besitzt und im Schnitt 14,3 Punkte erzielt, zu nennen. Vielmehr muss Darüşşafaka derzeit erfahren, dass nicht die Einzelspieler den Erfolg bringen, vielmehr fehlt dem neu formierten Team in erster Linie die Konstanz. Weshalb Trainer Ahmet Caki, der den Bayern aus seiner Zeit bei Alba Berlin noch bekannt ist, durch Selcuk Ernak ersetzt wurde. Auch Sportdirektor Mithat Demirel, in dieser Funktion ebenfalls aus Berlin nach Istanbul gewechselt, hat den Dienst bei Darüşşafaka im Sommer quittiert.

Nicht nur weil die Bayern deutlich mehr Kontinuität im Kader aufzuweisen haben, der Kern wurde bekanntlich gehalten und hochkarätig ergänzt, sind sie in der türkischen Metropole am Bosporus klarer Favorit. Allein deshalb warnt FCB-Coach Dejan Radonjic: "Sie haben gegen Khimki nachgewiesen, dass sie immer noch um Siege spielen und die Qualität dafür haben." Denn wie sagte der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie."

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: